Peter Melichar

Historiker „vorarlberg museum“

Keine Ausstellung über Max Riccabona: Der Fall Riccabona

Dezember 2016

Der Name Riccabona wird heute in erster Linie mit Max Riccabona (1915–1997) in Verbindung gebracht. Das ist verständlich, denn als Künstler und Schriftsteller, vor allem aber als Original und Erzähler ist er noch vielen in Erinnerung. Er selbst hat immer wieder vorgelesen und publiziert, zu seinem Werk und zu seiner Person wurden Kataloge und Forschungsbände publiziert. Darüber hinaus kursieren über ihn Geschichten und Gerüchte in großer Zahl und von sehr unterschiedlicher Glaubwürdigkeit. Einige hat er selbst in die Welt gesetzt. Vor einigen Jahren entstand eine Debatte über seine Glaubwürdigkeit: Hat er James Joyce wirklich getroffen, war er am Sterbebett von Joseph Roth, hat er für den britischen Geheimdienst gearbeitet?

Doch die Geschichten von und über Max Riccabona haben eine andere Geschichte überlagert. Darum geht es in der Ausstellung „Der Fall Riccabona“ und im dazu erscheinenden Buch. Im Kern handelt es sich um die Geschichte einer großen Liebe – zwischen Gottfried Riccabona (1879–1964) und Anna Perlhefter (1885–1960).

Gottfried Riccabona war 1894 mit seiner Familie und seinen Geschwistern nach Feldkirch gekommen – sein Vater, ein Bautechniker im Staatsdienst und einem Südtiroler Geschlecht entstammend, war versetzt worden. Wie schon sein Vater fühlte sich der junge Riccabona dem deutschliberalen Milieu zugehörig. Er war ein talentierter Musiker, ein begeisterter Wagnerianer und hatte literarische Ambitionen. Anna Perlhefters Eltern wiederum waren Ende 1884 aus Böhmen nach Feldkirch gekommen; sie stammten aus jüdischen Familien und waren vor ihrer Übersiedlung zum katholischen Glauben übergetreten. Anna war die erste in ihrer Familie, die in Feldkirch geboren worden war. Doch nach dem frühen Tod der Mutter Dorothea – Anna war 13, ihr Bruder Max acht Jahre alt – kam Anna in die Obhut ihrer Cousine Maria Radio von Radiis auf Schloss Baslan bei Meran. Hier lernte sie eine andere Welt kennen, in der das Sammeln von Kunst und gediegenem Mobiliar, aber auch Musik und Theater große Bedeutung hatten. Zurückgekehrt nach Feldkirch lernte Anna 1904 ihren künftigen Mann kennen – sie hatte gemeinsam mit Gottfried einen Auftritt als Sprecherin bei der Schillerfeier des Jahres, ein für die Deutschnationalen allüberall extrem emotional aufgeladenes Ereignis.

1906 heirateten Kaufmannstochter Anna und Advokaturskonzipient Gottfried; im selben Jahr erwarb Vater Eduard Perlhefter im Mai ein Haus in der Feldkircher Marktgasse, erhielt das Bürgerrecht der Gemeinde Feldkirch und starb am Ende des Jahres.

Gottfried Riccabona musste nun die Verantwortung übernehmen. Annas Bruder Max Perlhefter war noch minderjährig, sie selbst nicht als Geschäftsfrau ausgebildet. Mit Umsicht und Beharrlichkeit gelang es ihm, das Geschäft mit Hilfe eines tüchtigen Geschäftsführers durch schwierige Zeiten zu manövrieren. Er selbst machte als Rechtsanwalt und Kommunalpolitiker Karriere. In dem brillanten Rechtsanwalt und Politiker Josef Peer, einem prominenten Mitglied der Vorarlberger deutsch-freisinnigen Bewegung, fand Gottfried einen Mentor, der ihm nicht nur den Weg in die Politik ebnete, sondern ihm auch in geistiger Hinsicht ein Vorbild war. In der Rede am Grab Josef Peers sagte Riccabona 1925: „Du warst ein seltener Meister der Rede, du warst ein wahrer und selbstloser Diener am Opfertische des öffentlichen Lebens, du warst ein aufrechter deutscher Mann im richtigen Sinne dieses Wortes, abhold allen Phrasen.“

Gottfried Riccabona wurde Stadtrat (1917–1924), Obervorsteher der Feldkircher Sparkasse, 1935 Präsident der Rechtsanwaltskammer. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, Max (1915–1997) und Dora (1918–2009), die in den 1930er-Jahren die Matura machten und nach Wien zum Studium gingen. Nach dem Anschluss Österreichs an NS-Deutschland wurde die Ehe der Riccabonas nach den NS-Gesetzen zu einer Mischehe. Gottfried Riccabona musste aus der Zeitung erfahren, dass er zu einer Zahlung von 5000 Schilling verpflichtet worden war, da er als Kammerpräsident für die Nazis, von denen er einige verteidigt hatte, zum Repräsentant des Schuschnigg-Regimes geworden war. Die Riccabonas mussten – wie auch Annas Bruder Max Perlhefter – ein „Verzeichnis des Vermögens“ abgeben, sie als Jüdin, er als jüdisch versippter Ehemann. Die Firma E. Perlhefter & Co. wurde arisiert. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurden Anna Riccabona und ihr Bruder Max Perlhefter genötigt, eine Judenvermögensabgabe zu zahlen, letztlich 25 Prozent des Gesamtvermögens. Beiden war es untersagt, an kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen, und das schlimmste war, dass die permanente Drohung im Raum stand, es gehe nur um ein – wie Max Perlhefter formulierte – „Aufschieben der Vernichtung bis nach dem Sieg“. Anna und Gottfried wurden zumindest einmal verhaftet, Max Perlhefter zweimal. Sie wurden zwar wieder freigelassen, aber – so mussten sie sich fragen – wie geht es das nächste Mal aus? Max Riccabona wurde zur Wehrmacht eingezogen, nahm am Krieg gegen Frankreich teil. Bald nach seiner Entlassung wurde er jedoch mit etwa 90 weiteren angeblichen oder tatsächlichen Monarchisten verhaftet. Die anderen wurden wieder freigelassen, Riccabona dagegen nach Monaten im Salzburger Gefangenenhaus ohne Prozess und Urteil als Schutzhäftling ins KZ Dachau gebracht. Die Familie überlebte NS-Herrschaft und Krieg, aber Haftschäden und Traumatisierungen waren die Folge.

Max Riccabonas Geschichte als Original oder moderner Narr, der als Anwalt scheiterte und teilentmündigt in einem Pflegeheim lebte, experimentelle Literatur verfasste und Geschichten ohne Rücksicht auf ihre mögliche Überprüfbarkeit erzählte, die ihm auf Teufel komm raus Anerkennung einbringen sollten, ist ohne diese andere Geschichte nicht zu verstehen. Ohne dass einzelne Täter namhaft gemacht werden können, wurde eine glückliche Familie an den Rand gedrängt, bedroht und verfolgt. Die Verwaltungspraxis des NS-Staates war ein Produkt jahrelanger Einübung und Einverleibung menschenverachtender Denkstile. Es ist zu fürchten, dass wir auch die Gegenwart in einen Übungsplatz für vergleichbare Praktiken zu verwandeln beginnen.
 

Ausstellung
Der Fall Riccabona, Vorarlberg Museum, Bregenz, 2. Dezember 2016 bis 17. April 2017

Buch
Peter Melichar und Nikolaus Hagen (Hg.): Der Fall Riccabona. Eine Familiengeschichte zwischen Akzeptanz und Bedrohung, Vorarlberg Museum Schriften 22, Böhlau Verlag 2017

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