Matthias Horx

5 Thesen zur Zukunft der Arbeit

September 2017

Wie weit werden die Veränderungen der neuen Arbeitswelt noch reichen – und welche unternehmenskulturellen Konsequenzen folgen daraus?

1. Das Flexicurity-Prinzip

„Arbeit in Zukunft ist jene Leidenschaft, die sich selbst bezahlt“ – so brachte Charles Handy vor 15 Jahren die Utopie von „New Work“ auf den Punkt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts schien diese Vision nicht allzu fern: Von der Fremdbestimmung zur Selbstbestimmung, vom „Lohnempfänger“ zum „Entrepreneur“ (oder „Intrapreneur“). Vernetzte Wissensarbeit schien die Arbeitswelt von innen heraus radikal umzukrempeln, zu revolutionieren. „Free Agent Nation“ hieß ein Bestseller im Jahr 2000, der euphorisch ein neues Zeitalter der Innovation und Selbstbestimmung ausrief.
Die heutige Realität sieht etwas anders aus. Zwar ist der Anteil der Selbstständigen, der Gründer, Co-Worker, Projektarbeiter und Self-Entrepreneure deutlich gestiegen. Aber nach wie vor bildet abhängige Lohn-Arbeit die zentrale kulturelle Matrix. Die Angst vor dem Sicherheitsverlust ist teilweise sogar noch größer geworden – „hysterisierte“ Debatten um „Burnout“, „Prekariat“ und Billiglöhne verstärkten eher die Ängste, als Freiheiten zu befördern. Angst aber zementiert das Gestrige, betoniert Hierarchien und Ausbeutungs-Verhältnisse.

Und dennoch hat sich tief im Organismus der Arbeit etwas verändert. Hierarchien werden flacher, Erwerbsformen flexibler und mobiler; langsam löst sich Arbeit von der Präsenz. „Flexicurity“ wird zum gesellschaftlichen UND ökonomischen Grundgedanken. Besonders in Skandinavien pflegt man heute eine dynamische Mischung von Job-Training und Individualisierung der Arbeit, die Sicherheit mit Mobilität kombiniert.

Dass dieser Transformationsprozess weitergehen wird, dafür sorgen schon die aktiven Megatrends: Durch den Megatrend „Gender Shift“ entstehen vielfältige Arbeitsmodelle jenseits der Acht-Stunden-Logik – auch für Männer. Der demografische Wandel öffnet die Arbeitswelt in der biografischen Achse: Die Talente der Älteren werden zunehmend gesucht. Die Suche nach Eigenständigkeit und Emanzipation in der Arbeit ist inzwischen Chefsache, weil Flexibilität und Innovationsdenken in einer komplex-globalen Wirtschaftswelt längst ein Produktionsfaktor ist. Melancholisch ausgedrückt: Die Revolution der Arbeit wird weniger von denen vorangetrieben, die ihre Kreativität ausüben, als von denen, die – nach wie vor – Arbeit von oben organisieren.

2. Work-Life-Balance ist eine Illusion

Eines der konzeptuellen Missverständnisse der Neuen Arbeit ist die Idee, zwischen „Arbeit“ und „Leben“ ließe sich eine perfekte Balance herstellen. Erstens sind beide Bereiche nicht wirklich zu trennen: Arbeit IST Leben und vice versa. Zweitens entspricht das Ideal einer „Balance“ nicht der realen Welt mit ihren Turbulenzen. Es ist wie mit der berühmten Nachhaltigkeit: Ein Ideal, das umso abgestandener wird, je mehr man sich ihm nähert. Wer „halb“ arbeitet und „halb“ lebt, macht beides nicht wirklich.

Statt „Balance“ sollten wir lieber von Integration oder Work-Life-Dynamik sprechen. Es gibt Zeiten im Leben, in denen das Leben die Arbeit ergreift – Arbeit wird dann schöpferische Zeit. Und es gibt Zeiten, in denen die Familie in ihren vielen Formen Freiräume vom Erwerb einfordert. Dazwischen müssen wir improvisieren, kombinieren, hin- und herschwingen. Man kann sein Vater- oder Muttersein nicht beim Pförtner abgeben, ebenso wenig wie man seinen Beruf (oder seine Berufung) in der heimatlichen Garage lässt. Im besten Sinne können sich beide Sphären gegenseitig befruchten, in jenen Tugenden und Eigenschaften, die das Leben wie auch die Arbeit bereichern: Kreativität, Resilienz, Störungsbereitschaft, Neugier ... Lebensfreude.

3. Technologie bringt immer Neue Arbeit hervor

In zyklischen Abständen geht im Reich der Arbeitsdebatte das Gespenst der radikalen Verknappung um. Derzeit predigen Jeremy Rifkin und andere Theoretiker wieder das „Ende der Arbeit“: „Industrie 4.0“ und „Künstliche Intelligenz“ sowie die „Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ werden massenweise „Arbeit vernichten“ – und zu einer gewaltigen Krise der Erwerbsgesellschaft führen.
Das ist, war und bleibt Unsinn – auch wenn es immer sehr überzeugend klingt. So wenig, wie uns die Ressourcen ausgehen (das Öl ist billig wie nie, seltene Erden sind häufiger als gedacht, Energie ist prinzipiell unendlich erneuerbar), wird uns die Arbeit „ausgehen“. Arbeit ist kein Kuchen, der irgendwann vertilgt ist. Jeder Technologieschub erzeugt eine Rekursion, eine Komplexitäts-Kaskade, die zu gesteigerten Nachfragen und ganz neuen Bedürfnissen führt. Automatisierte Fabriken erzeugen Bedarf nach „High Services“ und technischer Expertise, aber auch nach „Low Services“ im Bereich von Wartung und Betreuung. Die „Freigesetzten“ finden rasch neue Jobs in Berufen, von denen man gestern noch nichts ahnte.

Arbeit ist eine Ökologie, in der die nichtlinearen Gesetze der Evolution gelten. Automatisierung – weniger körperliche Arbeit – erzeugt sofort einen riesigen Bewegungs- und Gesundheits-Markt. Ubiquitäre Information erzeugt nicht den Wegfall von Wissensberufen, sie variiert vielmehr das Wissen in Richtung Kunst, Entertainment, Kommunikations- und Erlebnis-Kultur, wobei jede dieser Sektoren wiederum neue Kaskaden von Dienstleistung erzeugt. Wenn alles lärmt und schreit, vermehren sich die Yoga-Lehrer exponentiell. Den menschlichen Leidenschaften, Wünschen und Nöten sind ebenso wenig Grenzen gesetzt wie unserer Fähigkeit, immer „unmöglichere“ Bedürfnisse zu befriedigen – und damit Geld zu verdienen.

4. Die Zukunft gehört den Neuen Agenten

Auch das Internet hat uns nicht aus dem Joch der stupiden Arbeit befreit. Im Gegenteil: In den dunklen Nischen des Netzes entwickeln sich neue Abhängigkeiten und Überforderungen. Was im Supermarkt seinen Anfang nahm – die ständige Bereitschaft des Kunden, Servicetätigkeiten SELBST zu verrichten – hat sich längst auf das digitale Universum ausgeweitet. Um den billigsten Flug zu bekommen, recherchieren wir endlos im Netz. Um Geld zu überweisen, geben wir mühsam 24-stellige Nummern ein. Ständig müssen wir Hardware und Software upgraden und updaten, unentwegt erledigen wir Eingabe-Routinen, für die es kein Personal mehr gibt. Im Namen der allgegenwärtigen Digitalität sind wir längst zu Sklaven der Bildschirme und Tastaturen geworden. Das Gefühl, in einer Verwirrungs- und Ablenkungswelt zu leben, nimmt unerhörte Ausmaße an. Unser Zeitgefühl lautet: „too much information“.

„Wir ertrinken in Informationen und hungern nach Wissen“ – wie es John Naisbitt ausdrückte. Aber Wissen – im Sinne von Kompetenzen, „Ermächtigungen“ – ist immer an den Menschen und seine emotionalen, instinktiven, sinngebenden Fähigkeiten gebunden. Die Zukunft gehört nicht den Avataren, sondern den Humanagenten, die uns dabei helfen, unser Leben zu bewältigen. In Zukunft leisten wir uns einen persönlichen Gesundheits-Coach. Einen Wohlstands-Guide. Einen Bildungs-Berater. Einen Mobilitäts-Agenten. Einen Wissen-Navigator. In unserem Namen untersuchen diese Agenten die Myriaden von Informationen des Internets. Unsere neuen Freunde und Helfer sind nicht digital, sie NUTZEN den Segen der Digitalität, um zu humanem Wachstum beizutragen.

5. Smart Work, Hard Work, „Antiwork“

„Arbeit in Zukunft ist jene Leidenschaft, die sich selbst bezahlt“ – erinnern wir uns noch einmal an den Ausgangspunkt der New-Work-Utopie. Um ihr näher zu kommen, oder sie zumindest „wach zu halten“, müssen wir uns von einigen Illusionen verabschieden. Etwa, dass Kreativität „leicht“ wäre. Selbstbestimmte Arbeit bleibt eine harte, lebenslange Aufgabe. Sie erfordert neue Kulturtechniken: Emotionale Intelligenz. Kommunikations-Intelligenz. Netzwerk-Intelligenz ... Sie fragt uns hartnäckig nach uns selbst, unserem inneren Menschsein, unserem Talent: Wer sind wir – und wer wollen wir sein? An Bedeutung zunehmen wird aber auch das, was der Publizist Brian Dean „Antiwork“ nennt: „Antiwork ist eine moralische Alternative zu unserer Obsession mit ‚Jobs‘, die unsere Gesellschaft schon so lange plagt. Ein Projekt, um Arbeit und Freizeit radikal zu re-organisieren. Eine kognitive Gegenmacht zu jener ‚Harten Arbeit‘, die als Resultat calvinistischer Arbeitsethik unser Bewusstsein und unsere Zeit prägt.“

Zu Hard Work und Smart Work gesellt sich ein dritter Sektor der Arbeit: In den neuen Ökonomien des Tauschens, im Urban Gardening und Co-Working, in vielen, noch nicht kommerzialisierten Bereichen der Sharing Economy, aber auch im ständig breiter werdenden Sektor des Volunteering, der sozialen Arbeit und des politischen Engagements. Er entsteht dort, wo Tätigkeit und Muße, Engagement und Talent ineinander übergehen, wo Arbeit Kontemplation wird und sich von den Gesetzen des Geldes verabschiedet. Still und leise, unsichtbar fast, erhebt sich die Arbeit tatsächlich von den Plätzen. Und wird wieder zur genuinen Tätigkeit des ganzen Menschen. Wir werden es erleben. Wir erleben es schon.

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