Peter Melichar

Historiker „vorarlberg museum“

Erinnerungskultur mit oder ohne Industriemuseum?

Juni 2017

Mit dem Ende bestimmter Branchen in Industrieregionen entstanden im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts Industrie- und Arbeitsmuseen. Sie sollten die bedrohten Relikte aus den verfallenden Fabrikshallen bewahren und an die überkommenen Fragmente einer spezifischen kollektiven Identität erinnern, die sich um die industrielle Arbeitsweise gebildet hatte. Vorarlberg hatte vergleichsweise immer eine starke Industrie, aber keine besonders ausgeprägte Arbeiterkultur. 1910 war es das am stärksten industrialisierte Land Österreich-Ungarns, das fand aber weder Ausdruck im Wählerverhalten noch in der Ausbildung eines prägnanten Arbeitermilieus. Die Ursachen waren vielfältig, hatten aber jedenfalls auch mit dem relativ raschen Austausch der diversen Generationen von Industriearbeitern zu tun. In Vorarlberg würde also ein Industriemuseum eine verloren gegangene kollektive Identität posthum kaum beschwören können, oder an sie erinnern. Daher fordert Kurt Greussing in der Maiausgabe der Zeitschrift „Kultur“ von einem künftigen Industriemuseum, es müsse angesichts der technologischen Entwicklungen in Richtung „Industrie 4.0“ ein „Labor zukünftiger technischer Entwicklungen samt ihren Auswirkungen auf Arbeit und Leben“ werden. Jetzt sei die „Zeit für ein Industriemuseum“ gekommen, schon allein deshalb, weil wertvolle „museumsrelevante Objekte“ und das dazu gehörende Know-how zu verschwinden drohten. Ein Museum dürfte nicht nur „tote Objekte“ präsentieren, sondern müsse „leben“. Nur so könnten die „harten Bedingungen“ vermittelt werden, unter denen gearbeitet worden sei.

Ist aber ein technoider Fetischismus, der vorgaukelt, nur funktionierende und im Museum auch betriebene Maschinen könnten vermittelnd erklären, was die Industrialisierung mit den Menschen machte, eine zureichende Begründung für die Notwendigkeit eines Industriemuseums? Im Februar 2017 wurde ein vom Kulturlandesrat in Auftrag gegebenes „Orientierungskonzept für ein Vorarlberger Industriemuseum“ fertiggestellt und Anfang Mai im Rahmen einer erfreulich gut besuchten Podiumsdiskussion in Dornbirn präsentiert. Man benötige ein Industriemuseum als einen Ort, heißt es hier, „wo das Sammeln, Dokumentieren und Erforschen des industriellen Erbes erfolgt sowie die Wechselwirkung zwischen Industrie und Gesellschaft vermittelt wird“. Das Museum wird hier zu einer Art Wundertüte „als Ort des Staunens, des Erinnerns, des Lernens und vor allem der Zukunft“.

Wie das gehen soll, wird allerdings nicht erklärt; was jedoch nicht weiter verwunderlich ist, weil es so nicht funktionieren kann und wird. Die Sehnsucht, über die Zukunft Bescheid zu wissen, ist so alt wie Mythen um Kassandra und die Berichte zum Auftreten von Propheten. Es wäre schon viel gewonnen, wenn man sich intensiv um die Gegenwart bemühen und die Vergangenheit erforschen würde. Die Diskutanten auf dem Podium hatten auf die zentrale Frage, die der Museumsexperte Gottfried Fliedl eingangs stellte, wer ein Industriemuseum brauche, keine Antwort. Eigentlich hätte sich Winfried Nussbaummüller (Kulturabteilung des Landes) mit einigen höflich-freundlichen Worten aus der Affäre ziehen und zurücklehnen können. Doch er stellte mit seinem unnachahmlichen Charme die Frage, wer neben den anderen 43 registrierten Museen in Vorarlberg noch ein weiteres brauche, und beantwortete die Frage gleich selbst: Hauptsächlich jene, die gerne in einem solchen Museum einen Job hätten, dann verzweifelte Sammler, die für ihren Maschinenpark einen Abstellplatz suchten und nicht zuletzt jene, die sich mit einem solchen Museum politisch wichtigmachen wollten. Nussbaummüller provozierte damit Statements – etwa von Bürgermeisterin Andrea Kaufmann und von Meinrad Pichler –, die besagten: Ein Projekt wie jenes, das hier gewünscht sei, überfordere ohnedies ein einzelnes Ressort und insbesondere das Kulturressort bei Weitem. Nötig sei eine ressortübergreifende und großzügige politische Lösung. Mit welcher Bedeutung wird das Feld der Industrie in jener Studie zur Erinnerungskultur Vorarlbergs aufgeladen sein, die die Kulturabteilung des Landes vor Kurzem in Auftrag gegeben hat?

Es stellt sich die Frage: Warum Industrie? Warum nicht Wirtschaft (man würde sich Definitions- und Abgrenzungskämpfe ersparen)? Und warum ein Museum? Ein traditionelles Museum ist eine „Wir-Maschine“, ein Identitäts-Verstärker und wäre wenig sinnvoll. Ein neuartiges Museum, wie Gottfried Fliedl es sich wünscht, als Ort der Reflexion, wo man „Grundfragen nachspürt“, „Herkunft, Sinn und Form der Gemeinsamkeit“ erkundet, den „Umgang mit dem anderen“ bedenkt, wäre, was die Bedeutung der Wirtschaft für die Gesellschaft betrifft, wohl wünschenswert. Denn nichts klafft so gewaltig auseinander wie die Schere zwischen der Mächtigkeit ökonomischer Zusammenhänge und der allgemeinen Unwissenheit darüber.

Was aber soll dort präsentiert werden? Funktionierende Maschinen des 19. oder frühen 20. Jahrhunderts allein sind kaum geeignet, über Industrie oder Wirtschaft aufzuklären. Was benötigt würde, ist eine Vermittlungsagentur ökonomischer und wirtschaftshistorischer Zusammenhänge, die es bislang nicht gibt. Die bisherige Forschung zur Wirtschaft in Vorarlberg bietet jedenfalls kaum Stoff, der irgendjemanden hinterm Ofen hervor beziehungsweise in ein Museum locken würde. Bloße Erfolgsgeschichten tun es nicht. Auch die Arbeitskämpfe, die mit der Industrialisierung verbundene Geschichte der Versicherungen, die erbitterten sowohl lokalen als auch globalen Konkurrenzverhältnisse, die Geschichten von Korruption und Misswirtschaft, die Auseinandersetzungen mit dem Finanzamt, dem Zoll und vor allem mit den Banken müssten analysiert und präsentiert werden. Und nicht zuletzt der Untergang einzelner Firmen und ganzer Branchen: Wenn man ein Museum zum Thema Wirtschaft plant, sollte man sich an die Bemerkung des Bankiers Felix Somary erinnern, der Kapitalismus habe gegenüber allen anderen Wirtschaftssystemen einen großen, entscheidenden Vorteil: Ein Unternehmer, der schlecht wirtschaftet, geht bankrott. Das könnte die Geschichte spannend machen. Für die, die es erleben mussten, war es nicht selten eine Katastrophe. Aber es macht auch deutlich, dass man vom Kapitalismus samt seinen ewigen und immer selbst gemachten Krisen nicht schweigen kann, wenn man die Industrie ins Museum holt.

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