Christof Skala

"Neue Wege braucht das Land" Ein paar grundsätzliche Anmerkungen

November 2016

Im „Thema Vorarlberg“-Artikel „Neue Wege braucht das Land“ werden Landesstatthalter Karlheinz Rüdisser und Landesrat Johannes Rauch zitiert, wonach es einer adäquaten Verbindungsstraße zwischen den beiden Rheintalautobahnen bedürfe. Dies ist als eine der beiden zentralen Schwachstellen des Vorarlberger Verkehrssystems erkannt. Dem dürfte wohl kaum jemand widersprechen. Die Analyse sollte aber um die Frage ergänzt werden, wieso diese Schwachstelle bis dato nicht beseitigt wurde, und es sollte einmal fundiert aufgezeigt und transparent gemacht werden, wer dafür die Verantwortung trägt.

Die Zurverfügungstellung einer leistungsfähigen Infrastruktur für die Gesellschaft – die Wirtschaft ist ein wichtiger Teil für deren Funktionieren, nicht umgekehrt – ist eine der Kern­aufgaben der öffentlichen Hand und der über unser demokratisches System legitimierten Volksvertretung. Letztere ist erfinderisch in der Darstellung, wieso etwas nicht funktioniert oder funktionieren kann und warum derartige Defizite und Mängel noch immer bestehen. Der Anspruch der Gesellschaft an das Führungsboard lautet aber genau auf Erledigung der zentralen staatlichen Hausaufgaben. Für eine wirklich wirksame und vor allem zeitgerechte Umsetzung fehlt leider oft die Einforderung des Anspruchs durch den Souverän. Von der analytischen Selbsterkenntnis (Schritt eins) muss die vorhandene Energie auf den wichtigeren zweiten Schritt konzentriert werden: Was muss von wem, wie und wann getan werden, um das Defizit oder den Mangel zu beseitigen? Auch hier wird auf Nachfrage von den Legitimierten vielfach die Antwort kommen, warum etwas bisher nicht geschehen ist oder nicht geschehen konnte. Derartige Aussagen gehören aber freilich zu Schritt eins (Analyse) und bringen keine Lösung für eine herausfordernde Aufgabenstellung.

Liegt es also an der Politik? Sicherlich auch, aber nicht nur. Politik darf nämlich aufgrund der vielschichtigen Komplexität unserer Welt schon lange nicht mehr auf sich allein gestellt bleiben, wenn es um die Lösung großer gesellschaftlicher Herausforderungen geht. Dazu bedarf es aktueller denn je einerseits eines eitelkeitsbefreiten, überparteilichen politischen Lösungswillens, andererseits des aktiven Engagements des Einzelnen, der im Bereich seiner Möglichkeiten spezifisches Know-how und Erfahrung einbringen kann und sollte – also das Gegenteil von „erste Reihe fußfrei“ zusehen, von aus der sicheren Distanz „in den Raum hineinschimpfen“ und bloße Forderungen stellen, ohne einen eigenen Beitrag zur Verbesserung zu leisten.

Die zweite Schwachstelle im Verkehrssystem Vorarlbergs wird in der Einleitung des „Thema Vorarlberg“-Artikels mit „Das Bahnangebot ist Richtung Deutschland ein Fiasko“ erwähnt und auf Seite 11 mit weiteren Aussagen von Landesstatthalter Rüdisser ergänzt: „Es gibt im angrenzenden deutschen Gebiet keine Eisenbahninfrastruktur, wie man sie sich im 21. Jahrhundert vorstellen würde. […] Doch dazu brauchen wir die deutschen Partner.“ Die Autoren des Artikels schreiben: „Doch wird die ÖBB gefordert sein, ihre Preispolitik zu hinterfragen.“ Die zweite Schwachstelle betrifft also die Bahn, oder genauer: die Deutsche Bahn.

Ob der Herr Landesstatthalter noch weitere Aussagen zu diesem Thema getätigt hat, die korrekterweise hätten erwähnt werden müssen, ist mir nicht bekannt. Jedenfalls veranlassen mich die Aussagen zu einer Ergänzung, damit das gezeichnete Bild der Wirklichkeit einiges näher kommt. Richtig ist, dass bis vor Kurzem der süddeutsche Raum eisenbahntechnisch im 19. Jahrhundert stehengeblieben war. Dies wird sich aber glücklicherweise in den nächsten vier oder fünf Jahren einschneidend ändern, indem die Strecken von Lindau Richtung Ulm und Richtung München nicht nur elektrifiziert, sondern streckentechnisch so weit ertüchtigt werden, dass die Trassen bald von sehr langen Güterzügen (500 Meter und länger) und Personenzügen mit hoher Geschwindigkeit (bis 160 km/h) befahren werden können – ein durchaus erfreulicher, wenn auch längst notwendiger Entwicklungsschritt für die Bodenseeregion.

Auf journalistische Anfrage im „Thema Vorarlberg“-Artikel kommt von der Landespolitik die eingangs erwähnte Analyse: Nicht wir in Vorarlberg sind das Problem, sondern andere (die deutschen Partner, die ÖBB …), die unsere Bestrebungen nicht unterstützen. Die eigentliche Aufgabe der Politik ist vorhin erwähnt. Im konkreten Fall müssen die erforderlichen Partner für die Lösung oder für unsere Anliegen eben gewonnen werden, um den gewünschten Nutzen zu generieren. Nicht nur im Unternehmen, sondern auch in der Volkswirtschaft zählt schlussendlich nur das Ergebnis, nicht der (vielleicht viel zu zaghafte) Versuch.

Etwas befremdlich wirkt auch, dass sich die zuständigen Politiker nicht an ihren eigenen einstimmigen Landtagsbeschluss vom Mai 2016 über den grenz­überschreitenden Ausbau der Bahn­infrastruktur erinnern (wollen), weshalb dieser wahrscheinlich auch im „Thema Vorarlberg“-Artikel unerwähnt blieb. Zugegeben, dieser Landtagsbeschluss wurde von der Genossenschaft Mehramsee im September 2014 initiiert (im Sinne einer konstruktiven Mitarbeit und Unterstützung von mitdenkenden Bürgern, wie zuvor angesprochen). Die Umsetzungsverantwortung nach erfolgter Beschlussfassung liegt nun in erster Linie bei der Landesregierung und beim Landtag. Dass bei künftig zunehmendem Schienenverkehr eingleisige Streckenabschnitte wie beispielsweise Bregenz–Lochau auf österreichischer Seite schon sehr bald nicht mehr ausreichen werden, also Kapazitätsengpässe auftreten werden, müsste doch zumindest dazu führen, dass sich die Landespolitik einer zeitnahen sachlichen Aufarbeitung und der Lösung dieser „Problemstellen“ im eigenen Land nicht verschließt. Wieso und für wen der Bahnausbau gut sein soll, hat Mehramsee öffentlich einsehbar formuliert.

Tatsache ist, dass die Eisenbahninfrastruktur im süddeutschen Raum in absehbarer Zeit, sprich in fünf Jahren, im 21. Jahrhundert ganz gut angekommen sein wird, das Schienennadelöhr auf Vor­arlberger Seite Richtung Deutschland aber nicht. Dass „die Politik die Probleme erkannt hat“, reicht logischerweise für deren Behebung nicht aus. Verkehrsprobleme nachhaltig, umwelt- und raumschonend zu vertretbaren volkswirtschaftlichen Kosten zu lösen, ist und bleibt eine permanente Herausforderung. Aufgrund der jahrelangen Vorbereitungszeiten bei großen Verkehrs­infrastrukturinvestitionen lautet das Gebot, sich der Aufgabe aktiv im Hier und Jetzt zu stellen. Dass allenfalls die deutschen Partner, die Deutsche Bahn, die ÖBB, der Bund und andere verhindern oder behindern, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir durch wirksames Handeln sehr vieles selbst in der Hand haben. Eine Gesellschaft ist letzten Endes umso erfolgreicher, je besser sie es versteht, die in ihr vorhandenen Potenziale (an Wissen, Erfahrungen …) konstruktiv für das Allgemeinwohl zu nutzen und dafür die Kräfte zu bündeln. Wenn wir diese Anregung gemeinsam als Chance (und nicht als Bedrohung von Einzelinteressen) begreifen, finden wir auch bei der Behebung von Defiziten in der Verkehrsinfrastruktur wieder auf die Erfolgsspur.

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