Sabine Barbisch

Gabriele Gmeiner pflegt altes Handwerk auf höchstem Niveau

März 2017

Was Opernstars wie Anna Netrebko, Prinzen aus Bahrain und Banker aus London verbindet? Sie alle reisen nach Venedig, um sich Maßschuhe von der Wolfurterin Gabriele Gmeiner anfertigen zu lassen. Als eine der letzten Maßschuhmacherinnen Italiens hat sie ihren Namen zu einer Marke gemacht.

Heute ist Gabriele Gmeiner eine Koryphäe auf dem Gebiet der Maßschuhmacherei. Bis sie den Beruf erlernen und ihre eigene Werkstatt eröffnen konnte, musste sie aber einige Umwege nehmen. „Glücklicherweise“, ergänzt sie lachend. Mit der Begründung, der Beruf sei für sie zu hart, wurde sie nach der Matura bei den in Wien ansässigen Maßschuhmachern abgelehnt. So zog sie mit 19 Jahren nach London und besuchte das renommierte Cordwainers College – das dort Erlernte wendete sie bei dem britischen Hofausstatter John Lobb und bei Hermes in Paris an. 1997 kam sie dann das erste Mal nach Venedig, um ein Jahr bei der Maßschuh-Ikone Rolando Segalin zu arbeiten. „Dann ging ich nach Japan, reiste durch das Land und lernte alte Arbeitstechniken kennen“, erzählt Gmeiner. Als Ergebnis dieser Erfahrungen entstanden sechs Paar Schuhe, die in Tokio, Wien und Venedig ausgestellt wurden. In letztere Stadt kehrte sie im Jahr 2002 zurück: „Venedig war beim ersten Mal eine Liebesbeziehung, doch beim zweiten Anlauf eine Vernunftehe“, analysiert Gabriele Gmeiner ihre Rückkehr in die Lagunenstadt. Wunderschön wirke die Stadt im ersten Moment, die Schattenseiten seien erst mit der Zeit zutage getreten. „Ich habe die Entscheidung, hier in Venedig zu bleiben, aber mit großer Vernunft und einer langfristigen Perspektive getroffen. Und heute lebe ich nun schon fast länger in Venedig als in Vorarlberg.“

An das Alltagsleben in der autofreien Stadt mit ihren über 400 Brücken und tausenden Stufen hat sich Gmeiner schnell gewöhnt: „In Venedig sind fast alle Ziele gut zu Fuß gut erreichbar. Dass wir kein Auto oder Fahrrad benützen können, ist kein Problem. Die Fortbewegung mit Kinderwagen war allerdings umständlich“, erinnert sich die gebürtige Bregenzerin zurück. Heute ist das kein Thema mehr: Ihr Sohn Giacomo ist jetzt viereinhalb Jahre alt und entdeckt die Lagunenstadt auf seinen eigenen Füßen. „Es ist ein Vorteil, dass wir uns hier auf sehr kleinem Raum bewegen“, sagt Gmeiner: „Meine Werkstatt befindet sich im Sestiere San Polo am Campiello del Sol, einem kleinen Platz nahe dem bekannten Fisch- und Gemüsemarkt von Rialto, unsere Wohnung ist nur einige hundert Meter entfernt und Giacomos Kindergarten liegt genau dazwischen.“ In ihre ebenerdig gelegene Schuhwerkstatt verirren sich trotz der zentralen Lage keine großen Touristenströme: „Meine Kunden sind Banker aus London oder Frankfurt, Prinzen aus Bahrain oder internationale Opernstars. Es gibt nur einen Venezianer, für den ich Schuhe anfertige.“ Trotzdem sei Venedig der ideale Standort für ihr Unternehmen: „Meine Kundschaft ist anspruchsvoll – da ist es ideal, dass sich der Besuch bei mir mit einem Kulturtrip, etwa dem Besuch der Biennale, perfekt verbinden lässt. Vermutlich könnte meine Schuhwerkstatt aber auch im hintersten Bregenzerwald liegen – und die Schuhfanatiker dieser Welt würden mich dennoch finden“, schmunzelt Gmeiner.

Gastspiel in Salzburg

Um als Handwerkerin auf diesem hohen Niveau arbeiten zu können, braucht sie viel Zeit und Hingabe. Einen Maßschuh zu produzieren, ist aufwendig. Erst wird Maß genommen und ein Leisten aus Holz hergestellt. Dann wird ein Probeschuh angefertigt, den der Kunde etwa zwei Wochen trägt, um zu sehen, wie sich der Fuß im Schuh verhält. Dementsprechend wird der ursprüngliche Leisten angepasst und erst dann wird am Original gearbeitet. Bis ein Kunde seinen „Gmeiner-Maßschuh“ tragen kann, vergehen einige Monate bis hin zu einem Jahr. „Momentan deckt sich die Anfrage mit dem, was ich leisten kann, aber reich werde ich damit nicht“, verweist die passionierte Schuhmacherin auf den enormen handwerklichen Aufwand, den sie größtenteils alleine stemmt. Seit der Gründung von Gmeiners Schuh-Manufaktur sind 14 Jahre vergangen, das Geschäft hat sich gesund entwickelt, nur mit den Mitarbeitern ist es schwierig: „Seit 2004 bilde ich Fachkräfte aus, das ist eine wunderbare Aufgabe und ich investiere viel Zeit. Erst jetzt habe ich einen Lehrling und einen Praktikanten aus Italien, davor kamen sie aus Österreich, Deutschland, Frankreich oder Japan. Und die wollten nicht auf lange Sicht in Venedig bleiben. Ich hoffe, dass sich das mit den neuen Mitarbeitern ändert.“ Einmal im Jahr zieht es aber auch Gabriele Gmeiner von Venedig aufs Festland. Seit 2010 leitet sie im Juli die Schuhwerkstatt der Salzburger Festspiele und übersiedelt dafür jeweils für einen Monat in die Mozartstadt. „Das ist natürlich ein großer Aufwand, denn ich brauche dort eine Wohnung und Giacomo muss gut versorgt sein. Mir ist aber wichtig, dass er dabei ist und so auch seine österreichischen Wurzeln gepflegt werden.“ Für die deutsche Sprache ist Gabriele Gmeiners Mutter zuständig: Sie spricht Vorarlberger Dialekt mit ihrem Enkel und ab und zu hallt auch Pippi Langstrumpf auf Deutsch durch Venedigs Gassen.

 

Lebenslauf
Die im Jahr 1972 geborene Gabriele Gmeiner wuchs in Wolfurt auf. Nach ihrer Ausbildung bei Lobb in London und beruflichen Stationen bei Hermes in Paris und Rolando Segalin in Venedig zog es Gmeiner für ein Kunstprojekt nach Japan. 2002 kehrte die Maßschuhmacherin in die Lagunenstadt zurück und eröffnete in der Nähe der Rialto-Brücke ihre eigene Werkstatt. Mit ihrem Mann und ihrem viereinhalbjährigen Sohn Giacomo lebt sie unweit ihrer Maßschuhmacherei. Einen Monat im Jahr verbringt Gmeiner als Chefin der dortigen Schuhwerkstatt bei den Salzburger Festspielen.

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