Alois Niederstätter

Direktor des Vorarlberger Landesarchivs

Vorarlbergs Medien in der Nachkriegszeit

März 2018

Als am 29. April 1945 Soldaten der 5. Französischen Panzerdivision und der 4. Marokkanischen Gebirgsdivision die Leiblach überschritten und innerhalb einer Woche Vorarlberg befreiten, fanden sie eine mediale Wüste vor. Fünf Jahre Ständestaat hatten Pressezensur und Gleichschaltung mit sich gebracht, sieben Jahre nationalsozialistischer Willkürherrschaft den völligen Kahlschlag: Zuletzt erschien, als einzige Zeitung Vorarlbergs, das auf zwei Seiten reduzierte nationalsozialistische Tagblatt. Namhafte Journalisten wie der Chefredakteur des christlichsozialen Volksblatts, Kaplan Georg Schelling, wurden in Konzentrationslagern gefangen gehalten. Der Lauteracher Sender arbeitete nur noch als Relaisstation, die von Stuttgart oder München mit dem Wunschkonzert der Wehrmacht, Durchhalteparolen und Führerreden gespeist wurde. Das Abhören ausländischer Stationen galt seit Kriegsbeginn als „Rundfunkverbrechen“. Es drohten Gestapo-Haft und Kerker. Dennoch nahmen viele das Wagnis in Kauf. Um über die tatsächliche Lage informiert zu sein, wurde vor allem der Schweizer Sender Beromünster gehört. Er galt hierzulande als das Symbol für freie Meinungsäußerung.

Von den sinnlosen Zerstörungsaktionen im Angesicht des Zusammenbruchs der NS-Herrschaft war auch der Lauteracher Sender bedroht. Ein kleiner Kreis um den ehemaligen RAVAG-Techniker Otto Schubert rettete die Anlage. Mithilfe privater technischer Einrichtungen ging sie am 2. Mai 1945 um 16 Uhr, noch während zwischen Dornbirn und Hohenems gekämpft wurde, auf Sendung. Nach der Kennmelodie „Wiener Blut“ meldete sich Schuberts zwölfjähriger Sohn mit den Worten „Hier ist der Österreichische Rundfunk, Radio Vorarlberg in Dornbirn“. Die französischen Militärbehörden duldeten den Betrieb unter ihrer Aufsicht. Bereits Anfang Juni wurde von 6.25 Uhr morgens bis 22 Uhr abends gesendet. Nachrichten, aber auch Schallplatten, kamen in erster Linie aus der benachbarten Schweiz. Ein Gasthaus auf der Schweizer Seite der Schmitter Grenze diente als Übergabestation. Am 10. Juni 1945 hielt Ulrich Ilg als Präsident des Landesausschusses seine erste Radioansprache, den Text hat Ilg mehrmals überarbeiten müssen, bis die französischen Presseoffiziere ihn guthießen.

Die Verhältnisse waren schwierig. In einem Bericht aus diesen Tagen heißt es: „Als wir MacArthurs Einzug in Tokio meldeten, waren wir nicht in der Lage, einen Ortsbericht aus dem 50 Kilometer entfernten Bludenz zu beschaffen.“ Erst die Wiederaufnahme des Postverkehrs im Herbst 1945 ermöglichte den Ausbau der Lokalberichterstattung.
Aber schon nach einem halben Jahr beschäftigte Radio Vorarlberg 28 Angestellte sowie ein 40 Mann starkes, ganz ausgezeichnetes Funkorchester, das sich fast ausschließlich aus Flüchtlingen zusammensetzte, die von den Kriegsereignissen nach Vorarlberg verschlagen worden waren. Das Landesrevisionsamt bemerkte freilich: „Die Besetzung des Personals [...] ist sehr reichlich und nicht immer vom Gesichtspunkt der sachlichen Notwendigkeit bestimmt.“ Und weiter: „[...] erst im Laufe des Vormittags erschien dann der Großteil des Personal [...]“. Das Studio befand sich im Dornbirner Rathaus, das Funkorchester sendete meist live aus dem Schlossbräusaal, nachdem er nicht mehr als Internierungslager für hochrangige Nationalsozialisten benötigt wurde.

Nur wenig zögerlicher verlief der Neuanfang bei den Printmedien. Zehn Tage nach dem ersten Sendetag von Radio Vorarlberg erschienen das „Dornbirner Gemeindeblatt“ und das „Mitteilungsblatt der Gemeinde Mittelberg“, die allerdings nur amtliche Kundmachungen veröffentlichten. Als erste Vorarlberger Zeitung mit einem redaktionellen Teil folgte im Juli 1945 der Feldkircher Anzeiger als Wochenblatt.

Am 1. September erschien schließlich die erste Ausgabe einer neuen unabhängigen Tageszeitung, der „Vorarl­berger Nachrichten“. Landeshauptmann Ulrich Ilg schreib dazu in seinen Lebens­erinnerungen: „Als erstes konnte erreicht werden, daß [sic!] in Vorarlberg wieder eine Zeitung herausgebracht werden durfte, selbstverständlich unter strenger Überwachung einiger Besatzungsoffiziere. Über den Namen ‚Vorarlberger Nachrichten‘ war man sich sofort einig. Eine harte Auseinandersetzung gab es hinsichtlich der Besetzung der Redaktion. Oberst Jung wollte uns einen auswärtigen Journalisten zumuten, der zwar das Vertrauen der Besatzung hatte, aber unser Land nicht kennen konnte. Hier wurde unmißverständlich [sic!] gesagt: ‚Kommt nicht in Frage‘. Es erfolgte die Bestellung eines Vorarlberger Landsmannes in der Person von Dr. Eugen Breier.“ Dr. Breier gehörte der ÖVP an, die SPÖ entsandte Ferdinand Valentini in die Redaktion, während die KPÖ auf die Bestellung eines Redakteurs verzichtete und sich mit dem Liefern von Beiträgen begnügte. Man nannte die „VN“ daher im Volksmund das „Dreieinigkeitsblatt“.

In Hinblick auf die im November 1945 bevorstehenden Landtagswahlen genehmigte der Alliierte Rat schließlich die Herausgabe von Parteizeitungen: Knapp, gerade einmal zehn Tage vor dem Urnengang, erschienen das „Vorarlberger Volksblatt“ der ÖVP, der „Vorarlberger Volkswille“ der SPÖ und die „Tageszeitung“ als Organ der KPÖ. Viel Raum stand wegen des Papiermangels nicht zur Verfügung, die Zeitungen durften 1945 nur zwei, an Samstagen höchstens vier Seiten umfassen. Die Parteiredakteure verließen die „Vorarlberger Nachrichten“, um jeweils die Leitung ihres Organs zu übernehmen.

Es scheint, dass die französischen Behörden mit der Zulassung der Parteizeitungen zuwarteten, bis sich die „Vorarlberger Nachrichten“ etabliert hatten. Deren Position als Marktführer der Printmedien festigte sich im Frühjahr 1946 weiter, als das „Volksblatt“ einen Monat lang nicht erscheinen durfte und in dieser Zeit viele Leser verlor.
Innerhalb weniger Monate war – trotz der nach wie vor problematischen Versorgungslage – ein erstaunlich breites mediales Spektrum entstanden. An der Jahreswende 1945/46 erschienen in Vor­arlberg immerhin vier Tageszeitungen sowie als Wochenzeitungen der „Feldkircher Anzeiger“, ein Wirtschaftsblatt mit dem Namen „Vorarlberger Volksanzeiger“, die „Sportwoche“ und die „Radiowoche“. Im Zentrum standen die Sicherung von Demokratie, Meinungsfreiheit und -pluralismus in einem neuen Österreich. So heißt es in der ersten Nummer der „Vorarlberger Nachrichten“ vom 1. September 1945: „Unser Blatt ist nicht Organ [...] einer Richtung – es ist österreichisch.“ Und Ulrich Ilg formulierte wenig später im „Volksblatt“: „Unterschätzen wir die Bedeutung einer gutgeleiteten Presse nicht im Dienste eines erfolgreichen Wiederaufbaus.“ Politisch kämpferischer zeigte sich dagegen der sozialdemokratische Landesrat Jakob Bertsch im „Volkswillen“: „Nach elf Jahren faschistischer Diktatur, die jede freie Meinungsäußerung unterdrückte, erscheint in unserem Ländle wieder eine sozialistische Zeitung. Nun können wieder Arbeiter zu Arbeitern sprechen, und sie haben sich viel zu sagen [...].“

Um die Medienhoheit beizubehalten, untersagten die Militärbehörden übrigens die Verbreitung von Schweizer Tageszeitungen in Vorarlberg.

Es dauerte nicht lange, bis die Landesregierung ihr Interesse am Ausbau, aber auch an der Kontrolle der Sendetätigkeit von Radio Vorarlberg bekundete. Ein zwar provisorisches, aber dennoch bis zum Ende der Besatzungszeit in Kraft befindliches Statut vom November 1946 übertrug ihr die Verwaltung des Rundfunks zu treuen Händen: Radio Vorarlberg wurde als nachgeordnete Dienststelle in die Organisation des Amtes der Vorarlberger Landesregierung eingegliedert. Die Leitung des Landessenders übernahm Bundesrat Eugen Leissing. Darüber war die Opposition wenig erfreut. Im SPÖ-Organ „Volkswille“ konnte man lesen: „Es wird gefordert, daß auch Radio Vorarlberg wie die meisten anderen österreichischen Sender eine ‚Viertelstunde Sozialismus‘ bringt.“

Den Rundfunk als „halbkünstlerischen Betrieb“, wie ihn Kulturreferent Arnulf Benzer einstufte, an die Amtskandare zu nehmen, erwies sich als schwieriges Unterfangen. Begriffe wie „Aktenplan“, „Zeichnungsberechtigung“, „Dienstweg“, „einheitliche Briefform“ ließen sich nur schwer vermitteln. Der mit der Realisierung der neuen Administrationsordnung beauftragte Beamte berichtete resignierend: „Zwar wurde den Referenten der neue Vorgang erklärt. Sie waren im Wesentlichen einverstanden, doch bedeutet dies erfahrungsgemäß keine Sicherung, daß sich die Reform einlebt.“ Personelle Fluktuationen waren Ausdruck gravierender Spannungsfelder. Vorrangiges medienpolitisches Ziel der Vorarlberger Landesregierung blieb von den späten Vierzigerjahren an die Erhaltung beziehungsweise der Ausbau eines eigenständigen Landessenders. „Dieses Sprachrohr in der Hand des Landes schien uns ungeheuer wichtig“, vermerkte Landeshauptmann Ulrich Ilg. Das Statut von 1946 und die gleichfalls treuhändische Übergabe der Sendeanlage Lauterach durch das Verkehrsministerium im Jahr 1948 bildeten die Grundlage.

Den Vorarlberger Ansprüchen standen freilich die zentralistischen Rundfunkpläne der Bundesregierung entgegen. Die langwierigen, zäh geführten Verhandlungen endeten in einer Pattsituation. Am 1. Mai 1954 kündigte das Verkehrsministerium die treuhändische Verwaltung des Senders Lauterach durch das Land Vorarlberg auf. In dieser Frage war die Rechtslage klar, derartige Anlagen gehörten zur Post- und Telegraphenverwaltung. Umstritten war sie dagegen hinsichtlich der Rundfunkprogramme. Vorarlberg rief daher den Verfassungsgerichtshof an, der jedoch gegen das Land entschied und das Rundfunkwesen als Angelegenheit des Bundes einstufte. Für den Fall, dass das Land nicht einlenken sollte, forderte Minister Ernst Waldbrunner Gendarmerie an.

Am 27. November 1954 gab die Landesregierung den Sender Lauterach an die Postverwaltung zurück, hoffte aber weiterhin auf eine Rundfunkkonzession und war daher nicht bereit, das Studio im Dornbirner Rathaus, das Landeseigentum war, abzutreten. Am 1. Dezember kappte die Post kurzerhand die Sendeleitung, die Vorarlberger hörten mittags statt der Landesnachrichten die Tiroler Lokalnachrichten. Am 3. Dezember meldete sich erstmals der „Österreichische Rundfunk, Radio Vorarlberg“. Die „Vorarlberger Nachrichten“ resümierten: „Die Wiener Zentralisten beider Regierungsparteien benützen jede Gelegenheit, uns zu maßregeln und unser Heimatgefühl lächerlich zu machen. [...] Krasse Diktatur und Vergewaltigung der Eigenständigkeit eines Bundeslandes muss man das nennen.“

Der darob zutiefst empörte Landeshauptmann Ulrich Ilg schickte als Protest das Große Goldene Ehrenkreuz der Republik Österreich, das er kurz zuvor erhalten hatte, an Bundeskanzler Julius Raab zurück. Raab ließ ihm den Orden allerdings umgehend wieder zugehen und gab zu verstehen, dass er damit den Bundespräsidenten Theodor Körner brüskieren würde. Ilg antwortete: „[...] ich nehme Deinen Wink insoweit zur Kenntnis, daß ich das Ehrenzeichen als Auszeichnung des Landes unserem Landesarchiv übergebe, nachdem ich nichts mehr davon wissen will“. Wir verwahren den Orden selbstverständlich noch heute.

In einem vor dem Arbeitsgericht Feldkirch geführten Prozess wurde die heikle Konstruktion des österreichischen Rundfunkwesens dieser Jahre überdeutlich. Für die offizielle Bezeichnung „Österreichischer Rundfunk“ fehlte nämlich jegliche Rechtsgrundlage, die beiden öffentlichen Verwalter besaßen diese Funktion de jure gar nicht; ein Hoheitsträger existierte nicht. Erst die Gründung der Österreichischen Rundfunk Ges.m.b.H. im Jahr 1958 schuf klare Verhältnisse.

Wann, meine Damen und Herren, endete die mediale „Nachkriegszeit“ in Vorarlberg? Wohl nicht mit dem Staatsvertrag, auch nicht dem Vorarlberger Rundfunkkrieg, der aus einem Landesregierungssender einen Bundesregierungssender machte.

Zwei Marksteine kennzeichnen die Epochengrenze. Der eine – im Bereich der Printmedien – war das allmähliche Ende der Parteizeitungen. Im Jahr 1957 erschien die letzte Nummer des „Vorarlberger Volkswillen“, des Organs der SPÖ. Auch das „Volksblatt“ kränkelte. Zwar konnte es 1966 noch den 100. Geburtstag feiern, 1972 aber erfolgte die Einstellung. Landeshauptmann Ilg erinnerte sich: „Wie oft habe ich auf Versammlungen appelliert, die Gesinnungsfreunde möchten aus Treue und Anhänglichkeit zur Partei die eigene Presse, das Volksblatt, abonnieren. Die Wirkung meiner Werbung war leider immer ergebnislos. Das ist die größte Enttäuschung gewesen, die ich erlebt hatte.“ Treue und Anhänglichkeit zu einer Partei hatten aufgehört, bei der Befriedigung des Informationsbedarfs eine Rolle zu spielen. So wichtig die weltanschaulich gebundenen Medien für die Formierung der politischen Lager, auch für die Schaffung eines demokratischen Bewusstseins gewesen waren, in einer sich wandelnden Gesellschaft, einer sich tiefgreifend verändernden Medienlandschaft fanden sie keinen Platz mehr.

Den zweiten Markstein bildete die Reform des ORF. 1965 betrieben die unabhängigen österreichischen Tageszeitungen gegen die parteipolitische Vereinnahmung als „Proporzrundfunk“ ein Volksbegehren, das über 830.000 Österreicher unterstützten. Es folgten daraufhin das Rundfunkgesetz von 1966 und unter Generalintendant Gerd Bacher die Regionalisierung des ORF mit der Errichtung von Landestudios. 1972 ging das neue Landesstudio Dornbirn in Betrieb. Wie grundlegend die Position der Medien im Bereich der politischen Kommunikation in den Sechzigern und zu Beginn der Siebzigerjahre neu definiert worden waren, zeigen die Ereignisse um die Fußacher Schiffstaufe oder der politische Machtwechsel in der Landeshauptstadt Bregenz infolge der Diskussion um die Führung der Autobahntrasse in aller Deutlichkeit.
Vor allem die ältere Politikergeneration konnte sich mit der Neuverteilung der Rollen nur schwer abfinden. Ulrich Ilg etwa, der es gewohnt war, jene Antworten vorzugeben, zu denen der Interviewende die Fragen erfinden musste, äußerte in diesem Zusammenhang: „Da kann man nur den Ratschlag wiederholen, den ich einmal in Wien ausgesprochen habe: ‚Lest nicht so viel Zeitungen, dann werdet ihr weniger vom rechten Weg abkommen‘.“

Was bleibt von der medialen Nachkriegszeit? Die Bilanz fällt durchaus positiv aus. In der Rückschau beeindrucken das hohe Niveau der journalistischen Arbeit und der große Anteil, den die Medien am Kulturleben des Landes hatten. An vorderster Stelle aber steht das Wissen um die Bedeutung der Medienlandschaft für die Schaffung, den Ausbau und die Fortentwicklung einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft. Diese Aufgabe haben die Vorarlberger Medien von der ersten Stunde an unter oft schwierigen Bedingungen bestens erfüllt und damit einen entscheidenden Beitrag zum Wiederaufbau des Landes nach den Jahren der Willkürherrschaft und des Krieges geleistet.

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