Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Keine engen Beziehungen zu Russland zu haben, ist keine Option“

April 2017

Russland-Experte Gerhard Mangott (50) fordert im Interview mit „Thema Vorarlberg“, dass sich die Europäische Union von ihrer bis dato wider­sprüchlichen und auch „heuchlerischen“ Russland-Politik verabschieden soll. Der Politikwissenschaftler beschreibt Putin und den russischen Weg und erklärt, warum sich die US-amerikanische Russland-Politik nicht substanziell ändern wird – und warum sich die Russen in die französische, deutsche, aber auch österreichische Innenpolitik einmischen.

Sie schreiben in Ihrem Blog*: ‚Es wird keine Allianz zwischen Trump und Putin geben‘. Was macht sie da so sicher?

Ich erwarte aus zwei Gründen keine substanzielle Änderung der US-amerikanischen Russland-Politik. Erstens: Es gibt in den großen Fragen der internationalen Politik – Syrien, Ukraine, Nordkorea, Iran, auch in der Abrüstung – schlichtweg kein Geschäft, das die beiden machen könnten. Weder die USA noch Russland sind zu substantiellen Zugeständnissen bereit, als dass sich daraus eine Annäherung beider Staaten ergeben könnte. Da gibt es keinen Deal in Trumps Sinn. Zweitens: Trump steht wegen russlandfreundlichen Aussagen und wegen der Kontakte seiner Mitarbeiter zu diversen russischen Stellen innenpolitisch mit dem Rücken zur Wand. Trump, mit Untersuchungen konfrontiert und heftig kritisiert, kann sich keine russlandfreundliche Außenpolitik mehr leisten. Es geht ja um den Vorwurf, Trumps Wahlsieg sei im Wesentlichen das Resultat russischer Einmischung in den Wahlkampf, ein Argument, das ich nicht teile.

17 US-Geheimdienste sind allerdings zu dem Befund gelangt, dass Russland den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl zumindest zu beeinflussen versucht hat.

Es gibt wohl keinen Zweifel daran, dass die Russen sich in den Wahlkampf eingemischt haben. Aber die Motivlage ist entscheidend: Haben sich die Russen eingemischt, mit dem Ziel, Clinton zu diskreditieren, von der man angenommen hat, dass sie mit Sicherheit Präsidentin wird – und zwar eine für Russland unangenehme? Oder war die Einmischung dazu da, um Trump zum Wahlsieger zu machen? Natürlich hilft es einem Kandidaten, wenn der Gegner im Wahlkampf diskreditiert wird. Aber ich kann nach Gesprächen mit russischen Verantwortlichen sagen: Die Russen wollten Clinton einen möglichst schweren Start als Präsidentin verschaffen; sie haben nie angenommen, dass Trump diese Wahl auch tatsächlich gewinnen könnte. Das war auch für die russische Seite eine Überraschung.

Nun stehen auch in Europa wichtige Wahlen an. Und die Sorge wächst, Russland könne diese Wahlen ebenfalls maßgebend beeinflussen oder zumindest entsprechende Versuche unternehmen …

Russland unterstützt rechtsorientierte Parteien – in manchen Fällen, wie etwa den Front National in Frankreich oder die FPÖ in Österreich, um russlandfreundliche Kandidaten in ein Präsidentenamt oder in die Regierung zu bringen, in anderen Fällen, um etablierten Parteien auf dem Wählermarkt zu schaden. In Deutschland etwa unterstützen die Russen die AfD, weil man sich erwartet, dass die AfD der CDU Stimmen kosten wird, dass im Idealfall gar Merkel, die Architektin der Sanktionen, aus dem Kanzleramt verdrängt wird. Russland versucht auch ganz sicherlich, die Debatten in europäischen Staaten zu beeinflussen, vor allem, wenn es um Themen wie Migration und Flüchtlinge geht. In Russland erkennt man den destabilisierenden Effekt dieses Themas und transportiert deswegen immer wieder manipulative oder gar falsche Meldungen in russischen Medien, die sich an das Ausland wenden, etwa auf ‚RT‘ oder bei der Nachrichtenagentur ‚Sputnik‘.

Von russischer Seite wird in derlei Meldungen vielfach auch ein ‚Werteverfall Europas‘ kritisiert.

Es gab nach dem Zerfall der Sowjetunion kurz eine Zeit, in der die Russen europäische Werte übernehmen wollten. Aber vor vielen Jahren hat Russland aufgehört, den Westen nachzuahmen, ist stattdessen dazu übergegangen, selbstbewusst einen eigenen zivilisatorischen Weg mit eigenen Werten zu gehen. In russischen Augen verstoßen Europas liberale, kosmopolitische Werte gegen die traditionelle russische Moral; deswegen wird die Wertedifferenz betont, eine Differenz, die es etwa zwischen dem westlichen Materialismus und der russischen Spiritualität gibt, aber auch zwischen dem ausgeprägten Individualismus im Westen und der russischen Tradition der Gemeinschaft. Und Russland wirft dem Westen vor, die christlichen Wurzeln aufgegeben zu haben, sieht sich selbst als die letzte Bastion christlicher Identität in Europa. Russland will nicht mehr Europa werden, schon lange nicht mehr. Heute setzt man auf Abgrenzung.

Dabei gab es durchaus eine Zeit, schreiben Sie in einem Fachartikel, in der Russland unter Putin zumindest an einer Annäherung an den Westen interessiert gewesen sein soll.

Putin ist im Mai 2000 als Präsident mit der Bereitschaft angetreten, ein kooperatives Verhältnis mit der Europäischen Union und mit den USA zu suchen. Er wollte das nicht in der romantischen Verklärung machen, die die frühen Jelzin-Jahre gekennzeichnet hat, als man annahm, die USA würden Russland zu einem Verbündeten machen und der Westen werde Russland wirtschaftlich unterstützen. Aber Putin war der Überzeugung, dass es durchaus viele gemeinsame Interessen gebe, bei denen man zusammenarbeiten könne, wenn der Westen Russland als gleichberechtigten Staat anerkenne und seine innere Souveränität akzeptiere. Unglückseligerweise kam damals in den Vereinigten Staaten eine Administration an die Macht, die die Bedeutung Russlands für die US-amerikanische Außenpolitik herabstufte; die entschied, das schwache Russland könne gar nicht mehr erste Priorität sein. Die USA und Russland arbeiteten zwar noch im Zuge des Afghanistankriegs eng zusammen. In den Folgejahren trafen die Amerikaner aber Entscheidungen, die Putin als Nichtberücksichtigung russischer Interessen verstanden hat; als bewusste Marginalisierung und Schwächung Russlands. Putin gewann zunehmend den Eindruck, dass man mit den Amerikanern nicht zusammenarbeiten könne; ihnen sei nicht zu vertrauen, sie würden lügen und täuschen. 2007, auf der Münchner Sicherheitskonferenz, sprach Putin das dann erstmals öffentlich aus. In seinem Verständnis kann man mit den Amerikanern nur aus einer Position der Stärke heraus umgehen, diese Maxime vertritt er spätestens seit 2012 mit größter Vehemenz.

Wie würden Sie den Menschen Putin charakterisieren?

Putin ist ein kühl berechnender Mensch, der sich nahezu überhaupt nicht von Emotionen leiten lässt. Er ist aber auch ein misstrauischer Mensch, der jeden Widerstand gegen seine politische Linie ausschalten möchte. Und er hat einen sehr starken Kontrollanspruch, tut wirklich alles, um das, was in Russland passiert, kontrollieren zu können. Sein Herrschaftsstil ist autoritär, das ist aus Misstrauen gewachsen, aber auch aus einer russischen Herrschaftstradition heraus, die den Präsidenten und früher auch den Zaren immer als jemanden gesehen hat, der das Land persönlich mit eiserner Hand regiert. Im Übrigen ist es vor allem Putins Außenpolitik, die in Russland geschätzt wird, die ihm Rückhalt in der Bevölkerung gibt, nach wie vor. Es war von Anfang an sein deklariertes Ziel, Russland wieder zu einer Großmacht zu machen, auch mit der Bereitschaft, militärische Mittel einzusetzen. Das gefällt den Russen. Denn die Sowjetunion war eine Supermacht, die respektiert und gefürchtet war – was in der nachsowjetischen Zeit nicht mehr galt, weil Russland lange Jahre zu schwach war.

Putin hatte den Zerfall der Sowjetunion vor einigen Jahren als Katastrophe bezeichnet. Träumt er denn von der Wiedererringung einstiger sowjetischer Größe?

Putin sagte 2005, der Zerfall der Sowjetunion sei die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts gewesen. Er ist sich allerdings völlig bewusst, dass Russland nicht die Ressourcen hat und auch nicht die Zwangsmittel einsetzen kann, um so etwas wie die Sowjetunion wieder entstehen zu lassen. Er träumt also nicht von einer Wiederherstellung mit einer Rückeroberung der gesamten Gebiete, die nach dem Zusammenbruch der UdSSR für Russland verloren gegangen sind. Das würde Russland vollkommen überfordern – wirtschaftlich, finanziell, militärisch, politisch.

Und doch droht ein Rückfall in dunkle Zeiten. Trump hat eine exorbitante Steigerung des US-Verteidigungshaushaltes angekündigt. Steht der Welt ein neues Wettrüsten bevor?

Trump will konventionell rüsten, will die Marine und das Heer ausbauen – und er möchte nuklear rüsten. Er hat gesagt ‚Let it be an arms race‘ – ‚Lass es ein Wettrüsten sein‘ –, als er auf Nuklearwaffenrüstung angesprochen wurde. Trump zufolge sollen die Vereinigten Staaten bei der nuklearen Rüstung ‚ahead of the pack‘ sein, also allen anderen überlegen sein. Und er hat auch den geltenden Abrüstungsvertrag für strategische Nuklearwaffen mit Russland, den New-Start-Vertrag von 2011, als einen für die USA schlechten Vertrag bezeichnet. All das ist natürlich gar nicht im Sinne Russlands, von russischer Seite hat man gesagt, man werde sich nicht auf ein neues Wettrüsten einlassen, sondern nur soweit rüsten, um nuklear auf Augenhöhe mit den USA zu sein. Das bedeutet, immer in der Lage zu sein, die USA in einem Zweitschlag zu vernichten, sollten die Vereinigten Staaten einen Erstschlag gegen Russland durchführen.

Gehen wir nochmals zum Verhältnis zwischen der EU und Russland zurück …

Man muss sich mit den Ursachen des gegenseitigen Misstrauens beschäftigen. Und man muss den Dialog wieder suchen, um Vertrauen aufbauen zu können; seit März 2014 sind ja alle offiziellen Treffen zwischen der Europäischen Union und Russland abgesagt. So kommen wir nicht weiter, ich bin der Ansicht, dass wir dringend stärker gemeinsame Interessen voranstellen und nicht über gemeinsame Werte diskutieren sollten. Denn die Demokratisierung Russlands, so notwendig sie auch ist, ist keine Aufgabe der Europäischen Union, es ist Aufgabe der Russen und Russinnen selbst. Die Beziehungen zu Russland also davon abhängig zu machen, wie sehr Russland eine Demokratie ist, ist keine fruchtbare Herangehensweise. Denn die Europäische Union kann die Ereignisse in Russland nicht beeinflussen. Warum sollten wir also so tun, als ob wir etwas könnten, was wir nicht können? Und im Übrigen spricht die EU gegenüber anderen Staaten ja auch nicht viel von Werten. Wenn wir bei Russland schon die Werte so in den Vordergrund stellen und unsere Beziehungen von der Erfüllung dieser Werte abhängig machen, warum machen wir das dann nicht gegenüber China, Saudi-Arabien, gegenüber dem Iran und gegenüber der Türkei auch so?

Wird Russland da mit anderen Augen gemessen?

Ich sehe eine Widersprüchlichkeit der europäischen Politik und die ist nicht vernünftig. Russland ist der wichtigste Nachbar der Europäischen Union. Keine engen Beziehungen zu Russland zu haben, ist keine Option. Ich sage aber auch, dass man an diese Frage nicht mit Naivität herangehen darf, mit Blauäugigkeit oder mit übertriebener Großzügigkeit, indem man Vorleistungen macht, ohne dafür etwas zu bekommen. Es braucht eine realistische, eine auf einen langen Atem ausgerichtete Politik. Aber wir müssen zurück ins Gespräch kommen, wir brauchen den Dialog, denn ohne Dialog gibt es kein Vertrauen. Und derzeit haben wir völligen Vertrauensverlust. Auf beiden Seiten.

Und die Sanktionen gegen Russland haben die Entfremdung vergrößert.

Die Sanktionen haben der russischen Wirtschaft nicht allzu stark, aber doch geschadet; der Großteil der Rezession der russischen Wirtschaft ist auf den Verfall der Energiepreise und ein schlechtes Investitionsklima zurückzuführen. Politisch aber haben sie nicht das gebracht, was sich der Westen erwartet hat: Russland hat seine Politik in der Ukrainekrise nicht verändert, ganz im Gegenteil: Russland hat seine Politik sogar verschärft. Die Sanktionen sind in dieser Hinsicht also ergebnislos geblieben und trotzdem hält man an einer Politik fest, die gescheitert ist. Dazu kommt, dass das Minsk-II-Abkommen, das Frankreich, Deutschland, Russland und die Ukraine geschlossen haben, um einen Waffenstillstand herbeizuführen und den Konflikt in der Ostukraine politisch zu lösen, gescheitert ist – weil weder die ukrainische noch die russische Seite bereit ist, alle Bestimmungen umzusetzen. Die Sanktionen aber sollen erst aufgehoben werden, wenn das Abkommen umgesetzt ist. Es ist also eine höchst eigentümliche Position: Es gibt Sanktionen gegen Russland, die nichts bewirken und ergebnislos sind, trotzdem werden sie aufrecht erhalten, bis ein politisches Abkommen umgesetzt sein wird, das die Konfliktparteien gar nicht mehr umsetzen wollen.

Sie sagten jüngst in einem Interview, Europa sei in der Russland-Frage ‚heuchlerisch‘.

Ich habe gesagt, dass sich Russland nicht in die Innenpolitik von Staaten der Europäischen Union einmischen soll. Ich habe aber gleichzeitig gesagt, dass der Westen das jahrzehntelang umgekehrt gemacht hat: Der Westen hat sich in die Innenpolitik Russlands eingemischt, hat dort liberale NGOs und liberale Parteien unterstützt. Natürlich können einem liberale Parteien sympathischer sein als nationalistische, keine Frage. Aber das Prinzip ist dasselbe: Einmischung bleibt Einmischung. Und für sich das Recht auf Einmischung zu fordern, den Russen das Recht auf Einmischung aber abzusprechen, das ist heuchlerisch.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

*www.gerhard-mangott.at

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