Peter Freiberger

Duell über dem Bodensee

Mai 2016

Die Frage polarisiert: Welcher Berg ist attraktiver für Hobbysportler – Karren oder Pfänder? Grund genug, sich in die Heerschar der Wanderer und Bergläufer einzureihen, um aus neutraler Tiroler Sicht der Antwort ein paar Schritte näher zu kommen. Karren gegen Pfänder – ein Derby der besonderen Art.

Den Dornbirner Hausberg kannte ich bisher nur von einer luftigen Seilbahnfahrt, auf den Pfänder hatte es mich bis dato gar nicht verschlagen. Hängt vielleicht damit zusammen, dass ein Tiroler mit Wohnort Brand (Seehöhe: 1000 Meter) Erhebungen um die 1000 Meter, die unter dem Begriff „Berg“ firmieren, nicht allzu ernst nimmt.

Die Talstation der Karrenseilbahn steht an einem recht idyllischen Platz neben der Dornbirner Ach. Kollegen, die mehrmals wöchentlich am Abend von hier auf den Karren wandern bzw. joggen, hatten mich auf den Automaten bei der Seilbahn aufmerksam gemacht, mit dessen Hilfe sich die Gehzeit messen lässt. Also nach dem Parkschein noch rasch ein Zettelchen mit Strichcode für die Laufzeitmessung herausgedrückt.  Mit 1 ¼ Stunden ist direkt jenseits der Ach der „Steilweg“ zur Bergstation angeschrieben. Klingt lange, verglichen mit den Fabelzeiten, die mir regelmäßig ans Ohr dringen.

Ich will gerade rasant losstarten, da schaue ich genauer nach oben: Verdammt steiler Anfang – sogar für einen Bergler. Egal, ein bisschen Gas geben sollte schon sein. Daher nehme ich auch die erste Abkürzung und gelange bald an den Rand jener großen Wiese, über die die Seilbahn empor zur Station schwebt. Die Bergstation thront dort oben wie eine Burg – fabelhafter Anblick.

Hier schenkt sich keiner etwas

Nach einer flacheren Passage verläuft die Route wieder zackig hinauf – weitere Abkürzungen müssen freilich sein, schließlich möchte ich den Tiroler Bergsteigerruf nicht beschädigen. Und an der Stelle, wo zwischen einem kürzeren und einem zehn Minuten längeren Streckenabschnitt gewählt werden kann, entscheide ich mich für den kürzeren. Bin in guter Gesellschaft: Hier schenkt sich ganz offensichtlich keiner etwas.

In dem Bereich zieht der Weg aber unerwartet extrem steil aufwärts. Verglichen damit kommt mir der Schlussanstieg zur Ötztaler Wildspitze fast wie ein gemütlicher Spaziergang vor. Und plötzlich „fliegt“ auch noch einer an mir vorbei, dessen Body-Mass-Index wohl deutlich schlechter ausfällt als meiner.  Als ich wieder über mehr Luft zum Atmen und Schauen verfüge, erkenne ich, dass der Karren im letzten Drittel in einem Bogen von der Rückseite bezwungen werden muss. Erfreulicherweise verlaufen die abschließenden Entfernungsmeter beinahe flach, nun zeigt die kurze Tour auf den Dornbirner Hausberg ihre entspannende Seite. Nach dem Überholtrauma in der steilsten Passage zögere ich am Ziel zunächst, mir die Gehzeit per Scan berechnen und schwarz auf weiß ausdrucken zu lassen, „traue“ mich  letztlich aber doch. Fazit: ganz okay.

Jetzt wird der Umkleideraum genutzt, um mit trockenem Gewand auf der neuen, schwindelerregenden Aussichtsplattform „Karrenkante“ das Panorama zu genießen – Blick zum „Derbygegner“ Pfänder inklusive. Ein kühles Bier muss es an diesem lauen Frühlingsabend über Dornbirn schon sein, ehe ich entlang derselben Strecke den Abstieg in Angriff nehme. Gegen 19 Uhr herrscht hier mächtig Gegenverkehr. Wüßte ich es nicht besser, hätte ich glatt eine Völkerwanderung vermutet. Sogar Bregenzer zieht es auf den Karren. Das macht stutzig.

Deshalb fahre ich für den persönlichen Vergleich nach Bregenz. Erster Eindruck: Deutlich urbaner der Ausgangspunkt, optisch von unten wesentlich weniger spektakulär das Ziel. An eine Vorentscheidung im Derby mag ich allerdings nicht glauben. „Pfänder 1 ¾ Stunden“ lese ich direkt neben dem Parkplatz der Talstation der Pfänderbahn. Klingt nach mehr „Holz“ als beim Konkurrenten Karren. Und knapp über 1000 Meter hoch liegt das Ziel auch. Macht die visuellen Eindrücke rasch wieder wett.

Das Gschlief – fast weltberühmt

Vorbei an noblen Villen folge ich mutmaßlichen Bregenzern Richtung Pfänder. Ich erlaube mir einen kurzen Blick zurück, und als Tiroler gerate ich ins Staunen. Wie das Meer breitet sich der Bodensee aus. Neulich am Karren hatte ich dieses Erlebnis erst ganz oben – und zudem nicht in XX-Large. In den Wiesen entdecke ich dann zum ersten Mal ein Schild mit der Angabe „Gschliefweg“. Ich befinde mich also auf der richtigen Route – über das angeblich fast weltberühmte Gschlief zum Pfänder.

Verglichen mit dem Karren geht es im Gschlief lange deutlich weniger steil zur Sache – ein Aspekt, der den (Über-)ehrgeizigen wohl als Manko erscheint. In Wahrheit ist der Trainingseffekt aber weit größer, wenn man den Puls im niedrigeren Bereich halten kann. Und überdies lässt sich der „Herzkasper“ unter diesen Voraussetzungen leichter distanzieren. Die Idylle auf den Wiesen und im Wald, in den die Strecke bald hineinzieht, fasziniert mich. Wunderbare Gerüche steigen auf, nachdem es zuvor geregnet hatte. Der eine oder andere kleine Bach trägt seinen Teil bei zu der herrlichen Naturkomposition. Es dauert freilich nicht lange, da verläuft der breite Fußweg doch recht zügig nach oben und über Stock und Stein. Kurz danach bleibt nichts anderes übrig, als anzuhalten – spektakulär der unerwartete Tiefblick zum Bodensee.

Die magische 1000-Meter-Grenze

Im Bereich der „Halbstation“ schwebt die Gondel über mich hinweg, nach einer weiteren Waldpassage gerät der Tiroler beinahe ins Schmunzeln – über die Schlepplifte auf den sanften Wiesenhängen. Knapp unterhalb des Ziels zeigt die Höhenuhr die magische 1000-Meter-Grenze an. Von hier könnte man fast hinunterschauen auf den Karren …
Bei der Bergstation selbst brauche ich keinen Zettel einzuscannen, um meine Gehzeit zu erfahren, die mir ohnehin die Uhr präsentiert. Und der (Rundum-)Blick gefällt mir selbst ohne spektakuläre, dem Zeitgeist nachhechelnde Aussichtsplattform. Ohne Gipfel macht es ein Tiroler nie – deshalb muss ich noch die rund 40 Meter hinauf zum höchsten Punkt. Auch hier soll es zum Abschluss ein Genussbier sein – dafür hätte ich allerdings nicht die Geldtasche vergessen dürfen. Zum Glück nimmt mich der Wagenbegleiter in der Gondel selbst mit leerer Hosentasche mit hinunter. Auf diese bequeme Weise lässt sich potenziellem „Gegenverkehr“ im Gschlief ausweichen. Und die Knie danken es mir sowieso. Die spüren nämlich nach wie vor den Steilabstieg vom Karren.

Fazit: Karren gegen Pfänder ist spektakulär gegen lieblich, topmodern gegen gediegen. Als Trainingsberg eignet sich der Pfänder deutlich besser, weil man – sportliche Vernunft vorausgesetzt – viel länger im niedrigeren Pulsbereich bleibt und damit die Grundlagenausdauer verbessert. Auch die etwas längere Strecke spricht für den Pfänder. Am Karren gerät man hingegen zu leicht und schnell in die rote Pulszone, es fehlen überdies ein paar Entfernungsmeter. Die Konsequenz: Kaum ein Trainingseffekt, dafür gesundheitliche Risken. Deshalb holt letztlich der Pfänder den Derbysieg.

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