J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Calcit – vom Allerwelts-Mineral zum Blickfang

September 2017

„Ein Mineral ist ein Bergkristall von mindestens fünf Zentimetern Länge.“ Kleineres Material belastet nur den Rucksack, und es ist wenig geeignet, in der Wohnzimmervitrine neidische Blicke auf sich zu ziehen. Und wenn das Mineral gar erst unter der Lupe zu erkennen ist, wird der „Futzelit“ sehr schnell zum „Wegwerfit“. Fast alle Vorarlberger Mineraliensammler zog es daher in früheren Jahren in die Schweiz. Zu Unrecht, denn auch Vorarlberg hat mineralogisch Interessantes zu bieten.

Zugegeben: Die meisten Minerale Vorarlbergs sind klein und unscheinbar. So interessant die Kupferminerale der Erzgänge im Montafon für den Fachmann auch sein mögen, so langweilig wirken sie auf den Sammler. Oft sind sie nicht einmal unter dem Mikroskop sicher zu bestimmen. Ähnliches gilt auch für die Kristalle aus den engen Klüften in den Gesteinen der Silvretta. Dabei ist diese Gegend das mineralogisch vielfältigste Gebiet Vorarlbergs. Verlässt man das Montafon, so wirkt die mineralogische Landkarte des Ländles noch eintöniger: Natürlich gibt es auch hier Quarz, doch nur als wenige Zentimeter kleine Kristalle oder als Rasen auf den Kluftflächen im Gestein. Der kugelige Pyrit aus dem Steinbruch von Hohenems fehlt in keiner Sammlung, und auch Fluorit aus dem Bregenzerwald gehört zum Kanon jener „Pflichtminerale“, die jeder Sammler der Vollständigkeit halber daheim haben s/wollte. Und dann gibt es da noch den Calcit.

Will man ein landestypisches Charaktermineral Vorarlbergs definieren, so landet man zwangsweise beim Calcit: Mit Ausnahme von Verwall und Silvretta ist Kalkstein die dominierende Gesteinsart des Landes. Nur gelegentlich unterbricht Sandstein die Schichtfolge, doch auch bei ihm garantiert Kalk den Zusammenhalt der Körner. Calcit ist allgegenwärtig, denn er ist der Grundbaustoff eines jeden Kalkgesteins. Im kompakten Kalkstein bildet er dichte, kryptokristalline Massen.

Erst mit dem Elektronenmikroskop werden die einzelnen Körner erkennbar. Im Sandstein ist er der Zement, der die Quarzkörner verkittet. Attraktive Kristalle hingegen konnten sich nur dort entwickeln, wo genügend Platz zur Verfügung stand, in den Spalten und Klüften im Gestein.

Vorarlberg ist ein Nebeneinander von Gesteinen unterschiedlichster Herkunft. Während der Bildung der Alpen wurden afrikanische Gesteine über den damaligen Südrand Europas aufgeschoben und in Decken gestapelt. Die europäischen Gesteine wurden dabei von ihrer Unterlage abgehobelt, verfaltet und mit nach Norden verfrachtet. Eingeklemmt zwischen beiden Zonen liegen die Reste eines Tiefseegrabens. Es verwundert nicht, dass die Gesteine unter Einwirkung dieser Kräfte zerbrechen mussten. Klüfte entstanden. Spalten, in denen kalkgesättigtes, überhitztes Wasser zirkulieren konnte. Als dann später Gestein und Wasser abkühlten, musste der gelöste Kalk auskristallisieren. Die Breite der Spalte, aber auch der Kalkgehalt des Wassers sowie dessen Zirkulation und Nachschub bestimmten, ob eine Kluft zur Gänze mit Calcit verfüllt werden konnte.

Wir alle kennen die weißen Adern, die ein graues Kalkgeröll durchziehen. Sie sind „verkeilte“ Klüfte, in denen Calcit den offenen Raum zur Gänze ausfüllte. Dies ist der Normalfall. Nur wo genügend Platz zur Verfügung stand, wo der Zufluss von weiterem kalkhaltigem Wasser unterbunden war, konnten sich schöne Kristalle entwickeln. Manchmal sind es Rasen auf der Kluftfläche, die erst unter der Lupe ihren Reiz offenbaren. Manchmal jedoch sind es große, spektakuläre Kristalle.

Calcit-Kristalle sind unglaublich vielgestaltig. Die wie schräge, verzerrte Würfel aussehenden Rhomboeder sind die einfachste Kristallform. Völlig anders wirken die beidseitig zugespitzten Skalenoeder. Manchmal bildet der Calcit säulenartige Kristalle, die unter Sammlern als „Kanonenspat“ bekannt sind. Und zu den mineralogischen Besonderheiten des Landes zählen die federförmigen Kristalle aus einer Kluft in Dornbirn – vergleichbare Bildungen sind weltweit nur von einer Handvoll Fundstellen bekannt.

Als es galt, das Konzept für die mineralogische Darstellung Vorarlbergs in der inatura zu entwickeln, herrschte zunächst Ratlosigkeit: Wir haben doch nur Calcit! Was wollen wir mit solch einem banalen Allerwelts-Mineral in einem Erlebnis-Museum? Doch je länger die Nachdenkphase dauerte, umso klarer zeigte sich das Potenzial, hier etwas Einzigartiges zu präsentieren: Eine Mineralogie Vorarlbergs ohne Calcit war undenkbar. Was lag also näher, als dieses zu Unrecht als langweilig abgestempelte Mineral in den Mittelpunkt zu rücken!? Die spektakulärsten Funde des Landes sollten den Calcit in all seiner Vielfalt vorstellen. Schon in den 1970er-Jahren hatten Museumsmitarbeiter auf der Autobahn-Baustelle beim Udelberg-Durchstich übernachtet, um eine Kluft vor Plünderung zu bewahren und das beste Material für die Ausstellung zu sichern. Später kamen Kristalle aus dem Steinbruch Hohenems hinzu. Diese eigenen Sammlungsbestände wurden nun durch gezielte Ankäufe ergänzt. Calcit-Kristalle aus (fast) allen geologischen Zonen Vorarlbergs sind heute in der Ausstellung zu bewundern. Das Urteil eines unabhängigen Museumskonsulenten erfüllt uns mit Stolz: Die inatura zeigt die vielfältigste Calcit-Sammlung Mitteleuropas!

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