Martin Rümmele

* 1970 in Hohenems, ist mehrfach ausgezeichneter Gesundheitsbereich- und Wirtschaftsjournalist und Verleger. Er lebt und arbeitet in Wien und Kärnten und ist Autor mehrere kritischer Gesundheitsbücher unter anderem „Zukunft Gesundheit“, „Medizin vom Fließband“ und „Wir denken Gesundheit neu“. 

Apotheken unter Druck

September 2016

Kaum ein System ist so komplex wie jenes der Apotheken: Gebietsschutz, Verbot von Kettenbildung, staatlich regulierte Preise, eine zentrale Gehaltskasse, die alle Löhne auszahlt, und ein Kammerwahlsystem, das noch komplizierter ist als die Wahl des US-Präsidenten.
Jetzt wird wie in den USA neu gewählt – und hinter den Kulissen geht es ähnlich heiß her.

Es ist wohl das komplizierteste Studium Österreichs: jenes der Pharmazie. Der Großteil der Absolventen geht nach der aufwendigen Ausbildung in eine Apotheke. Und macht dort etwas, was er nicht gelernt hat: Medikamente verkaufen. Tatsächlich sollen die Pharmazeuten aber gar nichts verkaufen, sie sollen lediglich die Versorgung mit Medikamenten organisieren, Menschen optimal beraten und ihnen das geben, was sie brauchen.

Eigentlich sollen sie ihnen gar nichts verkaufen. Zumindest nicht in dem Sinn, den man gemeinhin mit dem Begriff verkaufen assoziiert – denn Apotheker sollen möglichst nicht wirtschaftlich denken oder gar Gewinne machen. Sie sollen niemandem Produkte einreden, die er womöglich gar nicht braucht, nur um möglichst hohe Umsätze zu generieren. Deshalb dürfen Apotheken auch – wie übrigens auch Ärzte – keine Werbung machen.

Und deshalb werden die angestellten Apotheker auch nicht von ihrem Arbeitgeber bezahlt, der sie vielleicht zwecks Gewinnmaximierung anhalten könnte, mehr zu verkaufen. Vielmehr werden alle von der Pharmazeutischen Gehaltskasse bezahlt. Klingt nach kommunistischem Zentralsystem – und ist es auch irgendwie: Jeder Apothekenbesitzer zahlt für die angestellten Apotheker einen Fixbetrag in die Pharmazeutische Gehaltskasse. Und von dort werden die Löhne bezahlt – für Ältere mehr, für jüngere weniger. Ergebnis des Systems: Es gibt nahezu Vollbeschäftigung bei Apothekern.

Dass aktuell die Zahl der Stellensuchenden österreichweit bei etwa 150 Personen liegt, versetzt die Kammerführung allerdings bereits in Panik. Ein Drittel der Apotheken würde heute bereits rote Zahlen schreiben. Damit die Apotheken aber nicht auf Gewinne schauen müssen, gibt es Regeln, die sie schützen sollen: den Gebietsschutz etwa. Er garantiert, dass jede Apotheke ein Einzugsgebiet von mindestens 5500 zu versorgenden Personen hat. Dafür gibt es eine Bedarfsprüfung der Kammer und der Bezirkshauptmannschaften. Verboten ist auch ein Mehrfachbesitz. Damit will man gewinnorientierte Ketten verhindern. Denn Menschen sollen nur jene Medikamente kaufen, die sie benötigen, und nicht etwa Großpackungen von Schmerzmitteln, die gerade im Sonderangebot sind. Der Gesetzgeber will so Medikamentenmissbrauch entgegenwirken. „Ich soll einem Kunden das mitgeben, was für ihn das Beste ist. Nicht das, was für mich das Beste ist“, sagt Jürgen Rehak, Präsident der Vorarlberger Apothekerkammer.

Das System führt allerdings dazu, dass die Preise rezeptfreier Produkte sehr zum Leidwesen vieler Konsumenten recht hoch sind. Allerdings sind die Preise behördlich geregelt. Genau diese Regelungen kommen aber zunehmend unter Druck. In Griechenland hat etwa die EU-Troika den Medikamentenmarkt völlig liberalisiert. Dadurch sollen Medikamente billiger werden. Die heimische Apothekerkammer fürchtet eine Entwicklung, die nicht in Griechenland haltmacht, und warnt davor, Medikamente wie im Supermarkt und ohne Beratung einzukaufen.

Allerdings gibt es diese Möglichkeit indirekt schon: In Deutschland und der Schweiz etwa ist der Onlinehandel mit rezeptfreien Medikamenten erlaubt. Auch die EU hat eine Richtlinie beschlossen, die das ermöglicht, und gleichzeitig ein Sicherheitszertifikat eingeführt. Damit soll der Internethandel mit gefälschten Medikamenten unterbunden werden. Denn der hat bereits Ausmaße angenommen, die um ein Vielfaches größer sind als etwa der Drogenhandel. Auch in Österreich gibt es nun seit einem Jahr die Erlaubnis, Online-Apotheken zu betreiben. Allerdings nur für Apotheker. Das Problem dabei: Diese Regelung, die von der EU vorgeschrieben wurde, steht eigentlich in krassem Widerspruch zum bestehenden Apothekensystem.

Und hier wiederum setzt die Konkurrenz ein. Drogerieketten, allen voran dm, würden selbst auch gerne rezeptfreie Medikamente verkaufen und argumentieren damit, dass sie günstiger sind und das gemeinnützige und nicht gewinnorientierte Denken bei den Apotheken ja auch schon überholt ist. dm hat nun eine Klage beim Verfassungsgerichtshof eingebracht und will das System kippen.

Parallel dazu hat der europäische Gerichtshof in einem aktuellen Erkenntnis die Apothekenbedarfsprüfung in Österreich gekippt und damit für einen Knalleffekt gesorgt, denn dadurch fällt die Existenzgefährdungsgrenze von 5500 zu versorgenden Personen ab sofort weg. Hintergrund ist eine Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2014. Damals entschieden die Richter, dass die Bedarfsregelung rechtswidrig ist, weil die Konzessionsvoraussetzung der starren Grenze von 5500 von den Nachbarapotheken weiterhin zu versorgenden Personen keine Unterschreitungsmöglichkeit im Fall örtlicher Besonderheiten vorsieht. Die jetzige Klarstellung war so nicht erwartet worden, sagt Rehak. Er kann die Überlegungen nachvollziehen, fürchtet aber negative Folgen. Der EuGH wolle Erleichterungen für die Behörden, da die Starrheit des Gesetzes oft regional notwendige Lösungen verhindert habe. Auch in Vorarlberg sind davon zwei Fälle betroffen: Konzessionsansuchen für eine Apotheke in Feldkirch-Tosters und eine in Bregenz-Weidach waren zunächst abgelehnt worden, weil hier jeweils für bestehende Apotheken die Existenzgefährdungsgrenze von 5500 Personen unterschritten würde. Experten erwarten, dass aufgrund des Urteils diese Ansuchen von den Behörden nunmehr durchgewunken werden. Das Problem: Damit kommen eben auch bestehende Apotheken verstärkt unter Druck.

All das sorgt wiederum für Sprengstoff bei den aktuellen Kammer-Wahlen. Ende September erreichen diese einen ersten Höhepunkt, denn die Selbstständigen wählen den Apothekerverband und die Angestellten die Listen und das Präsidium des Verbandes der angestellten Apotheker Österreichs (VAAÖ). Ähnlich komplex wie bei den US-amerikanischen Wahlen werden dazu ab dem Herbst bei den Apothekern Listen und Delegierte zusammengestellt, die wiederum 2017 dann die Kammerspitze wählen. Und ähnlich wie bei den US-Wahlen geht es seit einigen Wochen auch bei den Apothekern hoch her.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.