Gerald A. Matt

Kunstmanager, Publizist und Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst Wien

Von einer Zeitreise durch die Alpen und einem Ausflug ans Ligurische Meer

September 2015

Gewöhnlich berichte ich Ihnen von herausragenden Kulturevents oder spreche mit herausragenden Vorarlberger Persönlichkeiten aus dem Kunst- und Kulturleben. Diesmal jedoch – am Ende der sommerlichen Ferienzeit – möchte ich Sie auf eine kleine Zeit- und Herbstreise durch die Vorarlberger und Tiroler Alpen und als eine kleine Zugabe auf einen Ausflug an die Riviera entführen. Dabei darf ich Ihnen eine Hoteldiva in den Dolomiten, eine alpine Bauhausikone in Seefeld und ein traditionelles Gasthaus mit Anwendungen im Großen Walsertal und ihre Geschichten ans Herz legen.

Große Kunst lebt von ihrer Energie, Magie und Anziehungskraft, und das gilt auch für Menschen und Orte. Einer dieser seltenen Orte liegt nahe Toblach am Fuße des imposanten Seekofelmassivs. Seit seiner Eröffnung 1899 in den Händen der legendären Hoteliersfamilie Bellenstainer, ist das alte Grand Hotel Pragser Wildsee ein Hort großer Geschichte und Geschichten. Herrlich einsam gelegen an einem Gebirgssee auf 1500 Metern Höhe, eröffnet sich von dessen Balkonen eines der spektakulärsten Bergpanoramen der Dolomiten. Im See, einem UNESCO-Weltnaturerbe, befindet sich nach einer Südtiroler Sage auch das Tor zum Reich der Fanes, einer wichtigen Südtiroler Sagenfigur. Zu dem vom Wiener Architekten Otto Schmid im Jugendstil erbauten Hotel gesellt sich die kleine Kapelle „Zur schmerzhaften Gottesmutter“, deren Segen noch heute Bergsteiger vor schwierigen Touren erbitten.

Riesige Speisesäle, lange Korridore und mondäne Sonnenterrassen künden von den großen Tagen der in die Jahre gekommenen Hoteldiva. Einst Sommerfrische für die Aristokratie der k. u. k. Monarchie – Österreich-Ungarns 1914 in Sarajewo erschossener Thronfolger Franz Ferdinand pflegte mit Familie am See Aufenthalt zu nehmen –, ging das Hotel auch in die Geschichte des Zweiten Weltkriegs ein. In den Endtagen des Dritten Reichs im Frühjahr 1945 ließ der berüchtigte Reichsführer SS Heinrich Himmler prominente Gefangene aus deutschen Konzentrationslagern ins Hochgebirge verschleppen, um sie als Geiseln für Verhandlungen mit den näherrückenden Amerikanern bereitzuhalten. Der Plan schlug fehl, der deutsche Offizier Wichard von Alvensleben hatte von der Geheimaktion erfahren und ließ die Geiseln von einem Wehrmachtstoßtrupp aus der Gewalt der SS befreien. Die Wehrmacht brachte unter anderem den österreichischen Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg, den französischen Premierminister Léon Blum, den griechischen General­stabschef, Pastor Martin Niemöller und die Familie von Claus Graf Schenk von Stauffenberg im Hotel unter, wo sie von den Amerikanern wenig später endgültig befreit wurden. Heute befindet sich im Hotel eine Gedenkstätte, an der sich jährlich Angehörige des Hitlerattentäters Graf Stauffenberg und anderer Widerstandskämpfer zur Erinnerung an die dramatischen Ereignisse jener Tage treffen. Wer erholsame Tage am Prag­ser Wildsee verbringen und Wanderungen mit Kultur verbinden will, der sollte dies anlässlich der hochkarätigen Mahler-Musikwochen tun, die alljährlich im nahen Toblach stattfinden, wo Gustav Mahler, Alma Mahler-Werfel und andere Kunstgrößen der Wiener Jahrhundertwende einst urlaubten.

Nahe des Ortszentrums von Seefeld in Tirol, umrahmt von einem ruhigen Birkenhain, findet sich das 1929 im alpinen Bauhausstil erbaute Hotel Berghof. Das Hotel wurde von Siegfried Mazagg gebaut, einem der damals hoffnungsvollsten österreichischen Architekten und begeisterten Alpinisten, der in noch jungen Jahren einem Verkehrsunfall zum Opfer fiel. Vom Besteck über die Teller bis hin zu den Möbeln in der eleganten Halle und im Lesesalon ist alles noch im Original von Mazagg geplant und entfaltet einen mondänen Charme. Im Winter wäre das Hotel eine ideale Kulisse für eine Szene aus Erich Kästners „Drei Männer im Schnee“. Der Berghof wurde von Architekturkritiker Friedrich Achleitner auch in seinen Führer durch die „Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert“ aufgenommen.

Salvador Dalí verbrachte hier in der Zwischenkriegszeit einige Urlaubstage. Davon künden die ersten auf dem Hotelbriefpapier des „Berghofs“ geschriebenen Seiten seines 1939 erschienenen Manifests „Unabhängigkeitserklärung des Menschen und Erklärung der Rechte des Menschen auf seine Verrücktheit“, das heute im Dalí-Museum in St. Petersburg in Florida aufbewahrt wird. Ein nicht weniger bekannter, als Massenmörder in die Geschichte eingegangener Gast nahm nicht nur den Namen des Hotels für seine Bleibe im Berchtesgadenerland mit, die Ehefrau des Hoteliers, Mimi Reiter, eine ehemalige Eisprinzessin, verfiel ihm und folgte ihm begeistert nach Berlin – eine Liebe, die Hitler nie erwiderte. Sie sah ihn und das Hotel Berghof nicht wieder.

Auf die wohl längste Geschichte der drei Ihnen empfohlenen Häuser blickt Bad Rothenbrunnen am Ende des Großen Walsertals, am Fuße eines großen Naturschutzgebiets gelegen, zurück. Am Anfang der Karriere von Bad Rothenbrunnen als Kurbad stand eine Marien­erscheinung eines Hirtenbuben, dessen verletzter Fuß durch ein Bad in einer Quelle auf wundersame Weise geheilt wurde. Bald entstand an der Stelle, die die Einheimischen den roten Brunnen nannten, ein Badehaus.

Urkundliche Quellen berichten vom Feldkircher Stadtarzt Ulrich Ellenbogen, der bereits 1460 die Quellen kommerziell als Heilwasser zu nutzen begann. Heute finden wir ein alpines bauliches Kleinod in einer herrlichen Landschaft vor, dessen Zimmer und Gaststube eine Zeitreise ins Vorarlberg des 19. Jahrhunderts ermöglichen. Erreicht werden kann der wunderbare Alpengasthof mit seinen historischen Zimmern, der Massagen, Kuren und Behandlungen anbietet, nur zu Fuß oder per Abholung durch die Wirtsleute über einen Fuhrweg. Der Aufenthalt wird weder durch Fernseher, Tageszeitungen oder Mobiltelefonempfang gestört.

Sollten Sie nun noch Lust auf weitere Zeitreisen haben, so darf ich Ihnen eine herbstliche Reise über das Engadin und den Gardasee an die italienische Riviera und das Ligurische Meer, das Vorarlberg nächstgelegene Meer, ans Herz legen. Im Engadin sei Ihnen das Hotel Kurhaus in Bergün empfohlen, eine Jugendstilperle mit grandiosen Tanzsälen, oder schon etwas weiter auf dem Wege ins pittoreske Bergell die Villa Salis inmitten eines Bergdorfs, das schon Rilkes Liebe fand. Am Comosee, in Adenauers langjährigem Urlaubsdomizil und Boccia-Refugium Cadenabbia, sollten Sie das Grandhotel Britannia nicht missen. Aus Courtoisie gegenüber seinen britischen Gästen lädt das Hotel gegen geringe Gebühr auf „all you can drink“ ein.

Am Ende dieses mehrtägigen Ausflugs erwartet Sie San Remo und das altehrwürdige Grandhotel de Londres, in dem Elisabeth von Österreich und die russische Großfürstin Marija Alexandrowna nächtigten und ihre Cocktails schlürften, bevor sie im Casino ihr Glück suchten.

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