Herbert Motter

„NEW DEAL“ für den ländlichen Raum

September 2016

Der Vorarlberger Regional- und Standortmanager Gerald Mathis gilt österreichweit als Experte für die Zukunftssicherung des ländlichen Raums. Dabei geht es ihm nicht nur um strukturpolitische Themen, sondern besonders um gesellschaftspolitische Umwälzungen.

Immer mehr Fachleute und Autoren weisen darauf hin: „Rechts wählt, wer soziale und finanzielle Abstiegsängste hat und wenige Perspektiven vorfindet. Vor allem die Menschen auf dem Land haben sich in ganz Europa mehrheitlich für rechtspopulistische Parteien entschieden. Das ist einerseits erschreckend, bezeichnet aber die Situation und die Disparitäten zwischen Stadt und Land nur zu gut.“ Der „Spiegel“ etwa schreibt in seiner Online-Ausgabe: „Aus der Idylle entspringt der Zorn. Wo man es am wenigsten vermuten sollte, braut sich ein politisches Beben zusammen: Ländliche Regionen entscheiden Wahlen, überraschen Experten und verändern den Kurs ganzer Nationen.“

Mehr als die Hälfte der österreichischen Bevölkerung hat ihren Lebensmittelpunkt in einer Gemeinde im ländlichen Raum. „Wir reden hier also nicht von Nebenschauplätzen.“ Der Vorstand des Instituts für Standort-, Regional- und Kommunalentwicklung (ISK) in Dornbirn, Gerald Mathis, plädiert daher für einen „New Deal ländlicher Raum“. Ein solcher New Deal impliziert vor allem eines – die Schaffung von Jobs. Vor allem im ländlichen Raum gibt es nur mit Arbeitsplätzen in zumutbarer Entfernung – oder, wie das ISK es formuliert: in einer „auspendelqualitativen Entfernung“ – auch Zukunft und Perspektiven.

Nur mit diesen Arbeitsplätzen kann die Daseinsvorsorge der Menschen im ländlichen Raum gesichert werden. Ist dem nicht so, kann die Infrastruktur nicht mehr flächendeckend gewährleistet werden, da die kritische Masse fehlt, um zum Beispiel den öffentlichen Nahverkehr und andere Dienstleistungsangebote aufrechtzuerhalten. Das schwächt die Attraktivität der Region. Weniger Unternehmen siedeln sich an, die Zahl der Arbeitsplätze sinkt weiter, wodurch immer mehr Menschen in die Städte ziehen. Ohne entsprechende infrastrukturelle Versorgung nütze es auch nichts, jungen Menschen die Grundstücke quasi nachzuwerfen, wie es immer wieder vorkommt, um der Ausdünnung entgegenwirken zu wollen.

Ein negatives Bevölkerungswachstum setzt eine Negativspirale in Gang. Einerseits, weil ohne eine regionale Wirtschaft auch keine direkten Steuern in die Gemeindekassen gespült werden, andererseits dient die Einwohnerzahl als Basis für den Finanzausgleich, die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen. Knapp zwei Millionen Menschen pendeln täglich zu ihren Arbeitsplätzen in den Ballungsräumen. Diesem zentralen Problem wird im Rahmen der klassischen Regionalentwicklung kaum oder überhaupt nicht Rechnung getragen. Mathis kritisiert, dass tatsächlich meist nur primär „flache pragmatische Lösungsversuche“ initiiert werden, die jedoch nicht den Kern des Problems treffen.

Schwächen der Regionalentwicklung

Mathis ortet Schwächen auch im Fördersystem. Primärer Fördergeldempfänger ist immer noch die Landwirtschaft, und das, obwohl die Landwirtschaft keine Arbeitsplätze schafft, außer in der Wertschöpfungskette. „Keine Frage, die Landwirtschaft gehört als Nahrungsmittelerzeuger, Landschaftspfleger und historischer Träger des ländlichen Raums unterstützt, doch ist gerade die Wirtschaftsentwicklung das Stiefkind der Regionalentwicklung.“ Man orientiere sich nur an den Finanzierungen, die aus Brüssel angeboten werden – und setze darauf Projekte auf –, und nicht an den tatsächlichen Problemen.

Ein Fehler sei es auch, dass Regionalentwicklung oft ohne Einbindung von Ökonomen passiert. Dazu Mathis: „Gemeinde- und Regionalentwicklung ist nicht Raumplanung allein. Das wäre, wie wenn man sagt, Wirtschaft besteht aus Architekten, die ein Betriebsgebäude errichten. Aber das ist nicht das Unternehmen.“ So liegen denn auch die klassischen Schwerpunkte der Regionalentwicklung im raumplanerischen, ökologischen, agrokulturellen, architektonischen, touristischen und soziologischen Bereich. „Es werden Fuß- und Wasserwanderwege konzipiert, Leitsysteme prämiert, Alp- und Vorsäßregionen gerettet, Alpinforschung betrieben, Kulinarikangebote, Naturparks und Dorfkerne entwickelt, für die es dann keine Einwohner mehr gibt, weil es am Notwendigsten fehlt – den Arbeitsplätzen. Wir laufen so Gefahr, am Ende nur noch riesige regionale Museumslandschaften zu fördern, die wir dann chinesischen Touristen als alpine Attraktionen vorzeigen können“, warnt der Regionalentwickler.

Vorarlberg im Vorteil

Vorarlberg, und das sagt Mathis bewusst, ist im Vergleich zu bestimmten Regionen Österreichs von den Entwicklungschancen her weit weniger benachteiligt. „Die geografischen Gegebenheiten schützen uns derzeit noch vor allzu dramatischen gesellschaftspolitischen Verschiebungen. Bei uns herrschen im ländlichen Raum unterschiedliche Ansprüche, die wir dennoch ernst nehmen müssen. Das Rheintal ist quasi ein urbanes Gebiet. Dort erleben wir Probleme nicht in der Intensität wie etwa im Montafon, das mit einer negativen Bevölkerungsentwicklung konfrontiert ist.“ Der Bregenzerwald gilt hingegen als ländlich stabiles Gebiet mit vielen standortsoziologischen und soziokulturellen Vorteilen. Hier finden überkommunale Entwicklungsansätze in der beschriebenen Form bereits statt.
Sechs Postulate hat ISK-Vorstand Gerald Mathis mit seinem Team ausgearbeitet, um dem ländlichen Raum in Österreich neues Leben einzuhauchen. Es geht darum, den richtigen Nährboden und die Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Entwicklung und die Entstehung von Jobs zu schaffen und sicherzustellen. Konkret spricht er von Unternehmensgründungen und Ansiedelungen, Schaffung von kreativen, unternehmerischen Milieus, der Sicherung bestehender Betriebe und einem damit verbundenen professionellen Flächenmanagement, Mobilität und Erreichbarkeit, dem Ausbau von schnellem Internet als Standortfaktor, Management für leistbaren Wohnraum („damit die Gemeinden die Wohnbauentwicklung wieder in die Hände bekommen“), der notwendigen Infrastruktur für Freizeitaktivitäten, der Entwicklung von innen heraus (Bottom-up-Prinzip) und neuen Formen der interkommunalen und regionalen Zusammenarbeit.

„Es ist an der Zeit, den ländlichen Raum als jenen attraktiven Lebensraum zu erkennen, der er letztlich ist, und gleichzeitig dessen wirtschaftliche Entwicklung zielgerichtet und effektiv zu fördern. Dazu bedarf es aber neuer Ansätze und Vorgehensweisen – und auch der Courage, Altes über Bord zu werfen. Damit schaffen wir nicht nur neuen Mut und Perspektiven für die ländlichen Räume, wir nehmen letztendlich auch den Druck von den städtischen Agglomerationen“, betont Gerald Mathis.

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