Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Politik mit der Angst – Rechtspopulisten auf dem Vormarsch

Oktober 2016

Ruth Wodak (66), Professorin für Sprachwissenschaften und Diskursforschung an der Universität Wien und an der Lancaster University, im Interview mit „Thema Vorarlberg“ über den Vormarsch der Rechtspopulisten, deren Einfluss auf Mediendebatten und die Tatsache, dass rechtspopulistische Argumente in der Bevölkerung immer breiter akzeptiert werden. „Sätze, die vor 20 Jahren noch Skandale ausgelöst hätten, werden heute achselzuckend zur Kenntnis genommen“, sagt Wodak.

Sie machen in Ihrem aktuellen Buch „Politik mit der Angst“ ein grenzüberschreitendes Motto der Rechtspopulisten fest: „Anything goes“, alles geht …

Tja, die postmoderne Welt, in der alles möglich ist … Ich möchte mich zunächst auf Donald Trump beziehen, ein aktuell leider hervorragendes Beispiel. Trump kann sagen, was er will, er kann Unwahrheiten verbreiten, er kann sogar sagen, dass man ihn wählen würde, selbst wenn er jemanden in New York erschießen würde, er kann Leute beleidigen, und es passiert ihm – gar nichts. Ganz im Gegenteil, viele Leute finden das offenbar cool – um das im Jugendjargon zu formulieren. Wer Konventionen bricht, der traut sich in deren Augen was. Diesen Bruch aller Dialog- und Diskurskonventionen, die es bis vor Kurzem in der Politik gab, finden immer mehr Menschen gut. Anything goes …

Sie stellen auch fest, dass Angst zur dominierenden gesellschaftlichen Perspektive geworden sei. Inwiefern?

Mit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 begannen Politiker und Medien, auf große Bedrohungen zu fokussieren, diese teilweise zu übersteigern und als unabwendbare Katastrophen zu beschreiben, denen wir Menschen ohnmächtig gegenüberstehen. In diesen Bedrohungsszenarien wird den Gründen und Argumenten, wie es zu diesen Krisen, etwa der Eurokrise, kam, nur wenig Platz eingeräumt. Genauso wenig werden realistische und konstruktive Lösungsansätze vorgestellt.. Bedrohung dominiert, Angst ist die Folge. Und Rechtspopulisten instrumentalisieren das. Der Wahlkampf in den USA ist beispielhaft dafür. Trumps unglaubliche Bedrohungsszenarien verunmöglichen eine sachliche, auf Komplexität abzielende und lösungsorientierte Debatte. Er folgt dem Muster, dem alle Rechtspopulisten folgen: Bedrohungsszenarien skizzieren, bestimmte Gruppen als Sündenböcke ausgrenzen – und sich dann selbst als den einzig denkmöglichen Retter darstellen. Fazit? Gäbe es die Flüchtlinge nicht, oder in diesem Fall die illegalen Einwanderer in die USA, ginge es uns allen gut und die konstruierte Gefahr wäre abgewendet.

Der starke Mann, der simple Lösungen verspricht …

Ja. Wobei auch Frauen diesem Muster folgen, beispielsweise Marine Le Pen. Dieses Modell ist nicht allein auf Männer beschränkt, es ist die rechtspopulistische Ideologie, die solche Muster bevorzugt.

Sie schreiben: „Wir beobachten eine Normalisierung nationalistischer, fremdenfeindlicher, rassistischer und antisemitischer Rhetorik, die mit Angst arbeitet.“ Ist das nicht eine zu harte Diagnose?

Nein, ich glaube nicht. Normalisierung bedeutet, dass in der breiten Öffentlichkeit bestimmte Muster rechtspopulistischer Politik immer stärker akzeptiert werden. Bestimmte rechtspopulistische Vorschläge und Argumentationen sind von Mainstream-Parteien bereits übernommen worden. Sätze, die vor 20 Jahren noch Skandale ausgelöst hätten, werden heute achselzuckend zur Kenntnis genommen. Wobei man unterscheiden muss: Expliziter Antisemitismus ist in Westeuropa immer noch tabuisiert; rechtspopulistische Parteien in Ungarn, Polen, Russland und der Ukraine tragen Antisemitismus hingegen teilweise offen zur Schau. Gemein ist jedoch allen Rechtspopulisten in Europa, und es gibt aktuell kein Land ohne rechtspopulistische Partei, dass die Nationalismen verstärkt werden und eine Politik der Ausgrenzung betrieben wird, wie es früher nahezu denkunmöglich gewesen wäre. Beispiel Österreich: 1993 haben noch Hunderttausende Österreicher gegen Fremdenfeindlichkeit demonstriert, in der riesigen Kundgebung am Heldenplatz, dem Lichtermeer. Damals hat sich das gesamte offizielle Österreich am Heldenplatz versammelt, mit Ausnahme der FPÖ. Es ist nur schwer vorstellbar, dass es heute noch ein so massives Signal gegen Fremdenfeindlichkeit geben könnte.

Steht die AfD beispielhaft für den Aufstieg der europäischen Rechtspopulisten?

Ja. Deutschland hat heute, was es jahrzehntelang nicht hatte – eine erstarkte rechtspopulistische Partei. Rechts von der CSU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben, hatte Franz Josef Strauß einst gemeint. Und jetzt gibt es die AfD. Und die Pegida. Beide operieren mit Ängsten.

Mit Verlaub: Die Rechtspopulisten schaffen die Ängste nicht. Sie greifen nur die vorhandenen auf.

Vorsicht! Rechtspopulistische Parteien greifen zwar vorhandene Ängste auf, schaffen aber auch Ängste. Rechtspopulisten reproduzieren und produzieren Angst! Beispielsweise mit Gerüchten, die sie in die Welt setzen, mit Lügen, die von sozialen oder traditionellen Medien weiterverbreitet werden. Schauen Sie sich nur die Brexit-Kampagne an – welch unglaubliche Unwahrheiten da in die Welt gesetzt und weiterverbreitet worden sind! Auch in diesem Zusammenhang sei Trump angeführt: Die „Washington Post“ und die „New York Times“ haben Fakten gecheckt und entdeckt, dass unlängst eine einzige Rede von Trump allein 70 Unwahrheiten beinhaltete! Es geht also nicht nur um das Aufgreifen, Verarbeiten und Übertreiben von Ängsten, es geht auch darum, Ängste in die Welt zu setzen.

Vieles dreht sich um die Flüchtlinge. Und da ist es doch wohl so, dass erst Merkels Einwanderungspolitik, illustriert in dem Satz „Wir schaffen das“, Ängste in weiten Teilen der Bevölkerung erzeugt hat. Und diese Ängste sind wiederum der Nährboden für Rechtspopulismus.

Dieser Satz wurde schnell aus dem Zusammenhang gerissen und instrumentalisiert. Denn Merkel sagte dies in einem ganz bestimmten Kontext, zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt – nachdem im August 2015 in einem Lastwagen bei Parndorf 71 Flüchtlinge erstickt waren und nachdem das Bild eines vor Bodrum ertrunkenen Kindes, Aylan Kurdi, die Welt schockiert hatte. Damals, am 31. August 2015, sagte Merkel: „Wir schaffen das.“  Als Tausende in Budapest am Bahnhof gestrandet waren und zu Fuß Richtung Österreich gingen, wurden die Grenzen im Agreement mit Österreich geöffnet, um diesen armen Menschen zu helfen. Das war eine ganz besondere Krisen­situation, eine humanitäre Katastrophe. Wir erinnern uns sicher alle im Nachhinein nur noch an die Zehntausenden, die plötzlich gekommen sind – und an diesen aus dem Kontext gerissenen Satz. In der Folge wurde dieser Satz von den damaligen Ereignissen isoliert und steht heute wie ein „Frame“ für die gesamte Flüchtlingspolitik von Deutschland und, damals, auch von Österreich. Dabei war das nur kurz der Fall, schnell wurden schon im Herbst 2015 Maßnahmen gesetzt, Registrierungen und ein Grenzmanagement eingeführt. Dieser isolierte Satz hat aber auch außerhalb Europas Verbreitung gefunden und wurde fälschlicherweise von vielen Flüchtlingen als Einladung an alle verstanden, nach Europa zu kommen. Unglücklicherweise hat Merkel nicht schnell genug eingeräumt, dass sie sich nur auf diese spezielle Situation bezogen habe. Damit hat sie den Rechtspopulisten in die Hände gespielt. Dieser Satz wird jetzt trotz aller Maßnahmen, die einer unregulierten Flüchtlingsbewegung entgegenwirken, benützt, als Beschreibung dessen, was scheinbar von der deutschen Regierung intendiert wird, was aber tatsächlich so nicht der Fall ist.

Trotzdem sagen viele: Zuwanderung, keine Probleme. Auch kein Terror!

Attentäter finden immer Wege. Denken Sie an den 11. September in den USA! Ich erinnere auch an die PLO-Anschläge in Schwechat, an die Olympischen Spiele in München 1972. Mit dem Versuch, Einwanderung durch Aufziehen von Mauern und Grenzen zu stoppen, wird man den Terror nicht eindämmen können; vor allem wird man die Radikalisierung, die bereits innerhalb Europas passiert ist, nicht stoppen können. Wir wissen ja, dass manche Terroristen der letzten Jahre britische, französische oder belgische Staatsbürger waren. Das ist daher eine zu simple Lösung.

Sie zitieren an einer Stelle den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders: „Der Multikulturalismus hat uns so tolerant gemacht, dass wir auch Intolerante tolerieren.“ Wie kann gegen so einen Satz argumentiert werden?

Wilders Satz muss differenziert beantwortet werden. Es ist wichtig, als demokratische Gesellschaft einen Meinungs­pluralismus zu unterstützen. Eine demokratische Gesellschaft toleriert verschiedene Meinungen, eine demokratische Gesellschaft toleriert auch verschiedene Religionen – solange sie sich an die Rechtsstaatlichkeit halten. Das ist der entscheidende Punkt. In allen Religionen gibt es Fundamentalisten, die intolerant und dogmatisch sind. Wenn nun diese Intoleranz dazu führt, dass sie unsere Gesetze verletzen, dann haben diese Menschen bei uns nichts zu suchen! Wir tolerieren auch dogmatische Meinungen – aber nur solange sie die Rechtsstaatlichkeit nicht verletzen. Dieser Zusatz ist entscheidend, und genau dieser Zusatz fehlt bei Geert Wilders. So suggeriert sein Satz, dass jeder willkommen sei, in dieser Generalisierung: Alle werden akzeptiert, auch wenn es uns selbst wehtut. Das ist natürlich nicht der Fall.

Einer Ihrer Kritikpunkte lautet: Rechtspopulistische Parteien beeinflussen oder lenken Mediendebatten.

Rechtspopulisten gelingt es, durch gezielte Provokationen die Themenführung in den Medien zu besetzen. Ein Beispiel: Heinz Fischer gegen Barbara Rosenkranz, Bundespräsidentenwahl 2010. Rosenkranz hatte zu Beginn der Wahl­auseinandersetzung eine zweideutige Äußerung in Bezug auf NS-Kriegsverbrechen gemacht. Es blieb völlig unklar, ob sie die Existenz von Gaskammern leugnet oder nicht. Rosenkranz berief sich auf den Topos der Redefreiheit. Diese Provokation hat die erste Zeit des Wahlkampfs dominiert. Regierungspolitiker reagierten scharf darauf, der Kardinal meldete sich zu Wort, Rosenkranz wurde in sämtlichen Medienformaten interviewt. Ich bezeichne diese Dynamik als das rechtspopulistische Perpetuum mobile: Der gezielten Provokation folgt Aufmerksamkeit, folgen Titelseiten, Schlagzeilen, Diskussionen, die sich über Wochen hinziehen. Und dann folgt noch ein typisches rechtspopulistisches Muster: Diejenigen, die die Provokation gesetzt haben, stellen sich als Opfer dar; Projekt „Opfer sein“, um so vom gesetzten Tabubruch abzulenken – eine Täter-Opfer-Umkehr. Bestenfalls folgt dann eine ambivalente Entschuldigung, eine kalkulierte Ambivalenz, die mehrere Interpretationsmöglichkeiten für verschiedene Wählergruppen bietet. Mit diesem Perpetuum mobile werden die Bericht­erstattung und die gesamte politische Öffentlichkeit in Haft genommen, mit dem Effekt, dass die anderen Parteien und die anderen Kandidaten ihre Themen nicht mehr in die Schlagzeilen bringen können. Haider war übrigens ein Meister darin, mit gezielten Provokationen und Tabubrüchen dieses rechtspopulistische Perpetuum mobile in Bewegung zu bringen. Erinnern Sie sich nur an den Satz von der „ordentlichen Beschäftigungspolitik“, an das ständige Kokettieren mit der NS-Zeit.

Sie sprechen Haider posthum großen Einfluss auf Europas Rechtspopulisten zu …

Haider war der Erste, der mit solchen rhetorischen Mustern und ausgrenzenden und revisionistischen Inhalten begonnen und damit das Wachsen der FPÖ begründet hat. Haider hat nicht nur die Ausländerfeindlichkeit in die Öffentlichkeit gebracht, sondern auch die besondere Inszenierung der Politik. Haiders Tabubrüche erhielten viel internationale Aufmerksamkeit; was wir heute erleben, bezeichnet die Sozial- und Politikwissenschaft als Haiderisierung Europas.

Armin Thurnher warnte deutsche Journalisten erst vor Kurzem, die AfD zu dämonisieren, weil damit das Gegenteil des eigentlich Bezweckten erreicht werde.

Ja, das ist ein Fehler, den Gegner solcher Parteien oft machen, anstatt sich differenzierter mit solchen Aussagen auseinanderzusetzen, etwa das typische Muster aufzuzeigen, das hinter solchen Provokationen steckt. Die Dämonisierung erlaubt rechtspopulistischen Politikern zudem, schnell eine Opferrolle einzunehmen und zu erklären, sie seien die Opfer des Establishments, die Opfer der Eliten. Freilich ist es oft schwierig, eine sachliche Diskussion zu führen. Trotzdem müssten alternative Wege der Medienberichterstattung entwickelt werden. Natürlich müssen Medien berichten, wenn jemand in den Verdacht kommt, den Holocaust zu leugnen. Das ist ja ein Gesetzesbruch. Aber dann sollte man das den Gerichten überlassen, man muss nicht jeden provozierten Skandal auf die Seite eins nehmen.

Fairerweise müsste man, bei all dem Gesagten, nun aber auch darauf hinweisen, dass es nicht nur rechte, sondern auch linke Populisten gibt.

Natürlich! Bestimmte populistische rhetorische Muster werden übrigens von allen Politikern verwendet. Natürlich wird bei passender Gelegenheit die sogenannte „Stimme des Volkes“ zitiert. Der Unterschied zwischen linkem und rechtem Populismus besteht aber vor allem darin, dass Rechtspopulisten behaupten, für das Volk zu sprechen, das sie selbst arbiträr definieren – die echten Österreicher, die echten Ungarn, die echten Finnen –, mit der Folge, dass diese Festlegungen letztlich zu einer Blut-und-Boden-Politik und einer nativistischen Ideologie führen. Linkspopulisten besitzen hingegen ein inklusives Konzept des „Volkes“. Es ist die Verschränkung von Form und spezifischen Inhalten, die den Unterschied ausmachen.
Wissenschaftler haben Zeit für Analysen. Das ist unser Beruf, und das ist ein großes Privileg. Aber wenn jemand vorgibt, für „das“ Volk zu sprechen, dann sollte man als mündiger Bürger schon genau hinhören und hinterfragen, für wen er oder sie zu sprechen behauptet.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Zur Person Ruth Wodak:
(* 12. Juli 1950 in London) ist eine österreichische Sprachwissenschaftlerin und Professorin an der Universität Wien und an der Lancaster University. Neben Norman Fairclough ist Wodak eine der exponiertesten Vertreterinnen der Critical Discourse Analysis.

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