Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

© Lisa Mathis

Die gute Schule, ein steter Prozess

Oktober 2017

Die Kooperation zwischen Göttingen und drei Vorarlberger Schulen schreitet voran, an der Neuen Mittelschule Wolfurt werden bereits alle ersten Klassen in Tischgruppen – einem zentralen Göttinger Element – unterrichtet. „Wer wartet, verliert“, sagt Direktor Norbert Moosbrugger.

Erst Anfang Oktober war Wolfgang Vogelsänger, der Direktor der preisgekrönten IGS Göttingen, wieder in Vorarlberg, beratend im Einsatz – und hinterher voll des Lobes für die Entwicklung an den Neuen Mittelschulen Wolfurt, Höchst und Hard-Markt. „Natürlich ist Schulentwicklung in und an bestehenden Schulen schwierig“, sagte Vogelsänger vorab, „weil es immer Lehrer gibt, die keine Neuerungen wollen und deswegen verhalten agieren.“ An den drei Vorarlberger Schulen sei allerdings zu sehen, dass immer mehr Pädagogen den Änderungen offener begegnen und auch aktiv mitmachen würden. Vogelsänger ist mittlerweile gut vernetzt im Land und ebenso guter Kenner der hiesigen Schullandschaft: „Mich hat sehr gefreut, dass Höchst den Vorarlberger Schulpreis und Hard-Markt einen Anerkennungspreis bekommen haben – und mich freut, dass das BORG Lauterach jetzt auch Interesse anmeldet, miteinzusteigen.“ Denn mit der Möglichkeit, Matura zu machen, wäre Österreichs erste Gesamtschule fast schon realisiert, sagt der deutsche Pädagoge: „Die zuständige Inspektorin hat von sich aus die Initiative ergriffen und gesagt, sie fände es gut, wenn zwischen dem BORG und den drei Mittelschulen eine Kooperation zustande käme. Das ist sehr schön, das Projekt macht große Fortschritte.“

Alle ersten Klassen in Wolfurt

In der Tat. An der Wolfurter Mittelschule wird heuer erstmals in allen ersten – und insgesamt in sieben – Klassen in sogenannten Tischgruppen unterrichtet, ganz nach Göttinger Vorbild. Diese Form des Unterrichts basiert, im Gegensatz zum klassischen Frontalunterricht, auf einer alternativen Sitzordnung: Jeweils sechs Schüler sitzen an einem Tisch, stärkere und schwächere, Buben und Mädchen. Stellt der jeweilige Lehrer nun eine Aufgabe, arbeiten die Schüler zusammen, helfen sich gegenseitig, bis auch wirklich jeder Einzelne an diesem Tisch die Aufgabe verstanden hat und lösen kann. Die Stärkeren nehmen die Schwächeren mit, Zusammenarbeit wird gefordert und gefördert. Letztes Jahr gingen an der Mittelschule die ersten Schüler ab, die in solchen Gruppen unterrichtet wurden, acht der 17 Schüler durften sich dabei über einen „ausgezeichneten Erfolg“ freuen, einige weitere über einen guten Erfolg. Norbert Moosbrugger, der Wolfurter Direktor, hatte dieses Modell 2014 in Göttingen gesehen – und an seiner Schule, weil überzeugt von den Vorteilen dieser Unterrichtsform, rasch implementiert. „Göttingen“, sagt Moosbrugger, „war für mich und für viele Lehrer eine Horizonterweiterung.“

Nicht warten, handeln!

Vogelsänger und Moosbrugger, beide loben die Zusammenarbeit, die da zwischen der IGS Göttingen und den hiesigen Projektbeteiligten entstanden ist, koordiniert von Christoph Jenny, dem Bildungssprecher der Wirtschaftskammer. „Wir wollten, abgeleitet aus unserem bildungspolitischen Forderungsprogramm, einen Beitrag zur Umsetzung leisten und Leuchtturmschulen entwickeln, also motivierte Schulen in ihrer Schulentwicklung unterstützen“, sagt Jenny, der designierte Kammer-Direktor. Und weil in Österreich zwar viel geredet werde, konkret aber recht wenig passiere, habe man sich engagiert, und mit Göttingen eine Schule ausfindig gemacht, an der man sich orientieren könne: „Wir wollten über den Tellerrand hinausschauen und von den Besten lernen.“ Mit den Fortschritten an den drei Vorarlberger Schulen ist Jenny sehr zufrieden, etwa mit der zuvor angesprochenen Tatsache, dass an der Wolfurter Mittelschule nun alle ersten Klassen in Tischgruppenform unterrichtet werden: „Dort gibt es jetzt die Chance, dass die Schule von unten her neu aufgestellt wird.“ Ziel bleibe eine Kulturveränderung an den Schulen, die letztlich zu einer Haltungsänderung der Lehrerschaft – und damit zu entsprechenden Änderungen führen soll.

Moosbrugger, der erste Vorarlberger Direktor, der an seiner Schule die erwähnten Tischgruppen eingerichtet hatte, will nach wie vor nicht warten, bis Politik und Ministerium von sich aus Rahmenbedingungen ändern: „Wer wartet, verliert – weil man die Schüler zurücklässt.“ Er selbst und auch viele seiner Kollegen seien noch relativ lange an der Schule: „Aber die Kinder sind nur vier Jahre da, die können also nicht warten. Und die erste Klasse machen sie genau einmal, also muss es die beste erste Klasse sein.“

Ein steter Prozess

Vogelsänger sagt übrigens, dass die gute Schule nie erreicht sein, sondern ein steter Prozess bleiben wird, „weil sich die Gesellschaft immer verändert und immer neue Anforderungen bringt“. Was sich allerdings nicht verändere, sei die Tatsache, dass bei der guten Schule immer das Kind im Mittelpunkt zu stehen habe, „und die gute Schule die Pflicht hat, die Kinder für diese Gesellschaft gut vorzubereiten“. Doch will diese Haltung auch erst einmal erzeugt sein: „Lehrer haben gelernt, ihr Fach, ihre Kontrolle, ihre Notengebung in den Mittelpunkt zu stellen und nicht so sehr das Kind. Erst wenn sich diese Haltung ändert, zugunsten des Kindes, werden Schulen auf breiter Ebene auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren können.“

Drittes Vorarlberger Bildungsforum

Am 7. November veranstaltet die Wirtschaftskammer Vorarlberg übrigens das Dritte Vorarlberger Bildungsforum, Gastreferenten sind unter anderem die beiden renommierten deutschen Bildungsexperten Michael Winterhoff und Gunther Dueck. Titel der Veranstaltung? „Die Sehnsucht nach den perfekten Schülern.“ Anmeldungen unter www.wkv.at/bildungsforum.

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