Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Bewegung!

März 2016

Die Sportwirtschaft generiert in Österreich eine Bruttowertschöpfung von 17,1 Milliarden Euro. Bewegung und Sport sparen dem Staat pro Jahr bis zu 530 Millionen Euro. Doch das Potenzial ist, auch in Vorarlberg, noch bei Weitem nicht ausgeschöpft. Im Durchschnitt sitzt der Mensch neun Stunden am Tag – am Arbeitsplatz und vor dem Fernseher. „Sitzen ist das neue Rauchen“, warnt der Frastner Sportpsychologe Christian Uhl.

In wenigen Tagen wird das neue Vorarlberger Sportkonzept präsentiert. Inhalte wurden bislang noch keine kommuniziert. Nur so viel ist bekannt: Mit dem neuen Konzept, an dem über ein Jahr lang gearbeitet wurde, soll der Stellenwert von Breiten-, Spitzen- und Gesundheitssport in Vorarlberg weiter gefördert werden. „Sport und Bewegung“, sagt die zuständige Landesrätin Bernadette Mennel, „prägt, aktiviert, verbindet die Menschen.“ Und über den rein sportlichen Aspekt hinaus wirke sich körperliche Aktivität in mehrfacher Hinsicht positiv auf die Gesellschaft aus – dank gesundheitsfördernder, erzieherischer, integrativer, kultureller, touristischer und wirtschaftlicher Aspekte.

Die finanziellen Dimensionen von Sport und Bewegung sind beachtlich. Nach Angaben des zuständigen Ministeriums generiert die Sportwirtschaft in Österreich eine Bruttowertschöpfung in Höhe von 17,1 Milliarden Euro, ist damit für knapp sechs Prozent des österreichischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) verantwortlich. Jeder siebzehnte in Österreich erwirtschaftete Euro kommt aus diesem Bereich, die Sport- und Bewegungsbranche zeichnet für insgesamt 333.000 Arbeitsplätze verantwortlich, direkt oder indirekt. Jeder 13. Arbeitsplatz in Österreich geht damit auf die Sportwirtschaft zurück, heißt es in Unterlagen des Ministeriums, der Gesamtbeschäftigungseffekt der Sportwirtschaft gleiche dem Einzelhandel und entspreche dem Doppelten der Gastronomie. In Vorarlberg zeichnet die Branche nach Angaben der Landesrätin für 15.000 Arbeitsplätze verantwortlich – dank 230 registrierter Sportartikelhändler, dank renommierter und innovativer Unternehmen wie Head, Simplon, Kraftstoff, Skinfit, Allsport oder Kästle, um nur einige zu nennen. Daten, wie viele Vorarlberger sich Sport und Bewegung verschrieben haben, gibt es allerdings keine. All jene, die außerhalb von Vereinen wandern, joggen, radeln oder schwimmen, sind in keiner Statistik erfasst. Über verschiedene Dach- und Fachverbände sind nur Mitglieder der diversen Sportvereine registriert, in Summe 143.382 Männer und Frauen. Die Top drei der organisierten Sportwelt: 24.000 Vorarlberger sind Mitglied eines Fußballvereins, 18.500 Mitglied eines Skivereins und 8750 Mitglied eines Turnvereins.

Der „Fonds gesundes Österreich“ geht davon aus, dass in den westlichen Bundesländern mehr Menschen Sport und Bewegung treiben als in den östlichen, „weil im gebirgigen Westen Österreichs die Berge zu mehr körperlicher Aktivität einladen“. Was dem Einzelnen dient, nützt auch der Allgemeinheit: Laut einer aktuellen Studie zum volkswirtschaftlichen Nutzen von Bewegung in Österreich spart körperliche Aktivität dem Staat pro Jahr bis zu 530 Millionen Euro. „Bewegung in allen Lebenslagen und in jedem Alter ist unser Ziel“, erklärt die Landesrätin, „wir wollen innerhalb der Bevölkerung auch das Bewusstsein stärken, eine Bewegungs- und Sportkultur zu leben.“ Verschiedenste Kampagnen des Landes dienen diesem Ziel, im Breitensport etwa die Initiative „Vorarlberg bewegt“. Diese Kampagne will Bewegungskultur als Grundlage einer dauerhaften Bewegungskarriere schaffen – und ist in diesem Bestreben offenbar erfolgreich. Die Landesregierung spricht jedenfalls davon, dass sich dank der Kampagne 36.700 Vorarlberger jeden Alters mehr bewegen würden als früher – Menschen, die dem zunehmendem Trend zur Bewegungsarmut den Kampf angesagt hätten.

Wundermittel Bewegung

Vollkommen unerheblich ist, in welcher Form man sich bewegt, ob man nun spaziergeht, einem Ball nachspringt oder durch die Landschaft radelt. Wichtig ist, dass man sich bewegt. Denn Bewegung und Sport wirken sich auf nahezu jeden Teil von Körper, Geist und Seele positiv aus. Entsprechende körperliche Aktivität, da ist sich die Fachwelt einig, beugt Krankheiten vor, kann sie sogar heilen. Bewegung könne fast als Universalmedizin betrachtet werden, schrieb ein Redakteur der „Zeit“. Gleich einer hoch dosierten Pille, hieß es dort, löse jede körperliche Anstrengung Kaskaden physiologischer Vorgänge aus: „Das Herz pumpt schneller, die Körpertemperatur steigt, Dutzende von Botenstoffen strömen in Kopf und Glieder.“ Im Gehirn entstehen so neue Nervenbahnen, krankes Gewebe heilt, neue Zellen wachsen heran, die Erbsubstanz wird repariert. „Regelmäßige Bewegung und Sport helfen, Zivilisationskrankheiten vorzubeugen“, erklärt Sportarzt Marc Sohm. Laut dem Leiter des Sportmedizinischen Instituts beim Sportservice Vorarlberg sind regelmäßige Bewegung und Sport im Erwachsenenalter „wirksame Mittel gegen Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Beschwerden“. Sport erweise sich als deutlich effektiver zum Senken des Blutdrucks als diverse Blutdruckmedikamente, Bewegung stärke die Muskulatur, beuge Haltungsschäden vor, vermindere das Risiko von Osteoporose. „Bewegung fördert außerdem das Gleichgewichtsgefühl, ein großes Plus gerade im Alter“, sagt Sohm, „auch bestimmten Krebsarten lässt sich durch regelmäßige Bewegung vorbeugen.“ Zudem schaffen Sport und Bewegung gute Laune, sie tragen zum Wohlbefinden bei, kanalisieren Stress. „Der positive Einfluss auf die Psyche wird oft vergessen“, sagt der Frastner Sportpsychologe Christian Uhl, „Bewegung und Sport fördern auch die Selbstzufriedenheit und das psychische Wohlbefinden.“ Und Bewegung sei vielfach sogar ein probates Mittel, um Depressionen – in Verbindung mit medikamentöser Therapie – erfolgreich zu therapieren.

„Sitzen ist das neue Rauchen“

Theoretisch. Denn viele Menschen bewegen sich eben nicht. Oder zu wenig. Sportpsychologe Uhl sagt, dass der Mensch im früheren Arbeitsleben durchschnittlich 15.000 Schritte pro Tag zurückgelegt habe: „Heute sind das im Durchschnitt nur noch 2500 Schritte.“ Eine deutsche, aber wohl auch auf österreichische Verhältnisse umlegbare Studie der Deutschen Krankenversicherung wies 2014 nach, dass ein Erwachsener im Durchschnitt an Wochentagen siebeneinhalb Stunden sitzt, junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren gar neun Stunden – am Arbeitsplatz und anschließend vor dem Fernseher. Dauerhaftes Sitzen hat weitreichende Folgen für den Fett- und Blutzuckerstoffwechsel, dauerhaftes Sitzen macht krank, ist nach Angaben von Ärzten gefährlich für Herz, Kreislauf und Insulinstoffwechsel, verursacht Rückenleiden, kann zu Diabetes führen und das Krebsrisiko erhöhen. „Sitzen ist das neue Rauchen“, sagt Uhl drastisch. Drastisch fällt auch das Ergebnis einer Studie der Bundessportorganisation zu den volkswirtschaftlichen Aspekten von Bewegung und Sport aus: Körperliche Inaktivität verursacht in Österreich, sowohl im Gesundheitsbereich wie auch gesamtwirtschaftlich durch Produktivitätsentgang und Berufsunfähigkeit, jährliche Kosten von bis zu 2,4 Milliarden Euro.

Kleine Maßnahmen, große Erfolge

Wobei kein Mensch einen Marathon laufen muss. Laut einer Leitlinie der Weltgesundheitsorganisation reicht bereits eine halbe Stunde moderater Bewegung pro Tag: „Entscheidend ist, dass man ein bisschen außer Atem gerät und den Stoffwechsel in Schwung bringt.“ Uhl und Sohm raten dazu, im Alltag bewusst mit Bewegung zu beginnen, etwa die Treppe statt den Lift zu benutzen, oder – falls von der Distanz her möglich – mit dem Rad und nicht mit dem Auto zum Arbeitsplatz zu fahren. Und wer mit dem Auto fahren muss, solle nicht den Parkplatz wählen, der dem Eingang am nächsten liegt, sondern weiter entfernt parken. Nur schon am Arbeitsplatz gelegentlich aufzustehen oder Fingergymnastik helfe. Uhl sagt auch, man solle Telefonate im Stehen führen: „Viele meiner Seminarkunden haben eingeführt, wichtige Entscheidungen im Rahmen von Meetings im Stehen zu diskutieren und zu treffen.“ Bereits Sokrates habe mit seinen Schülern Spaziergänge unternommen, um die Lebensgeister zu aktivieren.

Der Aufwand, Bewegung in den Alltag zu bringen, muss nicht einmal allzu groß sein. Trotzdem folgen in Österreich nur etwa ein Fünftel der 11- bis 15-jährigen Schulkinder entsprechenden Bewegungsempfehlungen zur Förderung der Gesundheit. Bei den Erwachsenen sind aus gesundheitlicher Sicht nur rund ein Viertel ausreichend körperlich aktiv. Mehr als ein Drittel der Erwachsenen betreiben keine körperlichen Aktivitäten von zumindest mittlerer Intensität. Der Durchschnittsösterreicher bewegt sich nicht ausreichend, laut einer Studie sogar weniger als der EU-Durchschnitt. Mennel sieht in Vorarlberg zwar eine zunehmende Bewegungslust, insgesamt aber noch zu viele körperlich inaktive Menschen. Und was Kinder und Jugendliche betrifft: Mennel erneuert in diesem Zusammenhang die Forderung nach Einführung einer täglichen Turnstunde in den Schulen.

Der Meinungsforschung zufolge wissen übrigens über 80 Prozent der Österreicher, dass regelmäßige Bewegung gut für die Gesundheit ist. In Vorarlberg ist das Bewusstsein noch höher, laut einer älteren Studie des Meinungsforschers Edwin Berndt wissen gar über 90 Prozent um die positive Wirkung von Bewegung und Sport – allerdings bewegen sich nur ein knappes Drittel der Vorarlberger mehrmals wöchentlich. Theorie und Praxis – das ist die Sache mit dem inneren Schweinehund.

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