Gundula Walterskirchen

Flüchtlinge, Grenzsicherung und die Heuchelei der deutschen Politik

Juli 2016

Wenn der eine seine Grenzen schließt und der andere deswegen leidet – das ist nicht mein Europa.“ So lautete das Verdikt der deutschen Bundeskanzlerin, als Österreich aus dem Windschatten der deutschen Willkommenskultur trat und den Kurs änderte. Seitdem hagelt es Kritik gegen Österreich, das anfänglich die eigenmächtige, aufnahmefreudige Flüchtlingspolitik des deutschen Nachbarn – solange es ging – tatkräftig unterstützt hatte. Allerdings war auch Österreich nicht frei von Heuchlertum und gab vorerst den Schlaumeier: Man unterstützte offiziell die deutsche Willkommenspolitik und ließ sich international als Held der Nächstenliebe feiern. In Wahrheit war man völlig überfordert und überließ die Arbeit weitgehend der Zivilgesellschaft. Die Regierung brach die eigenen Gesetze, indem sie auf Grenzkontrollen verzichtete, und schleuste die Menschenmassen einfach durch.

Die bis zu Beginn der Flüchtlingskrise außenpolitisch bewundernswert umsichtig, überlegt und taktisch klug handelnde Angela Merkel sandte damals ein (unbedachtes?) Signal in die Welt und löste damit eine Massenmigration aus. Rasch sah sich Deutschland, und dort vor allem Bayern, vom Ansturm überfordert und schloss seine Grenzen. Das „Durchwinken“ müsse ein Ende haben, lautete die Begründung. Das war Mitte September des Vorjahres. Etwa zeitgleich hatte Ungarn seine Grenzen geschlossen und war dafür von Deutschlands Politikern heftig kritisiert worden. Auch Österreichs Bundeskanzler Faymann wies seinen Amtskollegen in Budapest mit rüden Worten zurecht, worauf dieser mit einer Aufkündigung der Kooperation in der Flüchtlingskrise reagierte. Ungarn stellte fortan ohne Vorankündigung Massen an Flüchtlingen an die österreichische Grenze.

Deutschland agierte jedoch diplomatisch geschickter als Ungarns Viktor Orbán, baute keinen Zaun, sondern ließ den Flüchtlingsstrom einfach nur mehr tröpfchenweise ins Land – ohne Absprache mit Österreich. Die absehbare Konsequenz der einseitigen deutschen Maßnahme: ein Rückstau in Österreich. Wie der kleine Nachbar mit der plötzlichen Massenimmigration fertig werden sollte, kümmerte den großen Nachbarn nicht.

Trotz großartigem Engagement der Zivilgesellschaft war der Massenansturm bald nicht mehr zu bewältigen. Als Monate nach Deutschland auch Österreich Grenzkontrollen an der Süd- und Ostgrenze einführte und in der Steiermark einen Grenzzaun – vulgo „Gartentürl“ – errichtete, hagelte es scharfe Kritik vom deutschen Nachbarn. Österreich verletze EU-Recht und handle unmenschlich. Merkel nannte die Maßnahme „einseitig“ und warnte gar vor einem Wiederaufflammen des Bürgerkriegs auf dem Balkan. Auch die Initiative Österreichs, die Balkanroute zu schließen, wurde scharf kritisiert. Nur Bayern war zufrieden.

Bei aller moralischen Entrüstung profitierte Deutschland in Wahrheit jedoch enorm von diesen Maßnahmen, denn so kamen schlagartig noch weniger Flüchtlinge ins Land. Der deutsche Innenminister, der noch im Februar Österreich wegen der Asyl-Obergrenze und der geplanten Grenzkontrollen am Brenner scharf kritisiert hatte, wollte die Kontrollen zu Österreich ab Mai daher ganz aufheben. Nun sind sie doch wieder für sechs Monate verlängert worden, es wird am Walserberg und in Kiefersfelden weiter kontrolliert. Die Maßnahme wird von de Maizière mit der Abwehr von „Terrorismus“ und „Kriminalität“ gerechtfertigt.

Es war Merkel, die – ohne Rücksprache mit den anderen EU-Staaten – schließlich den Milliarden-Deal mit dem in Menschenrechtsfragen nicht zimperlichen türkischen Premier initiierte: Wir zahlen, und du hältst uns die Flüchtlinge vom Leib. Was mit den zurückgeschickten Flüchtlingen in der Türkei passieren würde, kümmert niemanden: Wohin werden sie weitergeschickt? Wie werden sie behandelt und versorgt? Kommen die Milliarden dort an, wofür sie gedacht sind? Es war schon zuvor klar, dass ein Pakt mit Erdogan nicht funktionieren würde, das gestehen nun selbst ranghohe deutsche Politiker ein. Der Deal „wackelt“ ständig bedrohlich, und Erdogan lässt keine Chance aus, Erpressungsversuche zu starten. Man hat sich wissend in die Hand eines unberechenbaren Demagogen begeben, der Menschenrechte mit Füßen tritt und von der Wiedererrichtung des Osmanischen Reichs träumt.

Es ist zweifelhaft, ob deutsche Spitzenpolitiker die Tragweite dieser Massenimmigration überhaupt erkennen und noch die Realität wahrnehmen. Äußerungen wie jene von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zuletzt in der „Zeit“ lassen daran massiv zweifeln, wo er postulierte: „Die Abschottung ist doch das, was uns kaputt machen würde, was uns in Inzucht degenerieren ließe. Für uns sind Muslime in Deutschland eine Bereicherung unserer Offenheit und unserer Vielfalt. Schauen Sie sich doch mal die dritte Generation der Türken an, gerade auch die Frauen! Das ist doch ein enormes innovatorisches Potenzial!“

Angesichts der doppelbödigen Flüchtlingspolitik Deutschlands ist die ständige Schelte gegen Österreich nicht gerechtfertigt. Man verschweigt beharrlich, dass man von dessen Asylpolitik und Grenzsicherung profitiert und diese auch selbst praktiziert. Es ist daher höchst unfair, statt sich mit der hauseigenen Migrationsproblematik, mit Neonazis, brennenden Asylantenheimen und den Gründen für das Anwachsen von AfD und Pegida zu beschäftigen, lieber Hakenkreuz-Schnitzel zu publizieren und die Moralkeule zu schwingen. Statt moralische Überlegenheit zu demonstrieren und „Humanität“ zu heucheln, sollte man es mit mehr Realismus und Nüchternheit versuchen.

Kommentare

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Wäre gut wenn man die Gründe Flucht-Ursachen mehr bekämpfen würde anstatt hunderte Milliarden in die Bekämpfung der Symptome zu investieren. Man sehe sich nur das Bevölkerungswachstum weltweit an. Noch geht es uns gut, aber der Handlungsspielraum um das Runder herumzureissen wird immer kleiner. Syrien ist eigentlich kein so großes Land, wäre Krieg in Pakistan könnten wir uns unsere Menschlichkeit in den Allerwertesten schieben.