Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Keine Toleranz den Intoleranten“

Dezember 2016

Alexander Kissler (47), Kulturchef des Berliner Polit-Magazins „Cicero“ und Buchautor, sagt im Interview mit „Thema Vorarlberg“, dass dem Westen von radikalen Islamisten der Krieg erklärt worden sei, der Westen sich aber in vollkommen falsch verstandener Toleranz übe. Toleranz brauche Haltung, brauche einen Standpunkt und brauche Grenzen, sagt Kissler: „Und Forderungen nach Abschaffung des Westens, Forderungen nach Unterwerfung unter ein rigides Moralregiment islamischer Herkunft haben im Westen kein Recht auf Toleranz.“

Sie beginnen Ihr Buch mit dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“, schreiben, dass der Terror das Herz des alten Kontinents erreicht habe und von jetzt an nichts mehr heilen werde.

Das blutige Attentat auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ war für mich ein Zeitenwechsel. Mit Paris wurde nicht nur die Stadt der Liebe, sondern auch die Stadt der Freiheit getroffen. Es war ein Zeitenwechsel, weil Menschen ermordet wurden, die einfach das getan hatten, worauf auch mein Leben basiert: die eigene Meinung frei zu äußern. Gewiss, die Zeitschrift „Charlie Hebdo“ ist auf hämische Art und Weise mit Religionen umgegangen und hat den Islam nicht verschont. Aber die Tat der Redakteure war nur eine Tat des Wortes und des Bildes, eine Meinungsäußerung. Dass sie dafür mit ihrem Leben bezahlen mussten, das wollte und will mir nicht in den Kopf.

Die Karikaturisten haben –  es ist beklemmend genug, das zu sagen – zumindest geahnt, dass sie sich mit ihrem Spott einem bestimmten Risiko aussetzen. Was aber gilt nach den Anschlägen auf das Bataclan, in Nizza und Brüssel? Als zufällig anwesende Menschen Ziel wurden?

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der islamistische Terror total geworden ist. Er will die gesamte freie Welt in eine Zone islamistischer Gewaltherrschaft verwandeln. Dabei stehen ihm alle im Weg – Gläubige, Ungläubige, Muslime, Nichtmuslime –, die dieser Drohung die Freiheit der Meinung, die Freiheit des Glaubens oder Nicht-Glaubens entgegenhalten. Jeder, der an seinen individuellen Freiheiten festhält, ist ein potenzielles Opfer islamistischer Freiheitsfeinde.

Sie formulierten den einprägsamen Satz: „Das Perfide am Terrorismus ist‚ dass er als momentane Sorge in uns hineinkriecht und als ewige Drohung triumphiert.“

Ja, man sieht sich selbst schon gedanklich auf die Schlachtbank geführt: weil auch ich ein Arbeiter des Geistes bin, ein Arbeiter des Wortes, ein Bürger des freien Westens. Und weil ich möchte, dass der Westen westlich bleibt und frei, weil ich möchte, dass die Republik, in der ich lebe, eine freie demokratische Republik bleibt. Insofern bin ich ein potenzielles Opfer und kann diese Drohung seit „Charlie Hebdo“ nicht vergessen.

Aber dann hätten die Terroristen ihr Ziel doch erreicht: Angst zu erzeugen – bei allen Menschen.

Die Islamisten hätten ihr Ziel in dem Moment erreicht, in dem uns die Angst lähmen und permanent unfrei machen würde, im Handeln wie im Denken. So weit ist es noch nicht. Nach einer Weile verdrängt der Mensch, man stürzt sich in die kräftigenden Arme des Alltags, versucht, sein Leben einzurichten, als hätte es keinen dieser Anschläge gegeben. Aber die Bilder des realen Grauens zwischen „9/11“ und „Charlie Hebdo“ bleiben bestehen. Sie können jederzeit aufgerufen werden.

Sie erheben Ihre Stimme dagegen, mit Ihrem Buch, Ihrem Manifest „Keine Toleranz den Intoleranten“. Ist Ihnen dieser Aufruf, diese Mahnung wichtig?

An vielen verschiedenen Stellen, nicht nur in meinem Buch, gibt es Bekenntnisse zu dieser Freiheit. Die Einsicht wächst, dass Meinungsfreiheit, die Luft, die wir atmen, schwer errungen wurde – und dass wir sie heute vielleicht wieder neu erringen müssen.

Sie nennen die Ansicht, dass keine Religion für Terrorismus verantwortlich sei, himmelschreienden Unsinn. Warum?

Weil Terroristen, die vorgeben, aus religiösen Gründen zu morden, ihr mörderisches Handwerk im Rahmen eines konkreten religiösen Motivfeldes tun. Wenn wir heute von religiösem Terrorismus sprechen, meinen wir fast immer islamischen Terrorismus. Der Kausalnexus zwischen Islam und Radikalislam ist zu offensichtlich, als dass er negiert werden dürfte. Der Islam ist die Weltreligion derer, die an Mohammed als gottgesandten Propheten glauben und an einen starken Monotheismus, wie er nur im Koran grundgelegt sei. Diese fundamentale Annahme, dass es keinen Gott außer Allah gebe und Mohammed sein Prophet sei, wird von allen Muslimen geteilt. Aus diesem Motivgeflecht gehen der fromme Muslim hervor, der religiös desinteressierte und der extremistische Muslim. Wir müssen, wenn wir diese Bedrohung des Westens begreifen wollen, über den Islam reden. Wir müssen begreifen, dass der Islamismus eine Kampfansage an den Westen ist. Der Islamismus wird sich erst dann zufriedengeben, wenn der Westen nicht mehr existiert, wenn aus den freien Republiken ein islamisches Einheitsreich geworden ist.

Was uns zum eigentlichen Thema Ihres Buchs „Keine Toleranz den Intoleranten“ bringt.

Man sollte und kann mit allen Menschen reden, unbeschadet ihrer Herkunft, ihres Glaubens. Aber Toleranz hat Grenzen. Wir müssen die Grenze dessen markieren, was wir tolerieren, was wir für verhandelbar halten – und was nicht. Forderungen nach Unterwerfung unter ein rigides Moralregiment islamischer Herkunft haben kein Recht auf Toleranz.

Sie widmen Voltaire und Locke breiten Raum. Warum gerade diesen beiden Denkern?

Es gibt mindestens zwei klassische Urkunden des westlichen Toleranzdenkens, John Lockes „Brief über Toleranz“ von 1689 und Voltaires Abhandlung „Über die Toleranz“ von 1763. Aus beiden Schriften können wir lernen, dass Toleranz Haltung braucht, dass sie einen Standpunkt und ergo auch Grenzen braucht. Bei Locke ist die Toleranz in die bürgerliche Gesellschaft eingeordnet, bei Voltaire gibt es die schöne Formulierung, Toleranz heiße, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. Dass wir das, was wir ablehnen, dennoch ertragen – aus Einsicht in ein höheres Gut, das Allgemeinwohl. Das ist Toleranz. Toleranz heißt nicht Beliebigkeit, nicht Ignoranz und schon gar nicht Applaus. In welch falsche Richtung sich der Toleranzbegriff entwickeln kann, haben wir gerade bei der Debatte um eine vollverschleierte Schweizer Muslimin gesehen, die zu Gast in der ARD-Talkshow „Anne Will“ war. Danach beschwerte sie sich über den Umgang mit ihr in der Sendung und später in den Medien. Diese fundamentalistische Muslimin sagte, sie erwarte, dass ihre Werte toleriert würden. Nein! Das ist die Grenze der Toleranz. Der Wert, der sich dadurch ausdrückt, dass man sich vollverschleiert in eine Sendung setzt, muss nicht toleriert werden.

In welchen Fällen übt sich denn der Westen in dieser falsch verstandenen Toleranz?

Wo eine religiös begründete Sondermoral, die im Gegensatz steht zu westlichen Werten, den Segen von Justiz und Politik bekommt, übt sich der Westen in falsch verstandener Toleranz. In Berlin entschied das Kammergericht, dass ein Vater, ein Ägypter, seinen Sohn „Dschihad“ nennen darf. Dass der Staat anerkennt, dass ein Kind „Heiliger Krieg“ genannt wird, markiert die Bruchstelle zwischen Toleranz und Unterwerfung. Der Vater dieses kleinen „Dschihad“ hat sich wenig später nach Syrien aufgemacht und ist dort zum sogenannten Bildungsminister des „Islamischen Staats“ avanciert. Der Westen übt sich auch dann in falsch verstandener Toleranz, wenn, wie gerade in Niedersachsen geschehen, ein vollverschleiertes Mädchen weiterhin am Schulunterricht der zehnten Klasse teilnehmen darf. Eine vollverschleierte Frau oder ein Mädchen mit Niqab in der Öffentlichkeit ist eine Kampfansage an unsere westliche freiheitlich-plurale Gesellschaft. Insofern hat eine vollverschleierte Frau weder in Talkshows noch an Schulen etwas zu suchen. Falsch verstandene Toleranz liegt auch dann vor, wenn mit dem unbestrittenen Recht auf Religionsausübung und den Bau von religiösen Versammlungsräumen das Recht auf den Ruf des Muezzins einherginge. Das wäre abermals dieser eine Schritt zu viel. Das wäre Kapitulation, nicht Integration.

Inwiefern?

Selbstverständlich dürfen Muslime beten, auch in der Öffentlichkeit, dürfen Moscheen bauen, mit oder ohne Minarett. Aber der Ruf des Muezzins hat besitzanzeigenden Charakter. Er ruft das muslimische Glaubensbekenntnis, wonach es keinen Gott außer Allah gebe und Mohammed dessen Prophet sei. Der Ruf des Muezzins ist ein über Getaufte und Ungetaufte, Gläubige wie Ungläubige herniedergehendes Glaubensbekenntnis des Islams, letztlich ein Herrschaftsanspruch. Wo er erklingt, da ist die Umma. Darin liegt der Unterschied zum Glockengeläut von Kirchtürmen. Glockentöne sind nonverbale Aussagen. Man kann sie säkular deuten, als Zeitansagen, obwohl sie natürlich auch zur Sterbestunde Jesu läuten und zum Gottesdienst einladen. Vergleichbar mit dem Ruf des Muezzins wäre es, wenn von Kirchtürmen und über Lautsprecher das christliche Glaubensbekenntnis ertönte: „Credo in unum deum …“ Ich bin Katholik. Aber da wäre ich dagegen.

Sie schreiben, dass dem Westen der Krieg erklärt worden ist. Nur scheint das vielen gar nicht bewusst zu sein …

Dem Westen ist von radikalen Islamisten der Krieg erklärt worden. Wo Westen war, soll Islamismus werden. Das ist eine bedrückende, gefährliche Entwicklung, die in ihrer ganzen Dimension noch nicht erkannt worden ist. Der Westen beruht auf der Pluralität der Ansichten und Meinungen. Er ist gewissermaßen eine Weltanschauung der Weltanschauungen. Insofern hat jede Weltanschauung unbeschadet ihres Wahrheitsgehalts das gleiche Daseinsrecht. Das macht es aber schwer, Grenzen der Weltanschauungen zu definieren, jenseits derer sie eben nicht mehr tolerabel sind. Wenn wir den Fehler machen, in den Dominanzansprüchen radikaler Muslime eine legitime Äußerung von Religion zu sehen, unterwerfen wir uns. Glaubensfreiheit, schrieb unlängst der Historiker David Engels, könne letztlich „nur für Religionen gelten, die wie das Christentum den Ablösungsprozess von Staat und Gesellschaft schon hinter sich haben. Auf Religionen wie den Islam bezogen führt Religionsfreiheit notwendigerweise zur Bestätigung des jeweiligen religiösen Gesamtmodells und somit zur Selbstauflösung der Laizität selbst.“ Auch wenn wir Theaterstücke absagen, weil wir fürchten, sonst einen bestimmten Personenkreis besonders zu reizen, unterwerfen wir uns.

Der Westen ist an vielen Stellen zur Vereinigung von Menschen geworden, denen alles egal ist, solange sie niemand beim Lebensgenuss und dessen Verdauung stört. Wir Menschen des freien Westens müssen wieder lernen, dass die wirtschaftlichen Erfolge, auf die wir stolz sind, dass die Prosperität, die wir genießen, dass die Freiheit, in der wir groß geworden sind und die wir irrig für selbstverständlich halten, Ergebnisse des westlichen Menschenbildes sind. Man kann sich lange darüber unterhalten, inwieweit der Westen seiner eigenen Ideengeschichte treu geblieben ist, aber dass diese abendländischen Prinzipien unser westliches Leben erst ermöglicht haben, ist unbestreitbar. Als Vereinigung luxusgewöhnter Hedonisten wird der Westen nicht bestehen können. Wer den Feinden der Freiheit applaudiert, hat diese schon verspielt.

Und da kommen Politiker, Medien, Entscheidungsträger ins Spiel. Die Linke, schrieben Sie jüngst in Ihrer Kolumne bei cicero.de, habe den Bezug zur Wirklichkeit verloren.

Die Salon-Linken, das Bionade-Biedermeier, ja. Es gibt Menschen mit gutem Einkommen, die sich eine linke Lebenshaltung wie ein Feinkostprodukt leisten, weil sie deren Nebenfolgen nicht zu tragen haben. Die politische Linke beklagt globale Ungerechtigkeiten weitaus stärker als das Elend vor der Haustür. Doch eine Denkweise, die nur noch in wohltemperierten, weich gepolsterten Wohnzimmern oder Redaktionsstuben gedeiht und nicht den offenen Blick hat für das Leben in den pulsierenden, manchmal auch verschmutzten, verdreckten, gefährlichen Straßen, eine solche Lebenshaltung hat mit der Wirklichkeit abgeschlossen – und wird die Quittung bekommen. Wir erleben gerade im Zuge der Flüchtlingskrise ein großes Beschwichtigungstheater, das in der veröffentlichten Meinung täglich neu aufgeführt wird. Dabei ist es an der Zeit, dass wir in Ansehung des Islams wie in Ansehung anderer, real vorhandener Pro­bleme auch negative Entwicklungen aussprechen können und Verantwortungen zuordnen. Mit den Flüchtlingsströmen gehen enorme Schwierigkeiten einher, und diese Schwierigkeiten haben auch eine religiöse Komponente. Wir werden zu keiner Integration gelangen, wenn wir die Probleme nicht benennen und beantworten. Allein darauf zu vertrauen, dass jene Menschen, die in den Westen kommen, Gutes im Sinne führen, weil man bemüht ist, gut mit ihnen umzugehen, könnte eine gefährliche Illusion sein.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Zur Person Alexander Kissler
leitet seit 2013 das Kulturressort des politischen Monatsmagazins „Cicero“ (Berlin). Er stammt aus Speyer am Rhein und studierte Medienwissenschaft, Germanistik und Neuere Geschichte in Marburg/Lahn. Zuvor arbeitete er als Theaterregisseur. Auch für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die „Süddeutsche Zeitung“ und den „Focus“ schrieb er zahlreiche Artikel. Er verfasste rund ein Dutzend Sachbücher, darunter „Dummgeglotzt – Wie das Fernsehen uns verblödet“. Wöchentlich erscheint bei cicero.de sein Kommentar zum Zeitgeschehen, „Kisslers Konter“.

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