Martin Rümmele

* 1970 in Hohenems, ist mehrfach ausgezeichneter Gesundheitsbereich- und Wirtschaftsjournalist und Verleger. Er lebt und arbeitet in Wien und Kärnten und ist Autor mehrere kritischer Gesundheitsbücher unter anderem „Zukunft Gesundheit“, „Medizin vom Fließband“ und „Wir denken Gesundheit neu“. 

Der Markt ist nicht rational

Juli 2016

Er begann als Student beim „Roten Börsenkrach“ mit der späteren EZB-Managerin Gerlinde Tumpl-Gugerell und arbeitete dann als Assistent am Uni-Institut von Alexander Van der Bellen. Heute gilt der aus Hard stammende und in Zürich arbeitende Ökonom Ernst Fehr als möglicher Nobelpreis-Kandidat. Im Juni wurde er 60.

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ bezeichnet ihn als den „Star­ökonomen, den keiner kennt“, das Schweizer Wirtschaftsmagazin „Bilanz“ bezeichnet ihn als „Professor Gutmensch“. Der gebürtige Harder Ernst Fehr ist dieser Tage 60 Jahre alt geworden. Er gilt als einflussreichster Ökonom Österreichs und wird von Experten immer wieder als möglicher Nobelpreis-Kandidat gehandelt.

Der Professor für Mikroökonomik und experimentelle Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich gilt als einer der Totengräber des homo oeconomicus, also jenes rational und immer eigennützig handelnden Modells der neoklassischen Wirtschaftstheorie, das besagt, dass der Markt immer rational handelt, zum Gleichgewicht tendiert und daher immer recht hat.

Fehr, der einst bei Alexander Van der Bellen als Doktorand und Uni-Assistent begonnen hat, gilt als Vorreiter der Verhaltens- und Neuroökonomie. Er wies mit Experimenten nach, dass Menschen je nach den Rahmenbedingungen auch auf Fairness setzen, wenn sie wirtschaftliche Entscheidungen treffen. Das geht umgekehrt so weit, dass sie – wenn sie sich unfair behandelt fühlen – Entscheidungen treffen, die für sie objektiv nachteilig sind. Oder anders gesagt: Wir entscheiden auch emotional und nicht nur vernünftig. Wenn wir das Gefühl haben, selbst unfair bevorzugt zu werden, dann geben wir auch einmal etwas ab. Und wenn wir uns benachteiligt fühlen, handeln wir trotzig und auch entgegen eigenen wirtschaftlichen Interessen.

Die renommierte deutsche „FAZ“ reihte ihn deshalb unter die einflussreichsten Ökonomen, obwohl er außerhalb der Fachwelt in Deutschland nicht weit bekannt sei. „Politiker nennen ihn nicht als Ratgeber, Journalisten berichten nur selten über seine Meinung“, erklärte die „FAZ“. In der Fachwelt hingegen gilt er als höchst einflussreich. Und seine Erkenntnisse haben auch Eingang gefunden in die Politik und nicht zuletzt in die Werbung. Denn Verhaltensökonomen wie Fehr haben einige Regeln dafür gefunden, wie Menschen entscheiden. Und gelegentlich kann man nachhelfen: Ein Elektrohändler etwa hat zwei Fernseher und will die Kunden vom teureren überzeugen? Er muss nur irgendwo einen dritten Fernseher auftreiben, der etwas schlechter ist als der teure, und beide zum gleichen Preis anbieten. Die Folge: Die Kunden vergleichen die beiden teuren Geräte und ignorieren das billige.

Ein anderes Beispiel beschreibt Fehr selbst in einem Artikel für die „Neue Zürcher Zeitung“, und dieses Beispiel erklärt nicht zuletzt auch Entscheidungen bei Wahlen oder Volksabstimmungen wie etwa jener zum EU-Austritt der Briten, denn der Widerstand der Reformverlierer sei oft viel stärker als die Unterstützung der Reform durch jene, die von der Reform profitieren: „Verlust­aversion ist eine wichtige psychologische Ursache für die bekannte Schwierigkeit, Reformen in Unternehmen und Politik durchzusetzen. Verlustaversion bezeichnet den Tatbestand, dass Menschen Verluste viel stärker empfinden als Gewinne. Wenn man 1000 Franken weniger als erwartet bekommt, ist der damit verbundene Nutzenverlust ungefähr doppelt so groß wie der Nutzengewinn, den man erzielt, wenn man 1000 Franken über der Erwartung bezahlt wird“, schreibt der Ökonom.

Begonnen hat er in den 1970er-Jahren: Nach der Volks- und Hauptschule in Hörbranz sowie der Handelsakademie in Bregenz kam Fehr 1975 zum Studium der Volkswirtschaftslehre an die Uni Wien. Dort schloss er sich der legendären studentischen Basisgruppe „Roter Börsenkrach“ an, die sowohl die Wirtschaftswissenschaften wie auch die Gesellschaft verbessern wollte. Die Gruppe kritisierte den ökonomischen Mainstream. An den Egoisten im Menschen glaubte Fehr nicht. Ebenso Mitglied beim „Roten Börsenkrach“: die spätere EZB-Direktorin Gerlinde Tumpl-Gugerell. Nach Stationen am Institut für Höhere Studien, der Technischen Universität Wien und der London School of Economics wurde Fehr 1994 auf seinen heutigen Lehrstuhl an der Uni Zürich berufen.

Dort blieb er bis heute – obwohl es zahlreiche Angebote für einen Wechsel nach Berkeley, Princeton, Oxford oder Cambridge gegeben hat. Stattdessen nutzte der Forscher solche Angebote, um mit Erfolg mehr Geld für sein Institut in Zürich herauszuschlagen. So konnte er seinen Ansatz realisieren, Elemente der Psychologie und Neurologie in die Wirtschaftswissenschaften zu bringen und seine Hypothesen durch Experimente zu überprüfen.

Die Basis dafür holte er sich 2012 mit einer 100-Millionen-Franken-Spende der Großbank UBS, die in der Folge nicht unumstritten war. „Ich wusste, dass die UBS Geld für die Bildung ausgeben wollte, um nach ihrer staatlichen Errettung einen Beitrag an die Gesellschaft zurückzugeben. Also bin ich auf die Bank zugegangen und habe ein Konzept geschrieben“, schilderte er in einem Interview mit dem Zürcher „Tagesanzeiger“. Kritik an einer möglichen Beeinflussung der Forschung begegnete er mit der Offenlegung der Verträge. Und er veröffentlichte trotz der Spende eine viel beachtete Studie, laut der die Unternehmenskultur in Banken implizit unehrliches Verhalten begünstigt.

Dass Fehr heute zu den renommiertesten Ökonomen zählt, liegt auch an seinem in der Folge großzügig ausgestatteten Forschungslabor, in dem jährlich rund 5000 Probanden an Experimenten teilnehmen, durch die menschliches Verhalten bei ökonomischen Fragestellungen untersucht wird. Mittels Gehirnscanner fand er etwa eine Hirnregion, die die Neigung zu altruistischem Verhalten beziehungsweise Einhaltung sozialer Normen steuert.

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