Stefan Fischnaller

Obmann der Volkshochschulen Vorarlberg

Wir sind alle dafür verantwortlich

Oktober 2015

Trotz der vielen Möglichkeiten, die es in Österreich für Bildung gibt, lässt die PIAAC-Studie (PISA für Erwachsene) aufhorchen: Sie hat ergeben, dass eine Million Österreicher nicht sinnerfassend lesen können. Man fragt sich: Handelt es sich dabei wirklich um Menschen mit deutscher Muttersprache? Wenn ja: Wie ist es möglich, nach dem verpflichtenden Schulbesuch nicht lesen und schreiben zu können?

Aus unserer Erfahrung in der Basisbildung an den Vorarlberger Volkshochschulen sehen wir, dass die Teilnehmenden aus einem breit gefächerten sozialen und beruflichen Feld kommen. Sie alle verbindet, dass sie an der rasanten Entwicklung unserer Gesellschaft und Arbeitswelt nicht mehr teilhaben können. Betroffene erzählen von fehlender Unterstützung in ihrer Kindheit, vom verpassten Anschluss in der Schule oder von einer nicht erkannten Legasthenie. Von einer Kursteilnehmerin erfahre ich, dass sie beim Bahnhof umkehrt, weil sie das Wort ‚Familienpass‘ am Automaten-Display nicht findet. Aufs Auto umgestiegen, treibt ihr ein Schild „Die Feuerwehrzufahrt sowie der Reversierplatz für das Feuerwehrfahrzeug sind in jedem Fall freizuhalten!“ den kalten Schweiß auf die Stirn.

Fehlende Lese- und Schreibkenntnisse schränken ein Leben gewaltig ein. Dabei wäre es möglich, diesen Kreis aus Scham, Verstecken und Verdrängen zu beenden! Basisbildungskurse, wie sie an den Vorarlberger Volkshochschulen dank Unterstützung von Bund und Land gratis angeboten werden, können ein echter Turnaround werden. Da die Betroffenen (es gibt garantiert mehr, als Sie denken!) Einladungen zu entsprechenden Bildungsmaßnahmen nicht selbst lesen können bzw. Schwierigkeiten damit haben, ist jeder Einzelne als Multiplikator aufgerufen, im Bedarfsfall zu vermitteln. Schließlich ermöglichen verbesserte Lese- und Schreibkenntnisse die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.