Wolfgang Herburger

„Die Zukunft Vorarlbergs – Perspektiven 2050“

Juli 2017

Die Welt ist aus den Fugen geraten. In Vorarlberg läuft es trotzdem prima. Vorarlberg hat sich in der Vergangenheit alle 70 Jahre vollständig verändert. Kein Stein blieb auf dem anderen. Dies wird auch bis 2050 der Fall sein, ob es den Vorarlbergern passt oder nicht. Vorzeichen für die kommenden großen Umbrüche sind bereits sichtbar. Die Zukunft hat begonnen!

Was tut sich bis 2050? Wie meistern die Vorarlberger und deren Wirtschaft, Politik, Sozialwesen und Kultur die Herausforderungen? Wie können sie sich aufstellen? Wer gut dasteht, kann wählen: Stagnation, Abstieg oder Aufstieg, Verzettelung oder Weltniveau, Einigelung oder Zugänglichkeit, Getriebener oder Treiber, weltfeindlich oder international, risikoscheu oder mutig.
Vorarlbergs Spannkraft lässt an Schlüsselstellen nach. Vorarlberg – in der Grenzregion am Bodensee und zur Schweiz – ist heute eine saturierte Wohlstandsgesellschaft, der es nachgewiesenermaßen sehr gut geht, in der aber die „Spannkraft“ an Schlüsselstellen nachlässt.

Aufgrund unserer eingehenden Analysen sehen wir bis 2050 maßgebliche, weltweite Entwicklungen, die eine Verschiebung des wirtschaftlichen Gewichts auf der Welt in Richtung Asien, zunehmende politische Instabilitäten und Krisenerscheinungen, große Abhängigkeiten von internationalen Entwicklungen und das Ende des fossilen Zeitalters, die Alterung und Schrumpfung der Gesellschaften und den steigenden Einfluss organisierter Kriminalität mit sich bringen werden.

Wir fragen uns, warum igeln sich Vorarlbergs Bevölkerung und Elite so sehr sein, sind mit dem zufrieden, was bisher erreicht wurde? Warum ist Bewahren wichtiger als Aufbau und Weiterentwicklung? Warum hat man sich mit dem Sozialstaat so sehr verstrickt, dass man nur noch in dessen Ausbau eine wirkliche Entwicklung erkennt? Warum sind so viele Projekte, die durch das Land, durch die Gemeinden und von der Bevölkerung geplant und angegangen werden, so „putzig“ angelegt?

Wirtschaftlich ist es erforderlich, vom F&E-Zwerg zur Innovationsschmiede aufzusteigen. Die Notwendigkeit eines globalen Auftritts der mittelständischen Industrie Vorarlbergs beginnt darüber hinaus bereits bei relativen kleinen Unternehmensgrößen. Die heutigen Leuchtturmunternehmen werden 2050 Vorarlberg entwachsen sein. Damit kein Schrumpfungsprozess eintritt – wie insgesamt in Trendanalysen für Europa erwartet wird – sind verstärkte Anstrengungen daher auf die Schaffung und Entwicklung neuer, industrieller Leuchtturmunternehmen zu legen. Auch Dienstleister müssen aus dem engen lokalen Umfeld ausbrechen.

Im für Vorarlberg wichtigen Bereich des Tourismus sind stabile Pfähle statt wackelige Pflöcke zu setzen. Unsere bisherigen geografischen Kernmärkte werden in den nächsten 20 bis 30 Jahren deutliche demografische Veränderungen erleben. Wenn wir hier Chancen haben wollen, müssen wir uns als (kl)eine kompakte Destination verstehen. Bis 2050 muss sich beispielsweise der Wintersport zum wirklichen Wintertourismus entwickelt haben und dies unter einer Schlüsselmarke „Arlberg“ (also auch Montafon oder Damüls am Arlberg). Nicht nur für einen Asiaten sind 100 Kilometer keine Distanz, wenn man sieht, dass hier gerade eine Region Jing-Jin-Ji in Entwicklung ist.

Damit Vorarlberg sein Niveau halten und weiter entwickeln kann, muss die Verzettelung und „Klein-Klein“-Politik in allen Feldern reduziert oder aufgehört werden.
Die repräsentative Demokratie mit Parteienlandschaft flankiert mit Kammern wird – so das Ergebnis der intensiven Untersuchungen – an Gestaltungskraft deutlich einbüßen. Das Vakuum füllen zivilgesellschaftliche Interessenorganisationen als neue Heilsbringer in der Meinungsdemokratie Vorarlbergs aus. Diese werden die Aufsteiger der Zukunft sein. Ob mit ihnen allerdings für die Wirtschaft, politische Ordnung und die Bevölkerung positive Entwicklungen verbunden sind, bezweifeln wir. Dies liegt insbesondere daran, dass diese neuen Machtorganisationen statt Gemeinsinn ihre Partikularinteressen im Auge haben (unabhängig von einem verkündeten Anspruch). Erste Anzeichen sind deutlich spürbar im Land.
Vorarlberg wird 2050 in tausend und mehr übergeordnete Systeme eingebunden sein. Wenn wir uns in unserer Analyse auf Finanzierungs-, Verkehrs-, Gesundheits-, Bildungs-, Steuer- und

Sozialversicherungssysteme, Daten- und Kommunikationsnetze und einige mehr fokussieren, dann sehen wir viel Stillstand. Zum Beispiel in der Entwicklung der regionalen Verkehrsinfrastrukturen und der starken Fokussierung auf den öffentlichen Verkehr als gesellschaftspolitisches Harakiri.

Der Gesundheits- wie auch der Sozialbereich stehen vor großen technologischen und organisatorischen Veränderungen, die ganz andere Anforderungen an Größe, Verfügbarkeit, Finanzierbarkeit, Compliance und Nachvollziehbarkeit stellen. Das Bildungssystem entspricht in der Wirklichkeit nicht dem Anspruch unserer Bundesverfassung. Das Manifest der österreichischen Schulbildung wird nicht erfüllt. Ist das Bildungssystem Vorarlbergs reformierbar? Die Frage beginnt an der falschen Stelle, weil die Handlungsspielräume Vorarlbergs begrenzt sind. Also muss man vorab fragen, ob die Schulpolitik in der Republik grundlegend reformierbar ist; und wenn ja, ob dann in Vorarlberg alle mitziehen, die es benötigt. Dies wäre eine gesonderte Betrachtung wert.

Insbesondere orten wir die Notwendigkeit, in Vorarlberg das kleinteilige Gesundheits- und Krankenhaussystem überlegt zu konzentrieren. Ebenso ist die Förderlandschaft neu aufzusetzen und zu konzentrieren, um damit den künftigen Erfordernissen zu entsprechen.

Vorarlberg wird auch langfristig eher weniger von globalen Verwerfungen wie etwa der organisierten Kriminalität bedroht. Wir sprechen uns aber gleichzeitig klar dafür aus, Augen und Ohren offen zu halten, denn Cyber-Crime macht vor Pfänder- und Arlbergtunnel nicht Halt.

Manche sagen, dass 70 Prozent aller Prognosen falsch sind. Angsthasen und Hundertprozentige durchschauen diese Gefahr rasch und beschäftigen sich daher lieber mit dem Hier und Jetzt oder der Vergangenheit. Wir haben das Buch „Die Zukunft Vorarlbergs – Perspektiven 2050“ geschrieben, um Diskussionen anzuregen und die Entscheidungsfindung zu unterstützen. Vielleicht sind dann unsere Anregungen und Ihre eigenen Einschätzungen dazu die Schlüssel zum Erfolg in Vorarlberg 2050.

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