Wolfgang Greber

* 1970 in Bregenz, Jurist, seit 2001 bei der „Presse“ in Wien, seit 2005 im Ressort Außenpolitik, Sub-Ressort Weltjournal. Er schreibt auch zu den Themen Technologie, Raumfahrt, Militärwesen und Geschichte.

2016: Das Jahr des Aufwachens in der Medienblase

Februar 2017

Bei wichtigen Wahlen und Referenden lag das Gros der Medien bei den Vorhersagen zuletzt schwer daneben, Phänomene wie Trump und Hofer wurden unterschätzt. Auch bei Themen wie Migration ist die Kluft zur Masse endgültig evident. Ein Grund: Viele Journalisten haben es sich in der Medienparallelgesellschaft ignorant-gemütlich eingerichtet.

Am Ende ist er’s ja doch geworden und alles in Österreich bleibt gut. Dabei hätte der andere fast gewonnen, aber der neue Bundespräsident ist Alexander Van der Bellen, ein Grüner, hat eine Uni-Karriere hinter sich und jene onkelhafte Art, die unserem Staatsoberhaupt besser ansteht als Lautstärke und der Verdacht, er könne was Ungewöhnliches anstellen. Und dass er aus dem Westen ist, taugt uns Vorarlbergern.

Dabei hatte der andere, der Burgenländer Norbert Hofer, in Runde eins klar gesiegt und unterlag erst einer Koalition der übrigen Parteien und Gegenkräfte. Viele von uns Journalisten fielen aus allen Wolken: Wie ging das, dass die FPÖ jäh fast die Hälfte der Wähler vereinte und man’s nicht erahnt hatte? Dass angeblich „antiprogressive“ Kräfte in aller Stille stärker sind, als ihre lauten Auftritte es scheinen lassen? Wie kam es zum undenkbaren Brexit und der Wahl des prolligen Mundwerksburschen Donald Trump zum Präsidenten eines Mutterlandes der Demokratie?

All das und mehr lief dem Gros medialer Annahmen wüst zuwider. Wie kann das denn sein, dass so viele Leute offenbar nicht so ticken wie der Inhalt vieler unserer Kommentare, Analysen, Leitartikel? Spiegeln unsere Redaktionsräume unser Land doch nicht korrekt wider?

2016 letztlich dämmerte vielen Kollegen etwas, das sie übersehen, unterschätzt oder als egal abgetan hatten: Kann es sein, dass wir Medienleute, speziell im Politikressort, immer mehr Bürger in ihren Ansichten und Lebensumständen ignorierten und an ihnen vorbei schrieben? Seither grübelt man. Zu Trump etwa sagten Chefredakteure deutscher Blätter wie der „Rheinischen Post“ und „B.Z.“: „Wir haben ihn nicht ernst genommen, den Frust der Millionen gegen die Eliten unterschätzt und uns lieber über ihn lustig gemacht, als die Hintergründe seiner Popularität zu erforschen.“

Große US-Medien verfielen in Flagellantenmodus und nannten das Problem: Man habe die Bodenhaftung zur Masse verloren, was etwa daran liege, dass fast alle großen Sender und Zeitungen an Ost- und Westküste sitzen und das riesige, weniger hippe Land dazwischen kaum kennen. „Diese Stadt hat keine Berührungspunkte mit Amerika“, sagte CNN-Moderator John King über Washington. New York, die großen Küstenstädte, deren Medien seien „eine einzige Blase“, meinten andere – und ergänzten flüsternd, man habe die „Provinz“ nie sehr ernst genommen. Von dort kamen ob des Niedergangs der Lokalmedien auch immer weniger Infos, die Probleme und Stimmungen zeigen könnten. Weil sie also nicht wusste, wie das Land en gros tickte, hat Trumps Sieg, der vor allem in den extrametropolitanen Weiten wurzelt, die Medienblase kalt erwischt.

„Wir müssen wieder hinaus und mit den Menschen reden“, hieß es in der „Washington Post“. Der Chef der „New York Times“, jenes Blattes, dem Europas Medien an den Lippen hängen, kam zum schlichten Schluss: „Wir brauchen mehr Kontakt“, sagte Dean Baquet, und zwar mit „der Welt der Arbeitenden“. Er meinte die Arbeiter, Angestellten, Bauern, kleinen und mittleren Unternehmer, die Taxifahrer, Kellner, Krankenpfleger und auch die Ärzte oder Ingenieure – fernab der Journalisten, Analysten, Politiker, Politologen, Interessensvertreter, Künstler und derer an Unis und in NGOs.

Das alles gilt auch für Österreich, wo der Chef der ehrwürdigen „Presse“, Rainer Nowak, selbstkritisch schrieb: „Wir Medien liegen in der Einschätzung anstehender Referenden erschreckend oft weit daneben“. Just Florian Klenk vom linksliberalen Wiener „Falter“ sei es gedankt, dass jemand bei uns das mit der „Blase“ aussprach: Die Kollegen sollten „raus aus der Bobo-Blase“, aus der Welt der guten, gleichgesinnten Progressiven, und sich andere Realitäten anschauen. Ähnlich Kollege Oliver Pink („Presse“-Innenpolitik): „Es wird wahrscheinlich jeder, der ein Leben außerhalb der Wiener Blase hat, an seinem Bekannten- und Verwandtenkreis bemerken, dass die Wählerschaft der FPÖ vielschichtiger ist, als medial oft dargestellt.“

Auch unsere Medienblase ist dreidimensional: Es gibt sie geografisch, primär im „Medienhirn“ Wien, wo man viele Inhalte auch mit Anspruch aufs übrige Land redaktionell gebiert, ohne sich „draußen“ forciert umzusehen, umzuhören, einzufühlen (vielleicht, boshaft gesagt, wegen der un-urbanen Leute dort). Wie meint Pink: „Eine Reise an Wiens Stadtrand oder in die übrigen Bundesländer könnte auch für österreichische Medienmenschen aufschlussreich sein.“

Die zweite Dimension ist das Berufsumfeld: (Politik-)Journalisten sind von Journalisten umgeben und verkehren mit obgenannten Zirkeln wie Politikern, NGOs, Akademikern – Letztere sind meist Politologen und andere vom Geiwi-Apparat mit häufiger Neigung zu Aktivismus. Dann die dritte Dimension: das Privatleben. Auch da umgeben sich Journalisten – das ist verständlich – gern mit Journalistenkollegen, Gleichgesinnten aus obigen Zirkeln und Leuten ähnlichen Niveaus und ähnlicher Neigung.

Okay: Auch Ärzte, Anwälte, Taxler oder Handwerker umgeben sich meist mit ihresgleichen oder „Ähnlichen“. Sie haben aber zumindest beruflich meist mehr Kontakt zu „anderen“ und wenden sich professionell nicht mit Texten an eine breite Öffentlichkeit. Jedenfalls: Die Blase ist geschlossen.

Dass unsere Parallelgesellschaft darin gewisse Themen und Meinungen unter gegenseitiger Beeinflussung, ja Kontrolle ihrer Akteure überproportional publiziert, steigert das Problem: Man ignoriert oft, dass Themen des „urbanen“ Milieus wie Political Correctness, Gender, Willkommenskultur und angebliche Diskriminierungen noch winzigster Gruppen der Masse sonst wo vorbeigehen. Diese sorgt sich um Jobs, Sicherheit, Ausbildung der Kinder, Traditionen und Sitten, dass man kaum noch nennenswertes Vermögen ansparen kann, und sie hat das Gefühl, dass viele orthodoxe Medien mit pädagogisch-bemutternder Haltung bis hin zur Bevormundung auftreten.

Blaseninterne Mahner, die diese Kluft ansprachen, wurden vielerorts gern belächelt, bekamen „Das kann man so nicht sagen“ zu hören, ja wurden einschlägig abgestempelt. Also kam es, dass die Blase irgendwann die Gesamtlage verkannte, und zu dem, was der bulgarische Politologe Ivan Krastev bezüglich der US-Wahl so beschrieb: „Die politische Klasse – Politiker, Akademiker, Medienleute – hatte keine Ahnung, was vorging. Das Establishment sind Leute, die ihr Bauchgefühl verloren haben.“

Klar: Journalisten sollen sich Massen und Mehrheiten nicht zwingend anpassen. Aber wir täten das – Hand aufs Herz – doch sowieso, falls sie in unserem Sinne sind. Wir können nicht mit der Arroganz der Ignoranz die breitere Realität dauerhaft negieren und uns über das sinkende Vertrauen samt „Lügenpresse“-Gebrüll wundern. Wir sollten die Blase platzen lassen.

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