Gerald A. Matt

Kunstmanager, Publizist und Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst Wien

„Ich bin verdammt zum Menschsein, der Rest ist Affentheater“

Dezember 2017

Gerald A. Matt sprach anlässlich des Europäischen Forums Alpbach mit dem Vorarlberger Aktions­künstler Flatz, der seit Jahren in München lebt und arbeitet. Der documenta-Teilnehmer (1992) sorgte mit provokanten und oft riskanten Kunstaktionen und Performances, in denen er seinen Körper zum künstlerischen Material machte, für internationales Aufsehen. Seinen Körper ziert passend zu seiner künstlerischen Haltung eines seiner Lebensmottos: „MUT TUT GUT“.

Wie und wann wurde aus Wolfgang Flatz der Künstler Flatz, wie fing alles an?

In meiner Nachbarschaft wohnte ein Junge, der in die Sonderschule ging, aber mit einem außergewöhnlichen Talent gesegnet war. Er konnte fotorealistisch zeichnen und malen. Ich habe ihn beneidet. In den frühen 1960er-Jahren gab es etliche illustrierte Magazine mit Cartoons auf ihrer Cover-Rückseite. Da war immer ein Witz über moderne Kunst dabei. Meist war es ein Affe, der vor einer Staffelei saß und Kleckse malte. Instinktiv wusste ich wohl, dass Kunst etwas anderes ist als die perfekte Abbildung der Realität, also beschloss ich mit 14 Jahren, Künstler zu werden …

Warum Flatz, eine bewusste Trennung der privaten und künstlerischen Persönlichkeit?

Ich bin ein Kind der Arbeiterklasse. In der Schule gab es drei bis vier Schulkollegen, die aus besserem Hause waren, die wurden von den Lehrern anders behandelt. Wenn sie an die Tafel mussten oder etwas gefragt wurden, wurden sie mit dem Vornamen angesprochen und mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt. Bei mir hieß es immer „Flatz aufstehen. Flatz an die Tafel. Flatz setzen, und so weiter.“ Diese Form der Diskriminierung hat mich verletzt. Als ich Künstler wurde, beschloss ich, meinen Familiennamen zum Brand zu machen, um auf diese Weise nicht mehr angreifbar und verletzbar zu sein.

Wie wurde dein Wunsch, Künstler zu werden, daheim aufgenommen?

Bevor ich studierte, hatte ich schon den Beruf des Goldschmiedes gelernt und es zum Meister gebracht. Meine Eltern verstanden die Welt nicht mehr, als ich den erlernten Beruf aufgab, um Künstler zu werden. Akzeptiert und stolz waren sie erst, als ich mit 38 Professor wurde.

Du gingst 1975, nachdem du nach künstlerischen Aktionen in Vorarlberg inhaftiert und psychiatrisiert wurdest, nach München ins Exil. Was verbindet dich noch mit Vorarlberg?

Wenn du dich von deinen Wurzeln trennst, verlierst du einen Teil deiner Identität … Wer seine Herkunft verleugnet, verleugnet sich selbst.

Gibt es so etwas wie ein Signaturwerk, in dem sich deine Haltung und deine Ziele in besonderer Weise verdichten?

In meiner Arbeit ging es im Kern immer darum, wie das Leben funktioniert, welche Strategien und Formen du finden und entwickeln musst, um in einer so komplexen Welt existieren und überleben zu können. Ich glaube diese Fragen stellt sich das Tier Mensch, seit er vom Baum herabgestiegen ist.

Eines deiner Kunstwerke hatte als Botschaft „Ficken, Fressen, Fernsehen“. Auf der documenta hast du mit deinem Hund „Hitler“ für Kontroversen gesorgt. Du hast Leute bezahlt, um dich mit Pfeilen zu verletzen und hast eine Kuh aus einem Flugzeug geworfen, im Kunstraum Innsbruck angeblich gezählte 1200 Mal mit dem Kopf gegen eine Wand geschlagen, dabei skandiert „schuldig oder nicht schuldig“. Du giltst als das „Enfant Terrible“ der Kunstszene. Muss gute Kunst Tabus brechen und provozieren?

Ich möchte, dass man sich mit dem beschäftigt, was ich denke und tue, dass man nicht achtlos daran vorbeigeht. Ich möchte meine Lebenszeit nicht mit Belanglosigkeiten vergeuden. Gute Kunst hat in ihrer Zeit immer verstört, irritiert und provoziert, von Michelangelo über Goya bis Francis Bacon, von Bosch bis Bruce Nauman. Alle haben sie mit ihrer Kunst dem Establishment in die Fresse geschlagen. Wenn das die heutige Kunst ebenso vermag, was ist daran falsch? „Kunst ist nicht der Spiegel, den man der Gesellschaft vorhält, sondern der Hammer, mit dem man sie gestaltet.“ Als ich diesen Satz von Karl Marx als ungefähr 40-jähriger Künstler gelesen hatte, dachte ich mir, das Zitat beschreibt meine Haltung und das, was ich bis dahin als Künstler gemacht habe.

Dein gesamtes Werk konnte man durchaus unter „Verletzung der politischen Correctness“ verbuchen?

Kunst braucht keinen Konsens. Kunst hat keine Regeln, außer die, die sie selbst zur Maxime erhebt. Gute Kunst muss dir nicht den Honig ums Maul schmieren.
Du hast immer wieder radikal deinen Körper eingesetzt, deinen Körper als Material verwendet. Der Künstler entscheidet, mit welchem Material er wie arbeiten will. Für mich ist der Körper das unmittelbarste, das direkteste Instrument. Jeder hat einen, jeder glaubt ihn zu kennen. Du musst an seine Grenzen gehen, wenn du ihn wirklich kennen und verstehen willst. Dennoch nehmen und empfinden wir ihn ganz unterschiedlich. Für mich waren Gewalt und Schmerz ein Bestandteil meiner Erziehung, Prägung und Menschwerdung. Um frei von der Angst vor Schmerz und Gewalt zu werden, musste ich mich ihr stellen und sie bearbeiten. Kunst arbeitet an der Freiheit.

Hattest du je Angst bei diesen Aktionen? Was war die bisher kritischste Extremsituation, in der du dich befunden hast?

Die Angst saß mir oft im Nacken. Ich habe in meiner Laufbahn rund 50 Performances gemacht. Da waren zehn dabei, bei denen ich vorher wusste, wenn etwas schiefgeht, ist es vorbei. Das musst du in Kauf nehmen. Dann kommst du weiter. Danach bist du ein Stück freier.

Du hast in sehr vielen künstlerischen Bereichen gearbeitet, dein Körper ist dein Material. Du hast Musik gemacht, Theater, im Film gespielt, dein künstlerisches Reich auf einem Fabrikgebäude errichtet. Gesamtkunstwerk Flatz?

Mich hat die Haltung der Renaissance-Künstler wie da Vinci, die an einem gesamtheitlichen Weltbild gearbeitet haben, interessiert. Gesamtkunstwerk ist ein neuzeitlicher Begriff, der nicht das abdeckt, was die Welt und das Leben betrifft. Da reichen Pinsel und Leinwand, Hammer und Meißel nicht aus.

Du hast mit deinen Arbeiten immer auch ein wahnsinniges Medienecho erzielt, Kunstjournale und den Boulevard gleichermaßen angesprochen. Kann Kunst subtil und populär zugleich sein?

Kunst muss subtil sein und gleichzeitig Öffentlichkeit herstellen. Nur dann geht sie ins kollektive Bewusstsein ein und verändert was.

Kann Kunst etwas bewirken und verändern?

Kunst ist der Humus unserer Gesellschaft. Wie sähe die Welt ohne Kunst aus?! Wir würden noch auf den Bäumen herumturnen.

Du hattest vor einigen Jahren einen schweren Unfall, bist zwischen Leben und Tod geschwebt. In welcher Weise hat dieser Vorfall dein Leben verändert?

Der Unfall hat mir meine Endlichkeit vor Augen geführt.

Du hast dabei auch deinen geschundenen, zerrissenen, zusammengeflickten Körper, den Schmerz fotografiert.

„Zeige deine Wunde“ – der Sepp aus Kleve (Beuys) hat es uns doch schon vorgeführt.

Bei allem Wagemut … Gibt es da auch die Angst abzustürzen, keinen Einfall mehr zu haben, Existenzängste?

Diese Ängste kenne ich alle. Auch mir haben Depressionen schon die Kehle zugeschnürt, dass ich nach einem Strick gesucht habe.

Du nennst dein Atelier und Wohnhaus „Heaven 7“. Dein siebter Himmel?

Heaven 7. Die Suche nach dem Paradies auf Erden. Auch ich habe von den verbotenen Früchten genascht und bin verdammt zum Menschsein, der Rest ist Affentheater.

In deiner Heimatstadt Dornbirn gibt es seit geraumer Zeit ein Flatz Museum, die Erfüllung eines Traums?

Jeder Mensch möchte überleben und entwickelt so seine Strategien. Leben ist Energietransfer. Als Künstler hast du die Möglichkeit, außer über Nachkommen, etwas von deiner Lebensenergie in Form von Kunst weiterzugeben und zu konservieren.

Was noch unbedingt realisieren, gibt es da einen Traum des Wolfgang Flatz?

Ich möchte überleben – im oben erwähnten Sinn. Ich möchte unsterblich werden. Ich weiß, ich bin ein hoffnungsloser Sozialromantiker.

Vielen Dank für das Gespräch!

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