Thomas Feurstein

* 1964 in Bregenz, Studium der Germanistik und Geografie, Biblio­thekar und Leiter der Abteilung Vorarlbergensien an der Vorarlberger Landes­bibliothek seit 1998.

 

Passt Heimat in ein Buch?

September 2016

Joseph Hiller, Pfarrer in Au, war sich 1890 wohl nicht bewusst, dass er mit einem Buch über seine Gemeinde den Beginn einer langen Reihe von Publikationen setzte, die man bis heute als Heimatbücher bezeichnen kann. Seine Abhandlung beschäftigte sich anlässlich des 500-jährigen Pfarr-Jubiläums intensiv mit kirchlichen Belangen, behandelte daneben aber auch viele andere Themen, die für Au von Bedeutung waren. So beschreibt er beispielsweise ausführlich die Bedeutung der Bregenzerwälder Baumeister und deren wichtigste Projekte.

Bereits 1891 folgten ihm Joseph Fink und Hippolyt von Klenze mit ihrer Beschreibung des Mittelbergs, in der auch schon im Titel auf die Schwerpunkte Geschichte sowie Landes- und Volkskunde hingewiesen wird.

Seither wurde über fast jede Gemeinde und Stadt in Vorarlberg ein Heimatbuch verfasst, wobei sich in den letzten 20 Jahren die Zahl der jährlichen Neuerscheinungen noch weiter erhöht hat (zuletzt erschien der voluminöse Band „Bludenz – Stadtgeschichte des 20. Jahrhunderts). Der Boom derartiger heimatkundlicher Veröffentlichungen scheint sich auch in Zukunft fortzusetzen, sind doch im Moment schon wieder mehrere Publikationen in Vorbereitung.

Das Erscheinungsdatum der ersten Vorarlberger Heimatbücher war typisch für den deutschsprachigen Raum, da dort im 19. Jahrhundert die Heimatkunde einen erhöhten Stellenwert erhielt. Unter dem Einfluss des Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi etablierte sich die Heimatkunde als Fach an den Volksschulen. Der wichtigste Antrieb dafür war die Überzeugung, dass die Volksschulkinder zunächst die nähere Umgebung durch eigene Anschauung erfassen sollten, um später die ganze Welt begreifen zu können. Das Prinzip „Vom Nahen zum Fernen“, das auch in der Geografie Einzug hielt, war geboren. Nachdem es die Pädagogik war, die der Heimatkunde neue Bedeutung zumaß, ist es auch keine Überraschung, dass die Autorinnen und Autoren der Heimatbücher zum großen Teil Lehrer waren und auch heute noch vielfach sind.

Während die frühen Heimatbücher oft noch von einzelnen Autoren verfasst wurden, sind es später meist Autorenkollektive unter Beteiligung von Laien und Experten, die für den Inhalt verantwortlich zeichnen. Aber auch in jüngerer Zeit gelang immer wieder Ortschronisten das Wagnis, eine Gemeinde größtenteils alleine darzustellen (etwa Franz Kaufmann: „Schwarzenberger Heimatbuch“, 2000).

Die Beteiligung von externen Experten eröffnet zwar oft die Chance nach mehr Wissenschaftlichkeit, birgt aber auch Gefahren in sich. Gerda Leipold Schneider, die Herausgeberin des Heimatbuchs Höchst, hat sich schon 1994 mit dem Wesen des Vorarlberger Heimatbuchs auseinandergesetzt. Sie kommt zu dem Schluss, dass ein Gleichgewicht zwischen Wissenschaftlichkeit und Popularität gefunden werden muss. Anmerkungen und Literaturangaben sind demnach unerlässlich, die Autoren sollen sich aber immer bewusst sein, dass zu viel Wissenschaft die klassischen Leser, nämlich historisch, geografisch oder landeskundlich Interessierte, von der Lektüre abhalten könnte.

Wenn man bei den sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen von Heimatbüchern Gemeinsamkeiten ausmachen will und nach einer verbindlichen Definition sucht, stößt man auf unerwartete Schwierigkeiten. Es ist verwunderlich, dass sich der Begriff „Heimatbuch“ weder in einem Lexikon noch in der Wikipedia finden lässt, obwohl er in unzähligen Buchtiteln vorkommt und in jeder landeskundlich orientierten Bibliothek einen zentralen Platz einnimmt. Das typische Heimatbuch wurde schon vor dem Zweiten Weltkrieg durch charakteristische Inhalte definiert. So beschäftigt es sich idealerweise mit der lokalen Natur und Landschaft, mit lokaler Geschichte, mit Namenkunde, Wirtschaft, dem örtlichen Gemeinwesen, lokalen Bauten, der Volkskunde, der Hochkultur sowie mit Religion und Kirche. Eine Tagung in Tübingen zum Thema Heimatbuch identifizierte 2007 dann einige Merkmale, die für diese Literaturgattung typisch sind. Es richtet sich demnach an eine meist klar erkennbare Gemeinschaft und hat zum Ziel, deren Geschichte erinnerungsfördernd darzustellen. Es soll Identität stiften, soll die Geschichte der Heimat zu einem Bestandteil der eigenen Identität werden lassen und besonders in Zeiten, die als unübersichtlich und verwirrend empfunden werden, eine Stabilisierungsfunktion übernehmen. Einer weiteren Blütezeit der Heimatbücher scheint also nichts im Wege zu stehen.

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