Gerald A. Matt

Kunstmanager, Publizist und Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst Wien

„Es ist die Beschreibung von Einsamkeit, die mich berührt“

Oktober 2019

Paulus Manker ist einer der wohl wichtigsten, vielseitigsten, polarisierendsten, eigenwilligsten und wichtigsten österreichischen Theatermenschen. Er ist ein begnadeter Film- und Theater-Schauspieler, Regisseur, Autor und Drehbuchschreiber. In der Serbenhalle in Wiener Neustadt brachte Paulus Manker „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus als sechseinhalbstündiges Simultandrama zur Aufführung. Zur Zeit dreht Manker seine „Letzten Tage“. Gerald A. Matt traf ihn zu einem Gespräch.

Sie gaben einmal die Lebensdevise aus: „Fast nichts arbeiten. Man zahlt mir ja schon, dass ich nicht mitspiele.“ Wenn ich mir Ihre „Letzten Tage“ und die Dreharbeiten hierzu ansehe, so erlebe ich keinen Flaneur, sondern einen Theaterberserker und ein Arbeitstier. 
Das war Zweckoptimismus. 

Ihre Aufführung von Karl Kraus‘ Weltkriegsapokalypse „Die letzten Tage der Menschheit“ in einer Wiener Neustädter Waffenfabrik war ein Riesenerfolg. Warum gerade jetzt die „Letzten Tage“, was interessierte Sie daran? 
Ich trage diesen Plan seit vielen Jahren in mir. Vor 40 Jahren spielte ich in Hans Hollmanns legendärer Wiener Festwochen-Inszenierung der „Letzten Tage“, ein unglaublicher dramatischer und literarischer Eindruck. Das war der Keim, der im Laufe der Zeit zur Obsession wurde. Nachdem ich das Polydrama „Alma“ gestemmt hatte, hatte ich auch die Erfahrung gewonnen, um dieses Mammutwerk zu inszenieren. 

Sie spielen auch mit?
Ja, ich bin als Kapitän gerne an Bord, als Primus inter pares.

Karl Kraus selbst betrachtete sein Drama als unaufführbar.
Ich weiß nicht, ob Herrn Kraus gefallen hätte, was ich mache, aber fragen kann ich ihn nicht mehr. Der große Piscator und der große Reinhardt interessierten sich auch dafür. Ihnen hat er es nicht erlaubt. Er hatte Angst, dass der geistige Gehalt hinter dem Spektakel zurückbleibt. 

Sie zeigten ja nur einen Teil davon? 
Ich bin mit dem Stück ja auch noch nicht fertig. Irgendwann möchte ich das Ganze aufführen. Das verlangt das „Olympische“, das „Fitzcarraldische“  in mir.

Wie wichtig sind Orte überhaupt für Sie? 
Der Ort ist das Allerwichtigste. Schon bei „Alma“ sagte ich, es gibt 15 tolle Schauspieler, aber nur einen Star, und der ist das Gebäude. Alma spielte ich nur an den phantastischsten Orten, ob in Lissabon, Jerusalem oder in Los Angeles. Und bei der wunderbaren Munitionsfabrikshalle in Wiener Neustadt, der Serbenhalle, da ist allein der Name schon Vorsehung. 
Was ist einzigartig an ihrem Theater, um was geht es Ihnen letztlich?
Um die Nähe, die Überwindung der Distanz. 

Ihr Vater Gustav Manker soll gesagt haben, als er Direktor des Volkstheaters wurde: „Jetzt als Direktor wird es schwer sein, einen guten Charakter zu behalten.“ Sie haben sich als Direktor beworben. Haben sie auch den Verlust Ihres guten Charakters befürchtet? Und was hätten sie vorgehabt? 
Zum einen habe ich den Vorteil, dass ich schon einen schlechten Charakter habe. Zum anderen hatte ich auch eine Vision für das Haus, nämlich die Umwandlung des Guckkastentheaters in einen Erlebnisraum. 

Hat die Kulturpolitik ernsthaft mit Ihnen verhandelt? 
Nein. 

Sie haben immer wieder Kritik an Österreichs Kulturpolitik geübt. In einer beachtenswerten Rede 2010, als Ihnen der Publikumspreis des Nestroypreises verliehen wurde, hielten sie ein Plädoyer für die freie Theater- und für die Offszene, für die Kämpfer, die Unbequemen, künstlerischen Monomanen. Was läuft kulturpolitisch falsch?
Man macht sich nicht die Mühe zu erkennen, wo die künstlerische Kraft herkommt. Diese muss man suchen, pflegen und ihr zur richtigen Zeit ein großes Theater geben. Kurzum, was fehlt, ist der Mut.

Sie kommen aus einer Theaterfamilie, Ihr Vater war der legendäre Direktor des Volkstheaters, Regisseur und Bühnenbildner Gustav Manker und ihre Mutter die große Schauspielerin Hilde Sochor. Wurde Ihnen das Theater in die Wiege gelegt?  
Ja, zuhause ging es schon beim Frühstück ums Theater. Mein erstes Theatererlebnis hatte ich mit sechs Jahren. Meine Mutter spielte im Volkstheater im „Kaukasischen Kreidekreis“. Mein Vater sollte mich nach Hause bringen. Doch ich sah zu, und was ich sah und hörte, das ging mir unglaublich nahe. Ich war nicht wegzubekommen.

Ihre Mutter berichtete, dass Sie als Bub als ersten Berufswunsch Raubmörder nannten, das Kinderzimmer in Brand steckten und das Kindermädchen einsperrten. 
Meine Mutter idealisierte mich hier wohl ein bisschen.

Sie sagten neulich: „Eigentlich bin ich ein herzensguter, zärtlicher, liebenswerter Mensch, der Traum jeder Schwiegermutter.“ Das scheint vielen entgangen zu sein. In der Öffentlichkeit haben Sie den Ruf eines manischen Misanthropen und zynischen Enfant terribles. Sind Sie bis heute wild geblieben oder doch schon ein wenig altersmild?  
Altersmild, nein, nie! Allerdings muss ich zunehmend an ein Zitat Brechts denken: „Wie anstrengend muss es sein, böse zu sein.“ Um der Sache willen, bin ich immer noch unerbittlich. Für meine Arbeit fordere ich das Maximum, was jemand zu leisten vermag. Nicht mehr und nicht weniger.

Sie waren als Schauspieler und Regisseur sehr früh ungemein erfolgreich, spielten und führten Regie an führenden Bühnen des deutschsprachigen Raumes. Dennoch haben Sie die Karriere als Burgschauspielers nicht angestrebt. Ist Ihnen Freiheit wichtiger als die Sicherheit eines Ensembles inklusive einer Staatspension?
Das hängt von der Direktion ab, wenn ich die Freiheit für meine Produktionen hatte, ist das kein Problem. 
Immer wieder brillierten Sie in Rollen, in denen der Wahnsinn langsam vom Menschen Besitz ergreift. Wie erklärt sich diese Vorliebe für das Andere, das Extreme, den Grenzen überschreitenden Wahnsinn? 
Es ist die Beschreibung von Einsamkeit, die mich berührt. Bei Weininger ist es ein in sich eingeschlossener Mensch. Bei „Schmutz“ ist es ein Wachmann, der mutterseelenallein allein ist. Was bleibt ist telefonieren, onanieren, aufwachen und sterben, alles Beschreibungen von Einsamkeit, die die schwierigsten Aufgaben eines Schauspielers sind.

Sie haben mit herausragenden Regisseuren von Haneke über Bondy bis Peymann gearbeitet. Mit Zadek arbeiteten Sie mehrere Jahre zusammen. Sie haben ihn als den für Sie wichtigsten, prägendsten Regisseur bezeichnet. Was konnten Sie von ihm lernen?
Freiheit.

Für den Architekten Raimund Abraham musste gute Kunst radikal und kontroversiell sein. Stimmen Sie ihm zu oder ist Ihnen das zu romantisch? 
Das klingt nach den letzten Nachwehen des 19. Jahrhunderts. Dennoch stimme ich Abraham zu. Doch bei aller Moral habe ich nie vergessen, man muss auch organisieren können. 

Können Sie mit dem Begriff „Theater als moralischer Anstalt“ etwas anfangen? 
Ja, da geht es um Weitblick, um Erziehung. 

Ihre Theaterprojekte sind außergewöhnliche riesige logistische und auch finanzielle Unterfangen und mit großem persönlichen Risiko verbunden.  Ist Existenzangst da Ihr täglicher Begleiter? 
Nein, aber ich stecke, was ich als Schauspieler verdiene, in meine Produktionen, und ihr Erfolg ist das Rückgrat meines Lebens. Ich habe aber auch, Gottseidank, Freunde, die mir im Notfall zur Seite stehen. Dennoch warte ich noch auf meinen Ludwig II. Da ist mir auch ein aufgeklärter Absolutist mit Handschlagqualität wie Erwin Pröll lieber als kleingeistige, mutlose, sich hinter pseudodemokratischen Jurys versteckende Feiglinge, ob sie nun weiblich oder männlich sind. 

Vielen Dank für das Gespräch!

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