Sabine Barbisch

Andrea Gutmann: „Viele Menschen sind in ihren Lebensläufen gefangen“

April 2016

Die Hörbranzerin Andrea Gutmann legte eine wahre Bilderbuchkarriere bei einem internationalen Konzern hin. Wann und warum sie sich gegen das satte Gehalt, den Dienstwagen und den Vielflieger-Status entschied und was das mit ihrem Beratungsunternehmen „plan a“ zu tun hat, erzählt die Wahl-Münchnerin hier.

Von Anfang an prägte der Wunsch, international tätig zu sein, den Bildungs- und Berufsweg von An­drea Gutmann. „Reisen ist meine Leidenschaft, die Neugier auf fremde Kulturen ungestillt“, beschreibt sie mit funkelnden Augen die Hauptmotivation für das Studium der Handelswissenschaften mit drei Fremdsprachen an der WU Wien. Aber schon vor ihrer Studienzeit verbrachte sie ein Jahr in Frankreich und Großbritanien: „Paris hat es mir angetan – das kulturelle Angebot und die Lebensweise der Franzosen.“ Während des Studiums verließ sie Europa für ein Auslandsemester in Montreal: „Kanada ist eine perfekte Mischung aus Europa und Amerika. Und damit sehr lebenswert!“ Einzig ihr zweimonatiges Praktikum in Caracas, der Hauptstadt Venezuelas, hat Gutmann als schwierig empfunden: „Durch die hohe Kriminalitätsrate durfte ich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straße, ich fühlte mich eingesperrt.“ Trotzdem will sie auch diese Zeit nicht missen: „Ein unbekanntes Land zu entdecken, in eine fremde Kultur einzutauchen, Fremdsprachen zu sprechen und neue Leute kennenzulernen, das ist immer eine Bereicherung!“

Eine Karriere wie aus dem Handbuch

Gleich nach dem Ende ihres Studiums in Wien zog es Andrea Gutmann wieder nach Frankreich. Die Pariser Niederlassung des deutschen Unternehmens Kienbaum wurde gerade mit einer kleinen französischen Beratungsfirma fusio­niert – und sie war als Junior-Beraterin mittendrin: „Das hat mich für meine nächste Aufgabe bestens vorbereitet“, erzählt Gutmann. Nur waren die Dimensionen bei ihrem zweiten beruflichen Engagement um Vieles größer, denn es ging um die Fusion zum stärksten Luft- und Raumfahrtkonzern Europas – DaimlerAerospace, CASA und Aérospatiale-Matra zur EADS. Insgesamt zehn Jahre arbeitete Gutmann bei EADS - heute Airbus - in den unterschiedlichsten Funktionen des Personalwesens: Sie startete im Merger Integration Team, das den Fusionsprozesses steuerte, leitete die interne Kommunikation des Satellitenbereichs, war danach für die Projektleitung einer gruppenweiten Vereinheitlichung des Rekrutierungsprozesses verantwortlich, übernahm dann die Personalbetreuung eines Bereiches über mehrere Standorte in Deutschland, England und Frankreich und schließlich die Personalleitung eines Tochterunternehmens in der Aufbauphase mit starkem Wachstum. Trotz dieser beeindruckenden Stationen beschäftigte Andrea Gutmann eine große Frage: „Ist das alles, oder gibt es noch etwas anderes, das mir mehr entspricht?“ Ihre Frustration über die vielen Hierarchiestufen, die eine gute Idee in einem Konzern bis zur Realisierung durchlaufen muss, und damit einhergehend der Verlust von Aktualität und Relevanz, wuchs. Anstatt sich weiterhin mit Vorteilen wie dem satten Gehalt oder dem Firmenwagen zu trösten, zog sie einen Schlussstrich und setzte sich damit gegen innere und äußere Widerstände durch.

Keine Minute der Reue

„Die Vorarlberger Mentalität macht es uns nicht leicht, erfolgreiche Karrierepfade zu verlassen“, meint Gutmann nachdenklich. In Amerika werde der Mut, einen solchen Schritt zu wagen, viel mehr honoriert. „Bereut habe ich diese Entscheidung aber keine Minute, es war wie eine Befreiung“, meint sie lachend. Das war im Jahr 2010, seitdem hat sich in der Karriere der Wahl-Münchnerin viel getan. „Die größten Treiber auf dem Weg in die Selbstständigkeit waren für mich Selbstbestimmung und der Wegfall unnötiger Hierarchiewege. Ein Job ist mehr als getane Arbeit und das Absitzen der Arbeitsstunden – es muss Sinn machen.“ Spätestens 2011 hat Andrea Gutmann diesen Sinn für sich gefunden. Sie gründete „plan a“, ein Beratungs­unternehmen mit dem speziellen Fokus auf Berufsorientierung. Oder in ihren eigenen Worten: „Ich unterstütze Menschen aller Altersklassen, derzeit zwischen 17 und über 60 Jahre alt, dabei, einen Job oder eine Studienrichtung zu finden, die zu ihnen, ihren Interessen, Stärken, Bedürfnissen und Werten passt.“ Der ganzheitliche Blick auf die Thematik und das komplette Ausblenden des bisherigen Lebenslaufs sind weitere Ansätze in ihrer Arbeit. „Wir unterstützen aber auch Firmen, wenn ein Personalabbauprozess im Raum steht. Mit unserem innovativen und kompakten Konzept – Initialzündung zur Neuorientierung in zwei Tagen – helfen wir den betroffenen Mitarbeitern, eine neue berufliche Perspektive zu finden und diese umzusetzen.“ Und der Erfolg gibt Andrea Gutmann und ihren zwei Kolleginnen im „plan a“-Netzwerk recht: „Ein Jahr nach der Beratung kontaktieren wir unsere Kunden, um zu sehen, was aus unseren Empfehlungen geworden ist. Im Schnitt sind es 70 Prozent, die durch unsere Leistungen die Neuausrichtung erfolgreich bewerkstelligen.“

Befreiung aus dem Lebenslauf

Und damit hat Andrea Gutmann das erreicht, was sie nach ihrem Konzernausstieg und den vielen Jahren in der Personalarbeit immer stärker gespürt hat: „Der Mensch muss im Mittelpunkt meiner Arbeit stehen.“ Durch ihre persönliche Neuorientierung habe sie entdeckt, dass diese Thematik nicht nur sie selbst betreffe, sondern auch den aktuellen Zeitgeist treffe: „Früher war es üblich, eine lebenslange Anstellung zu haben, egal ob man Spaß hatte oder nicht. Heute suchen wir Freude und Erfüllung im Job.“ Obwohl diese Entwicklung zu begrüßen ist, überbewerten will Gutmann diese Faktoren nicht: „Die permanente Suche nach dem Glück macht uns schlussendlich unglücklich, trotzdem müssen wir uns Fragen nach der richtigen und individuell sinngebenden Arbeit stellen.“ Wichtig sei in dieser Phase vor allem die Außenperspektive: „Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Menschen in ihren Geschichten und Lebensläufen gefangen sind.“ Ihre externe Sicht helfe, die Motive, die einen Menschen ausmachen, zu strukturieren, das Profil zu schärfen und analytisch Optionen abzuleiten. „Meistens bleibt es nicht bei einer einzigen Möglichkeit zur Neuorientierung“, sagt Andrea Gutmann augenzwinkernd – bei ihrer Erfahrung und ihrem Talent zum Fragenstellen besteht daran kein Zweifel.

 

Lebenslauf

Aufgewachsen ist die am 26. März 1973 geborene Andrea Gutmann in Hörbranz. Nach der Matura am BG Blumenstraße in Bregenz studierte sie Handelswissenschaften an der WU Wien und absolvierte berufsbegleitend den Master of Science in Personal- und Organisationsentwicklung an der PEF University in Wien. Nach dem Studium arbeitete Gutmann bei der Kienbaum Personalberatung in Paris, darauf folgten zehn Jahre bei EADS – heute Airbus Group – in unterschiedlichsten Funktionen des Personalwesens. 2011 gründete sie „plan a“, drei weitere Beraterinnen sind im Netzwerk. Andrea Gutmann ist in München, Berlin, Wien, Vorarlberg und Zürich tätig.

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