Hans-Peter Metzler

Alt-Präsident der Wirtschaftskammer Vorarlberg

(Foto: ©Markus Gmeiner)

Nutzt die Chance, nutzt die Zeit!

Juli 2017

Im Interview in dieser Ausgabe vergleicht Hans-Peter Siebenhaar, Korrespondent des „Handelsblatts“ in Wien, die österreichische und die deutsche Politik. Einer der großen Unterschiede, sagt Siebenhaar, sei der Umstand, dass die deutsche Koalition auch in Wahlkampfzeiten noch den Willen und das Vermögen habe, zu konstruktiven Lösungen zu kommen: „Bei aller Unterschiedlichkeit zwischen den beiden Koalitionsparteien paralysiert sich die große Koalition in Berlin nicht gegenseitig.“ In Österreich? Ist alles anders. Wie sehr sich die Koalitionsparteien hierzulande paralysieren, wie sehr sich unsere noch amtierende Bundesregierung überholt hat, wurde erst jüngst wieder sichtbar – an der Bildungsreform. Was da beschlossen wurde, war bestenfalls der Kompromiss eines Kompromisses und beileibe kein Beweis von Mut, Weitblick oder Courage.

Wer daran zweifelt, muss nur lesen, was strikte Gegner der Gesamtschule von der jüngsten Entwicklung halten: Sie sind zufrieden! Äußerst zufrieden! „Gut ist es gegangen, nichts ist geschehen“, schrieb etwa der einstige Wiener ÖVP-Obmann Bernhard Görg in der „Presse“, „die Hürden für die Einführung dieser Schulform sind einfach zu hoch, als dass sie je übersprungen werden könnten“. Doch auch Görg rügte die Vorgehensweise; was da beschlossen worden sei, sagte er, lasse sich treffend als „Dokumentation politischer Feigheit“ beschreiben – weder als Entscheidung in die eine noch in die andere Richtung. Acht bis zehn Jahre werden alleine die Vorbereitungen zur Einführung einer Modellregion in Vorarlberg in Anspruch nehmen und ob dann Eltern und Lehrer der Sache zustimmen werden, ist zum derzeitigen Zeitpunkt vollkommen offen. Es braucht, zur Einführung, ein Ja von Eltern und Schülern; es lässt sich also nicht abschätzen, wie viele der zehn Vorarlberger AHS mit Unterstufe sich an einer solchen Modellregion auch tatsächlich beteiligen werden.

Und doch ist – aus Vorarlberger Sicht – endlich die Möglichkeit gegeben, nach Jahrzehnten der bildungspolitischen Stagnation notwendige Neuerungen zu schaffen. Indem man, und da mag der erwähnte Zeithorizont auch etwas Gutes haben, unverzüglich damit beginnt, entsprechende Überzeugungsarbeit zu leisten – und Schulen dabei unterstützt, sich zu verändern. Denn mit derselben Vehemenz, mit der in Österreich seit Jahr und Tag über Strukturen und Türschilder gestritten wird, muss endlich auch diskutiert und entschieden werden, was in den Schulen der Zukunft unterrichtet werden soll! Philosoph Richard David Precht sagt in diesem Zusammenhang: „In unserer Gesellschaft ist längst eine gewaltige Revolution im Gange – die Revolution der Digitalisierung. Aber die Schule reagiert nicht darauf. Sie bleibt stehen. Dabei können wir doch Leute für das 21. Jahrhundert nicht mehr nach dem Gusto des 19. Jahrhunderts ausbilden!“ Also, in diesem Sinn: Nutzt die Chance, nutzt die Zeit!

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