Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Auf gute Ideen kann jeder kommen“

Oktober 2016

Günter Faltin (71), Buchautor und Professor an der Freien Universität Berlin, möchte mehr Menschen Mut machen, ein Unternehmen zu gründen und damit an der Ökonomie teilzunehmen. Im Interview mit „Thema Vorarlberg“ sagt Faltin, wie man erfolgreich gründet: „Heute haben wir die Chance, mit kleinen Unternehmen, aber guten Konzepten den Markt zu erobern.“ Faltin, Experte für Entrepreneurship, also für innovatives Unternehmertum, weiß, wovon er spricht: Der Berliner hat 1985 die „Teekampagne“ gegründet, den inzwischen größten Importeur von Darjeeling-Tee weltweit. Trotz allem Erfolg sieht der Ökonom so manche Auswüchse der Ökonomie kritisch – er fordert deswegen vehement einen neuen Typus von Unternehmer.

Herr Professor, Sie sagten jüngst in einem Interview: „Ohne radikale Änderungen fahren wir gegen die Wand. Es wird in die falsche Richtung gewirtschaftet.“ Wie ist das zu verstehen?

Die Politik, die nur von Wahl zu Wahl denkt, tut sich immer schwerer, Antworten auf die zunehmenden Probleme der heutigen Zeit zu finden, beispielsweise auf Klimawandel, Altersarmut, Flüchtlingskrise oder die Diskrepanz zwischen Nord und Süd. Gleichzeitig verschärfen Unternehmen, denen es nur um Gewinnmaximierung geht, diese Probleme noch zusätzlich. Denn Geld ist dort alles, alles andere wird sekundär: das Produkt, die Arbeiter, die Folgen für die Gesellschaft. Mit diesem Typus von Unternehmen fahren wir gegen die Wand. Das heißt nicht, dass ich ein sogenannter Gutmensch bin. Aber ich sage: Wir brauchen eine intelligentere Ökonomie. Die alte fliegt uns um die Ohren. Kein begrenztes System verträgt unbegrenztes Wachstum, und hier wächst man sogar ohne Sinn und Verstand.

Inwiefern brauchen wir eine intelligentere Ökonomie?

Früher ist die Ökonomie angetreten, um Mangel zu beseitigen. Als ich Kind war, war das Märchen vom Schlaraffenland noch wirklich ein Märchen, von dem niemand geglaubt hat, dass es jemals Wirklichkeit werden könnte. So viel essen zu können, wie man will! Selbst Torten und Kuchen! Spätestens in den 1970ern war dieser Mangel beseitigt, jedenfalls bei den Lebensmitteln. Heute haben wir in der westlichen Welt alles, was wir brauchen, und noch viel mehr. Also müsste sich die Ökonomie ein neues Betätigungsfeld suchen und sich darauf einrichten, Produkte besser, preiswerter, ökologischer zu machen. Stattdessen kitzelt das sogenannte moderne Marketing immer neue Bedürfnisse heraus. Marketing behebt nicht den Mangel, es suggeriert ihn, es erzeugt ihn erst. Und das hat fatale Folgen: Die Idee der Freiheit ist heute zur Wahl zwischen Marken verkommen. Kapital kauft Kopf. Ich bin kein Antikapitalist, überhaupt nicht. Ich bin ein Anhänger der sozialen Marktwirtschaft. Wettbewerb ist gut, der Wettstreit der Ideen ist gut, der Zugang zum Markt ist eine Errungenschaft, für die Menschen Jahrhunderte gekämpft haben. Aber: Wir brauchen eine intelligentere Ökonomie, wir brauchen einen neuen Typus von Unternehmer.

Und welchen Typus von Unternehmer brauchen wir?

Wir brauchen mehr Menschen, die sich in der Wirtschaft engagieren, die gesellschaftliche Probleme erkennen und zu deren Lösung beitragen – mit unternehmerischen Mitteln, mit Kreativität, Verstand und Verantwortungsbewusstsein. Ich nenne sie Entrepreneure. Der neue Typus des Unternehmers muss ein Problemlöser sein, er darf nicht nur Gewinnmaximierer sein. Wobei das nicht falsch zu verstehen ist: Gewinnorientierung ist wichtig. Gewinn ist wichtig. Ein Unternehmer, der hilft, gesellschaftliche Probleme zu lösen, und dafür ins Risiko geht, hat es auch verdient, gut zu verdienen. Er hat es sogar verdient, sehr gut zu verdienen.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass gesellschaftlich bereits viel gewonnen wäre, wären nur zehn Prozent der arbeitenden Bevölkerung innovative Gründer. Warum?

Zehn Prozent der arbeitenden Deutschen sind selbstständig. Nur ein Prozent davon kann man allerdings als kreative Entrepreneure bezeichnen, und das ist noch positiv geschätzt. Nun ist es zwar wunderbar, dass es Menschen gibt, die sich selbstständig machen, etwa einen kleinen Laden eröffnen und Risiko tragen. Aber wir haben zu wenige Innovateure im Schumpeterschen Sinn und damit zu wenige neue, problemlösende Ideen in der Ökonomie. Joseph Schumpeter, der österreichische Ökonom, hat ja die ökonomische Dynamik auf die Figur des Unternehmers zurückgeführt. Schumpeter sagte, dass es die Köpfe von kreativen Unternehmen seien, die den Fortschritt bewirken. Maßgebend nach seinem Verständnis war der kreativ denkende Unternehmer. Das gilt noch heute. Deswegen wären mehr innovative Gründer für die Gesellschaft so wichtig. Und heute ist es ja auch wesentlich leichter, an der Ökonomie teilzunehmen. Um in früheren Zeiten ein Unternehmen gründen zu können, etwa ein Stahlwerk, einen Energieversorger oder eine Textilfabrik, brauchte man immenses Kapital und ein gutes Management. Diesen Engpass gibt es heute nicht mehr, heute geht es um Ideen, um Konzepte. Heute kann sich auch ein kleines Unternehmen, ein Start-up, gegen die Großen durchsetzen, wenn es ein besseres Konzept hat. Heute haben wir die Chance, mit kleinen Unternehmen, aber guten Konzepten den Markt zu erobern. Meinen Studenten sage ich immer, heute können sie das Gewinnlos einer Lotterie systematisch erarbeiten.

Klingt verwegen …

Das sagt man mir natürlich. Ich verstehe das – es klingt ja auch völlig verrückt. Aber: Wer heute mit einem guten Konzept ein Unternehmen gründet, kann in relativ kurzer Zeit einen Unternehmenswert schaffen, der einem Lotterielos von einer Million Euro entspricht. Es klingt absurd, aber es ist so. Sie können es in der Praxis sehen, es gibt viele Beispiele dafür. Ich selbst habe mehrfach erlebt, dass Studenten ein Unternehmen gegründet haben, das nach einem Jahr bei einer Unternehmensbewertung von ein, zwei oder sogar fünf Millionen Euro liegt. Und wir wissen es doch längst, aber wir wollen es nicht wahrhaben: Sparen ist gut, aber reich wird man dadurch nicht. Reichtum entsteht in Unternehmen. In der Ökonomie wird das große Geld gemacht, dort entstehen die großen Vermögen. Und heute, das ist das Neue, haben viel mehr Menschen Zugang zur Ökonomie. Denn Kreativität ist heute das Kapital. Ideen, gute Konzepte sind heute ausschlaggebend. Und da können wir mithalten. Wir sind das Kapital.

Wie meinen Sie das?

Jeder von uns hat doch eine Vorstellung davon, hat eine Idee, was wir besser machen könnten. Da gilt es anzusetzen. Hirnforscher Gerald Hüther sagt, dass es nicht eine Intelligenz gibt, sondern viele – emotionale Intelligenz, soziale Intelligenz, künstlerische Intelligenz, kombinatorische Intelligenz und noch einige mehr. Die meisten Menschen haben an irgendeiner Stelle eine eigene Intelligenz, eine eigene Fähigkeit. Schopenhauer ging sogar so weit, zu sagen, der Spleen sei meist das Beste an einem Menschen. Also kann selbst der Spleen etwas Besonderes sein. Man muss herausfinden, wo die eigene individuelle Kreativität liegt, und dann mit Beharrlichkeit und Ausdauer damit arbeiten. Ich kann beispielsweise nicht malen, bin über Strichmännchen nie hinausgekommen (lacht). Aber ich kann an Ideen tüfteln, das macht mir großen Spaß.

An der Stelle sollte vermerkt sein, dass Sie nicht nur ein Mann der Theorie sind: Sie haben 1985 die Teekampagne gegründet, eine Erfolgsstory …

Ja! Wir sind mittlerweile der weltweit größte Importeur von Darjeeling-Tee. Wir sind mit unserem Tee gegen mächtige Tee-Fürsten angetreten und heute auf unserem Gebiet besser als Twinings und Lipton und all die Großen. Weil wir ein gutes, ein überlegenes Konzept hatten. Das war unser Vorteil.

Welche Idee stand am Anfang der Unternehmensgründung?

Ich war ursprünglich kein Tee-Experte, ganz im Gegenteil, ich war Kaffeetrinker. Aber ich bin viel in der dritten Welt gereist und habe gesehen, dass viele Produkte, eben auch Tee, in den westlichen Ländern ungefähr zum zehnfachen Preis der eigentlichen Herstellungskosten im Erzeugerland verkauft werden. Bei Tee fand ich das besonders grotesk: Tee ist ja bereits beim Ausgang einer Teeplantage ein Fertigprodukt. Trotzdem verteuert er sich um den Faktor zehn. Warum? Weil der Zwischenhandel und die Kleinpackungen die Preistreiber sind. Ich habe begonnen, genau zu recherchieren – und zwar sehr gründlich, über Jahre. So entstand die Idee der Teekampagne und der Plan, Tee aus Darjeeling, der berühmtesten Teeprovinz der Welt, direkt zu importieren, den ganzen Zwischenhandel wegzulassen und selbst den Versand zu machen, mit Großpackungen und Sammelbestellungen. Dadurch hatten wir einen riesigen Kostenvorsprung. Und der war so groß, dass wir von Anfang an Fair-Trade machen, Chemierückstand-Analysen durchführen und vor Ort auch ein Wiederaufforstungsprogramm finanzieren konnten. Trotzdem waren wir nur ein Drittel so teuer wie der Marktführer. Da konnte fast nichts mehr schiefgehen. Wir alle haben heute die Chance, mit kleinen Unternehmen, aber guten Konzepten den Markt zu erobern. Das ist die Chance für Normalmenschen! Erstmals in der Menschheitsgeschichte kann ein Normalmensch an der unternehmerischen Schaffung von Vermögen teilhaben.

Was es dazu braucht, ist Begeisterung – und Fokussierung. Sie zitieren in diesem Zusammenhang in Ihrem Buch zwei höchst unterschiedliche Schriftsteller …

Sie haben das Buch gut gelesen! Ja, ich zitiere Goethe – und Charles Bukowski. Goethe sagt: „Sobald der Geist auf ein Ziel gerichtet ist, kommt ihm vieles entgegen.“ Anders ausgedrückt: Wenn man beharrlich genug ist, fällt einem vieles wie von selbst in den Schoß. Und Bukowski sagt: „Fast jeder kommt als Genie auf die Welt und wird als Idiot begraben.“ Ist das nicht schade? Steckt in uns nicht ein bisschen mehr? Sollten wir nicht ein bisschen mehr ausprobieren, was noch in uns stecken könnte? Auch hier hilft uns weiter, was Gehirnforscher Hüther sagt: Lernen ohne Begeisterung funktioniert nicht gut. Kinder sind neugierig, lernen mit Begeisterung – begreifen, anfassen, die Welt für sich erobern ist für Kinder etwas wahnsinnig Spannendes. Und wenn wir schon beim Thema Lernen sind: Wir brauchen in der Schule dringend mehr Aufgeschlossenheit gegenüber unternehmerischem Handeln. Ich fordere, dass das Fach „Ökonomische Mündigkeit“ gelehrt wird. Schule soll junge Menschen auch ökonomisch mündig machen, damit sie später ihr Leben selbst in die Hand nehmen können, und zwar ökonomisch erfolgreich, und dass viel mehr Menschen selbst gründen, anstatt nur darauf zu warten, irgendwo irgendeinen Job zu bekommen. Denn die Lohntüte ist ein schlechter Ersatz für ein fremdbestimmtes Leben.

Also Unternehmen gründen! Mit einer guten Idee! Nur woher nehmen?

Auf gute Ideen kann jeder kommen, indem er einfach mal in seinem Umfeld schaut, was man brauchen könnte. Die Schwelle zu einer eigenen unternehmerischen Tätigkeit liegt viel niedriger als gemeinhin angenommen. Denn Innovation muss nicht immer technische Innovation sein. Es können ja auch soziale oder künstlerische Innovationen sein. Es muss nichts unmittelbar Ökonomisches sein, es gibt ja auch kulturelles oder so­ziales Entrepreneurship. Man kann in vielen Bereichen innovativ sein.

Ich nenne da gerne zwei Beispiele aus Berlin. In dem einen Fall hat sich eine Gründerin gesagt, dass es einerseits viele alte Menschen gibt, die Obstgärten haben, aber altersbedingt selbst nicht mehr ernten können, andererseits aber viele jüngere Menschen gerne einen Obstgarten hätten und selbst ernten möchten. Also brachte die Gründerin beide Seiten zusammen. Im anderen Fall fand eine Mutter wegen ihrer kleinen Kinder keine Zeit mehr, ins Fitnessstudio zu gehen, sagte sich, dass das auch vielen anderen Müttern so geht – und kam auf die Idee, mit Müttern im Park gemeinsam zu trainieren, mit einem eigenen Programm, während die Kinder daneben herumspringen können. Dafür nahm sie Eintritt, und das Modell ist so erfolgreich, dass sie jetzt sogar ein Franchise daraus macht. Das waren ganz harmlose Ideen, auf die nun wirklich jeder kommen kann, dazu braucht man kein Einstein zu sein.

Aber mit einer bloßen Idee ist es ja nicht getan. Also: Wie gründet man erfolgreich?

Erstens: Die gute Idee muss man erarbeiten. Eine Idee hat viele Stufen – vom ersten Einfall über die Ausarbeitung eines Konzepts bis zu dessen Verfeinerung. Das kann dauern. Ein US-amerikanischer Wissenschaftler, Herbert Simon, hat erforscht, dass es bis zu zehn Jahre dauern kann, bis eine Idee praktikabel und markttauglich wird – und dass die Entwicklung bis zur Formulierung einer tauglichen Idee bis zu 50.000 Rechercheschritte erfordern kann. Eine gute Idee zu erarbeiten, ist Arbeit, ist ein Gesamtkunstwerk. Mir ist auch der deutsche Ausdruck „Idee“ zu flüchtig, ich spreche da wesentlich lieber von Ideenkunstwerken. Stehen Idee und Konzept, kommt der „Proof of Concept“ ins Spiel, ein entscheidender Punkt. Rausgehen und Idee und Konzept in der Praxis testen, bevor man gründet! Nicht alles auf eine Karte setzen, das wäre Gründen à la Roulette.

Sie sind auf Einladung des Gründerservices am 18. Oktober in Vorarlberg, sprechen dort in einem Vortrag über „die Kunst, ein erfolgreicher Unternehmer zu sein“. Haben Sie den Vorarlbergern schon vorab einen Tipp zu geben?

Ja. Fangen Sie an – hier, sofort – und sammeln Sie Einfälle! Was ärgert Sie an manchen Produkten? Was müsste man besser machen? Was und wo können Sie recherchieren? Tun Sie sich mit Freunden und Bekannten zusammen. Hören Sie auf, sich die Zeit zu vertreiben. Werden Sie Tüftler, Spinner, Rechercheur. Unternehmen Sie etwas. Probieren Sie sich aus. Machen Sie noch etwas aus Ihrem Leben, bevor der Deckel zugemacht wird!

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Zur Person: Günter Faltin
* 25. November 1944, gilt als Experte für Entrepreneurship in Deutschland. Als Professor der Freien Universität Berlin baute er den Arbeitsbereich Entrepreneurship auf, seit 2013 lehrt er als Gastprofessor an der Universität Chiang Mai. Doch Faltin ist nicht nur Theoretiker: 1985 gründete er das Unternehmen Projektwerkstatt GmbH und initiierte die „Teekampagne“, den inzwischen größten Importeur von Darjeeling-Tee weltweit. Faltin ist Business Angel und Coach verschiedener Start-ups. 2001 errichtete er die Stiftung Entrepreneurship, die jährlich den Entrepreneurship Summit ausrichtet. Faltin ist auch Buchautor  – zuletzt (2015) erschien „Wir sind das Kapital“.

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