Gerald A. Matt

Kunstmanager, Publizist und Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst Wien

Mae west: I have to get rid of these wet clothes and slip into a dry martini

Juni 2016

Der Dry Martini, kurz „Martini“ genannt, ist der König der Cocktails. So einfach dessen Zubereitung scheint – Gin oder Wodka, französischer Noilly Prat oder italienischer Vermouth, geschüttelt oder gerührt, so selten erhält man einen exzellenten Martini serviert. James Bond mochte ihn geschüttelt, nicht gerührt, was Somerset Maugham als ein Sakrileg betrachtete. Und der Filmemacher Luis Buñuel verglich ihn gar mit der jungfräulichen Empfängnis. Gerald Matt stellt Ihnen seinen Lieblingsdrink vor und gibt Ihnen die richtigen Adressen, um seine Leidenschaft zu teilen.

Der Dry Martini ist der klassischste, eleganteste und verführerischste aller Cocktails. An der Oberfläche eisig schimmernd, im Inneren kristallklar und kalt wie Polareis, ist er auch der reinste. Seine Bewunderer lieben seinen geradezu medizinisch perfekten Duft nach purem Alkohol, seinen entschiedenen und selbstbewussten, aber niemals aufdringlichen Geschmack, die leise Note des beigegebenen Vermouth, der dem Gin oder Wodka eine souveräne Zurückhaltung einhaucht, das noble Aroma von frischem Zitronenöl, die frostige Brise, die, kurz bevor die Lippen das Glas berühren, Mund und Nase so angenehm umflort, die farblose Transparenz der edlen Flüssigkeit, die der Olive skulpturale Konturen verleiht, und dann die Verzückung nach dem ersten herzhaften Schluck.

Ian Fleming, der Erfinder von James Bond, setzte dem Cocktail in „Casino Royale“ ein Denkmal. Bond bestellte seinen „Vesper“-Martini „very strong … and very well-made“ mit präzisen Instruktionen: „A dry Martini, in a deep Champagne goblet … three measures of Gordon’s, one of Wodka, half a measure of Kina Lillet. Shake it very well until it’s ice-cold, then add a thin slice of lemon peel.“ Sommerset Maugham hingegen rät dezidiert vom Schütteln ab. Nur gerührt könne der trockene Martini sein volles Potenzial entfalten, denn nur so können sich die Moleküle empfindsam übereinanderlagern. Der Martini-Guru Sebastian meint zu Bond trocken, er solle sich lieber um die Rettung der Welt kümmern als versuchen, Cocktailrezepte zu schreiben. Fleming hatte seinen ersten Martini mit sechs, in den 1950er-Jahren „als Martini trinken noch einem Sakrament glich und die Cocktailstunde die violette Stunde war, ein Moment des Gebetes … zwischen dem tödlichen Druck des Arbeitstages und der Unendlichkeit der Nacht“, einer Zeit, als Männer wie in der Serie „Mad Men“ noch gut geschnittene Anzüge und schmale Krawatten, Frauen Hüte, Handschuhe und schicke X-line-Kostüme trugen , beide Geschlechter hemmungslos im Büro rauchten und schon zu Mittag ihren ersten Martini kippten.

Über keinen anderen Cocktail grassieren mehr Meinungen und Rezepturen, kein anderer Cocktail rief mehr Debatten und Leidenschaften hervor: Gin oder Wodka, Olive oder Zitrone (twisted), Noilly Prat oder italienischer Vermouth, geschüttelt oder gerührt, trocken oder leicht süß, straight up oder Eis im Glas, jedenfalls niemals nass. Der Dry Martini ist mehr Weltanschauung als Drink, ist nicht einfach ein alkoholisches Getränk, sondern Lebensfreund und Frage des Stils. Er ist der eigentliche Held manch großer Literatur und Literaten von Steinbecks „Sweet Thursday“ bis Salingers „Catcher in the Rye“.

Passionierten Trinkern gilt sein Konsum als alkoholisches Hochamt. Selbst notorische Nichttrinker wie Woody Allen orientieren sich am Martini: „Ich bin kein Trinker, mein Körper toleriert keinen Alkohol, ich hatte einmal zwei Martinis zu Neujahr und versuchte einen Fahrstuhl zu entführen und mit ihm nach Kuba zu fliegen.“
Das Standardrezept gibt es nicht, der Martini lädt ein zu persönlichem Experiment. Empfehlungen lauten von einer älteren Rezeptur wie „vier Teile Gin oder Wodka, ein Teil Vermouth in ein Glas halb voll mit Eis, dann zumindest eine halbe Minute rühren und dann in einem eisgekühlten Glas servieren“, bis hin zu homöopathischen Dosierungen des Vermouth, der bestenfalls als Geschmacksgeber für das verwendete Eis fungieren darf (das ist mein Martini).

Der Martini als eine Mixtur aus Gin und Vermouth taucht bereits Ende des 19. Jahrhunderts in England auf. Ursprünglich wurde er mit Old Tom Gin (eine süße Gin-Variante) und rotem Vermouth angerichtet. Bald jedoch wünschten ihn sich seine Freunde immer trockener. London und Plymouth, trockene Gins, begannen sich ab 1900 durchzusetzen. Nach dem ersten Weltkrieg hatten Cocktails Hochkonjunktur, nicht einmal die Prohibition konnte der Cocktail-Mania Herr werden. Erst ein guter Cocktail gab einer Party ihren mondänen Namen. Eine Cocktailparty verhieß Eleganz und Frivolität, Smoking, Dekoleté und manchen glücklichen Fauxpas. Trotz oder gerade wegen des Alkoholverbots flossen harte Drinks in Strömen. Der Dry Martini schmeckte allen Klassen und Berufen vom Hochstapler über die Lebedame bis hin zum Banker. Deals und Affären wurden ebenso mit Martinis begossen wie Luftschlösser und Firmenbankrotte.

Auch wenn der Gin nun illegal und von zweifelhafter Qualität destilliert wurde, war er beliebter denn je. Schon damals gab es über den gesundheitsfördernden Aspekt des Dry Martini unterschiedliche Meinungen und Erfahrungen. Humphrey Bogart soll kurz vor seinem Tod gesagt haben: „Ich sollte niemals vom Scotch zum Martini gewechselt haben.“ Der Martini war auch der liebste Schluck des Öl-Tycoons John D. Rockefeller, der – und das sollte hier angemerkt werden –, im gesegneten Alter von 98 Jahren starb. Nikita Chruschtschow nannte den Martini gar „Amerikas tödlichste Waffe“.

F. Scott Fitzgerald, ein Liebhaber des Alkohols in jeder Form und zu jeder Zeit, schätzte am Gin besonders, dass er im Gegensatz zu den meisten alkoholischen Getränken im Atem nicht wahrnehmbar war. Der „Great Gatsby“-Autor, ein versierter Trinker, liebte seinen Dry Martini besonders trocken: Gin und nichts als Gin– ein Martini, wie ihn auch Winston Churchill, Bezwinger des Abstinenzlers Hitler und Nobelpreisträger für Literatur, liebte. Churchill bereitete seinen Martini zu, indem er ein Glas mit Gin füllte und das Wort Vermouth nur flüsterte oder, während er den eiskalten Gin sich zu Gemüte führte, eine Flasche voll Vermouth anstarrte und sich selbst bestätigte: „Nun ist er trocken.“ In den 1950ern des vorigen Jahrhunderts näherte sich in Churchills Sinne der Dry Martini für den Laien fast ununterscheidbar purem Gin oder Wodka an. Nur die geschulte Zunge eines Dry-Martini-Connaisseurs erspürt da noch den entscheidenden Unterschied, der beim Martini eine Welt ausmacht. Der große Martini-Kenner H. L. Mencken sah im Dry Martini gar eine amerikanische Erfindung „so perfekt wie das Sonett Europas“ und betonte, dass nichts so stimulierend sei wie ein starker Martini-Cocktail.

Truman Capote veröffentlichte 1958 seine Novelle „Frühstück bei Tiffany“, in der die naiv-liebenswürdige Holly Golightly, die an einem leeren Martiniglas nippt, „noch zwei, mein Liebling“ verlangt. Die positive libidinöse Wirkung des trockenen Martinis empfiehlt die Autorin und Salonlöwin Dorothy Parker: „Ich nehme gerne einen Martini, jedenfalls nicht mehr als zwei, nach drei bin ich unter dem Tisch, nach vier unter dem Gastgeber.“

Luis Buñuel, der spanische Meisterregisseur surrealistischer Filme voll von schwarzem Humor, sang in seiner faszinierenden Autobiografie „Mein letzter Seufzer“ eine Eloge auf den trockenen Martini. Dabei scheute er sich nicht, zur Erklärung des wahren Martinis Thomas von Aquins Erklärung der jungfräulichen Empfängnis zu bemühen, in der ein Sonnenstrahl ein Glas durchdringt; in dessen Inneren wird es warm, während das Glas intakt bleibt. Buñuels Geheimnis: Glas, Gin, Shaker gehören in den Kühlschrank bei einer Temperatur von mindestens 20 Minusgraden, dann ein paar Tropfen Noilly Prat und einen Schuss bitteren Angostura auf das Eis, rühren, ausgießen, den Gin aufs Eis und dann eiskalt im Glas servieren.

Eine Überzeugung teilen jedoch alle Martini-Fans: Wenn er das Leben schon nicht länger macht, dann macht er es doch leichter.

 

Empfohlene Bars

  • Bar Hotel Intercontinental, Heumarkt,Wien
  • Bar El Quijote, West 23rd Street, New York
  • Four Seasons Bar, New York City
  • Hotel Imperial Bar, Tokio
  • Claridge Hotel Bar, London,
  • … aber am besten macht ihn Santiago im „El Quijote“, wo Dry Martini zu einem Allheilmittel wird vom Jetlag bis zum Liebeskummer.

Kommentare

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