Eva Häfele

Zukunft Arbeitswelt – Berufsvorstellungen von Kindern

Juni 2016

Berufsorientierung beginnt nicht erst dann, wenn mit dem Ende der Pflichtschulzeit Bildungs- und Ausbildungsentscheidungen anstehen. Denn auch jüngere Kinder setzen sich schon sehr konkret mit ihrer beruflichen Zukunft als Erwachsene auseinander. Das zeigen die Zeichnungen von Kindern im Kindergarten und in der Volksschule auf beeindruckende Weise. Es ist erstaunlich, welche Vielfalt an Berufen sie sich bereits vorstellen können. Kinder sind in der Lage, ihre Ideen von Berufen sehr kreativ und realistisch in Bildern und Geschichten auszudrücken. Einige dieser Ideen sind märchenhaft, viele jedoch sehr konkret. Dabei wird deutlich, dass die Berufsbilder von Jungen und Mädchen sich schon im Kindergarten und dann erst recht in der Volksschule geschlechtsspezifisch unterscheiden.

Mädchen und Jungen treffen in der Folge auch unterschiedliche Ausbildungs- und Bildungsentscheidungen. Während Mädchen im Hinblick auf eine berufsqualifizierende Ausbildung keineswegs mehr hinter den Jungen zurückbleiben – sondern die Jungen zum Beispiel bei der Zahl der Matura- und Universitätsabschlüsse sogar überholt haben –, werden bei der Berufswahl geschlechtsspezifische Präferenzen sehr deutlich. Bei den weiblichen Lehrlingen konzentriert sich die Ausbildung auf einige wenige „frauentypische“ Tätigkeiten: Fast die Hälfte wird Einzelhandelskauffrau, Bürokauffrau, Friseurin oder Restaurantfachfrau. Bei den Jungen hingegen sind die Lehrlinge auf mehr Berufe verteilt, außerdem stehen dort technisch ausgerichtete Branchen deutlich im Vordergrund.

Auch in der akademischen Ausbildung treffen wir diese geschlechtsspezifischen Unterschiede an: Während in Handelsakademien, Höheren Lehranstalten für Wirtschaftliche Berufe (HLW) und erst recht in der Bundesbildungsanstalt für Kindergartenpädagogik (BAKIP) mehrheitlich Mädchen anzutreffen sind, bleiben Jungen auf den Höheren Technischen Lehranstalten (HTL) nach wie vor erheblich überrepräsentiert.

Berufsbilder von Vorarlberger Kindern

Das EU-Projekt zur Förderung von „Chancengleichheit im Erwerbsleben“, das vom Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) mitfinanziert und in Vorarlberg vom Referat für Frauen und Gleichstellung umgesetzt wird, möchte die genderspezifischen Unterschiede in der Berufswahl von Mädchen und Jungen verringern. Aus Mitteln dieses Projekts wurde deshalb die Vorarlberger Studie „Was ich einmal werden möchte … Berufswahlprozesse und Zukunftsvorstellungen bei Kindern“ in Auftrag gegeben. Sie führte zu aussagekräftigen Ergebnissen.

Es wurden Zeichnungen von insgesamt 304 Kindern in Vorarlberger Kindergärten und Volkschulen analysiert. Das Ergebnis in Kurzform: Während sich Mädchen im Kindergarten mehrheitlich Berufe in den Bereichen Gesundheit, Kultur und Unterhaltung oder in Fantasiewelten, aber auch als Polizistin, Bäckerin und Friseurin vorstellen können, sind die Berufsvorstellungen von Jungen ziemlich gleichmäßig auf alle Branchen verteilt. In der Volksschule hingegen zählen zu den beliebtesten Berufsbildern der Buben Polizist, Profifußballer und Rennfahrer, aber auch Architekt oder Arzt. Die Mädchen zeichnen sich gerne – und ebenso geschlechtsspezifisch wie die Jungen – als Lehrerin, Friseurin, Tierärztin oder Reitlehrerin.

Dieser Befund lässt sich gut mit internationalen Forschungsergebnissen vereinbaren. Denn Konzepte von „männlich“ und „weiblich“ können bereits im frühen Kindesalter beobachtet werden. Dort findet die Einübung von Geschlechterrollen wesentlich durch geschlechtstypische Spielzeuge statt. Spielen sei daher, sagt die Psychologin Helga Bilden, die „spielerische Einübung“ in die Arbeitsteilung nach Geschlecht und deren Vorwegnahme. In diesem frühen Lebensabschnitt werden Berufe bereits mit Geschlechterrollen verbunden, allerdings noch nicht mit sozialem Prestige besetzt. Im mittleren Kindesalter jedoch, so fanden US-amerikanische Forscher heraus, entwickeln Kinder allmählich Vorstellungen von sozialer Wertigkeit und konkrete Bilder der Arbeitswelt.

Auch wenn hierzulande bei Kindern und Jugendlichen nach wie vor deutlich geschlechtsspezifische Rollen- und Berufsvorstellungen bestehen, so haben sich die Berufswünsche gerade von Mädchen in den vergangenen Jahren doch sehr stark erweitert. Die der Jungen hingegen sind fast unverändert geblieben. Das hat die deutsche Erziehungswissenschaftlerin Iris Baumgardt in einer Untersuchung von Volksschulkindern erhoben. Daraus leitet sie die Forderung nach einer systematischen Information über Berufe bereits in der Volksschule ab.

Vorarlberg: Umsetzung in die Praxis

Noch vor 50 Jahren konnten Kinder Berufswelten konkret erleben: auf dem Schulweg durch das Dorf, wenn sie beim Schreiner, Friseur oder Schuster vorbeikamen, und zu Hause, wenn Mutter oder Vater in der Arbeitskleidung heimkehrten. Heute jedoch bleibt den Kindern diese sinnliche Erfahrung der Berufswelt der Erwachsenen meist verschlossen.

In Vorarlberg haben die Wirtschaftskammer und einige Initiativen von Unternehmen seit längerer Zeit daran gearbeitet, dieses Defizit der kindlichen Erfahrungswelt zu beheben. Das Ergebnis ist eine Reihe von Angeboten der praxisnahen Berufsinformation für Kinder: beispielsweise der landesweite „Schaffar-Tag“ der Wirtschaftskammer, die Ini­tiative von engagierten Gewerbetreibenden „Wif-zack Lauterach“ oder der „Lädolar“ des Werkraums Bregenzerwald. Die „Lange Nacht der Forschung“, die Kinderuniversitäten der Pädagogischen Hochschule sowie der Fachhochschule Vorarlberg (in Kooperation mit dem Konservatorium) und die „Wif-zack Forschermappen“ der Wirtschaftskammer für Kindergärten und Volksschulen zählen ebenfalls zu diesen berufsinformierenden Angeboten.

Vorarlberger Unternehmen zeigen ein zunehmendes Interesse an einer Heranführung der Schul- und selbst der Kindergartenkinder an die Arbeitswelt. Das ist für die einzelnen Firmen in der praktischen Umsetzung mit erheblichem personellen und finanziellen Aufwand verbunden.

Doch er wird sich lohnen – für die Kinder, wenn sie später ihre Berufsentscheidungen treffen, und für die Unternehmen, wenn sie künftig engagierte Lehrlinge sowie informierte Kundinnen und Kunden haben wollen.

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