Andreas Koller

Warum Journalismus immer wichtiger wird

Oktober 2017

Manche sagen, dass man in Zeiten von Smartphones, „sozialen“ Medien und des täglichen Informations-Tsunamis keine Journalisten mehr braucht. Das Gegenteil ist richtig.

Die Zeiten sind lange vorüber, geschätzte Leserinnen und Leser, als ich Ihnen in meiner Eigenschaft als Journalist noch etwas Neues erzählen konnte. Ich saß in der Redaktion, nebenan im sogenannten Fernschreibkammerl tickerten die Meldungen der Nachrichtenagenturen herein, der Redaktionsbote legte sie auf meinen Tisch, ich verfasste auf Basis dieser Meldung meinen Bericht und Sie, liebe Leserinnen und Leser, lasen ihn am nächsten Tag in der Zeitung. Als etwas, das Ihnen neu war. Das war in den Achtzigerjahren.

Die Zeiten sind anders geworden. Wenn heute irgendwo auf der Welt etwas Spektakuläres passiert, vom Terroranschlag bis zum Fußball-WM-Finale, brauchen Sie nicht mehr mich, damit ich es Ihnen erzähle. Sie erfahren es in Minutenschnelle über das weltweite Netz. Als Smartphone-Besitzer des Jahres 2017 sind Sie besser und schneller informiert als jeder Chefredakteur der 1980er- oder 1990er-Jahre.
Man könnte also den Schluss ziehen, dass Journalisten dank Internet und sogenannter sozialer Medien, dank Tablet und omnipräsentem Smartphone unnötig geworden seien. Ich bin davon überzeugt, dass das Gegenteil richtig ist. Journalisten sind nicht unnötig. Sie sind wichtiger denn je. Sie haben nur ihre Bedeutung verlagert. Man braucht die Journalisten nicht mehr wirklich zur Nacherzählung aktueller Ereignisse. Aber man braucht sie umso mehr zur Überprüfung, zur Einordnung, zur Analyse dieser Ereignisse. Und man braucht Sie mehr denn je in ihrer Eigenschaft als Gatekeeper.

Denn in unserer Zeit, die den Einzelnen jede Sekunde des Tages in sämtlichen Netzen und Kanälen mit einer Flut an Informationen überschüttet, braucht es Informationsprofis, die es verstehen, die Spreu des Unsinns und der Verschwörungstheorien vom Weizen der Nachrichten zu scheiden. Informationsprofis, die Fake-News als solche erkennen. Und die wirklichen News für ihre Leser, Seher und Hörer in den richtigen Kontext stellen. Das ist die ureigenste Aufgabe der Journalisten, die somit für unsere Gesellschaft unverzichtbarer sind denn je.

Denn wie würde eine Welt ohne Journalismus aussehen? In einer solchen Welt würden die Medienkonsumenten rettungslos im Informationsmüll untergehen. Jeder wäre gefangen in seiner privaten Twitter- und Facebook-Blase, jeder säße in seinem eigenen Echoraum. Der Journalismus hingegen präsentiert die Welt in ihrer vollen Breite. Was freilich Hörer, Seher und Leser voraussetzt, die sich dieser Breite auch stellen wollen. Die bereit sind, andere Sichtweisen als jene, die ihnen genehm sind, zu akzeptieren. Die nicht das Zeitung-Abo kündigen, weil ihnen eine Wahrheit zugemutet wurde, von der sie nichts wissen wollen.

Der für unsere Gesellschaft so wichtige Journalismus ist nicht zum Nulltarif zu haben. Er ist teuer. Doch wir müssen konstatieren, dass das traditionelle journalistische Geschäftsmodell unter Druck gerät. Dies nicht, weil die Leserinnen und Leser ausbleiben: Österreichs Kaufzeitungen und -Zeitschriften weisen seit Jahren stabile Leserzahlen auf. Problematisch sind zwei andere Entwicklungen. Erstens: Es wird immer schwieriger, Werbegelder zu lukrieren. Das Werbegeld wandert ins Internet ab, oder es verschwindet in den „Österreich-Fenstern“ deutscher TV-Konzerne. Und zweitens: Viele Leserinnen und Leser konsumieren zwar gern den aufwendig produzierten Journalismus, sie sind aber nicht länger bereit, dafür zu zahlen. Weil sie es gewohnt sind, Journalismus gratis zu konsumieren. Auf diversen Nachrichtenseiten im Internet, oder auch in Gratistageszeitungen, wie sie vor allem in den Ballungsräumen angeboten werden. Die Gratis-Verteilung von journalistischen Inhalten ist sinnvoll im Falle von Verbandszeitschriften, die ihre Mitglieder und sonstige Interessenten breitflächig informieren wollen. Es ist weit weniger sinnvoll bei kommerziellen Medien, die auf Vertriebserlöse angewiesen sind. Es wird unsere Aufgabe der nächsten Jahre sein, das Publikum wieder daran zu gewöhnen, dass Journalismus wie jede andere wertvolle Dienstleistung nicht zum Nulltarif zu haben ist. Und noch etwas ist notwendig: Wir brauchen – neben Lesen, Schreiben und Rechnen – eine neue Kulturtechnik namens Medienkunde. Eine Kulturtechnik, die es den Menschen ermöglicht, sich in Zeiten der Digitalisierung, der Informationsexplosion und der von Algorithmen generierten Nachrichtenflüsse zurechtzufinden. Diese Kulturtechnik zu implementieren ist eine Mammutaufgabe. Derzeit haben wir nicht einmal die Lehrer dazu. Und wohl auch nicht die Eltern, die ihren Kindern das notwendige Rüstzeug mitgeben können.

Und nicht zuletzt: Wir brauchen Journalisten, die die Nachrichtenauswahl, -analyse und -kommentierung ohne ideologische Scheuklappen wahrnehmen. Anlässlich der Flüchtlingskrise 2015/16 erlebten wir das Gegenteil. Da waren Journalisten und Medien, die frei erfundene Gräuelmärchen vom Flüchtlingstreck erzählten, von Eisenbahnwaggons, die verwüstet, und von Lebensmittelläden, die geplündert worden seien. Nichts davon stimmte. Und da waren andere Journalisten und Medien, die jegliche Missetat, die auf das Konto von Asylwerbern ging, mutwillig verschwiegen. Beziehungsweise verschämt und unbestimmt von „Männern“ oder „Jugendlichen“ schwadronierten, wenn Asylwerber oder Afghanen gemeint waren. Die einen betrieben Hetze gegen die Flüchtlinge. Die anderen vertuschten unangenehme Wahrheiten. Beide trugen zum Vorwurf der „Lügenpresse“ bei, der unserer Branche nicht zum Ruhme gereicht. Und unserer Demokratie nicht zum Nutzen.

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