Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Falsche Daten können keine Basis für eine sachliche Debatte sein“

April 2017

Wirtschaftslandesrat Karlheinz Rüdisser (62) übt im „Thema Vorarlberg“-Interview scharfe Kritik an der neuen Vorsitzenden des Naturschutzrates. „Es kann sicherlich nicht Ziel der Politik eines Landes sein, künftige Entwicklungen a priori zu verhindern“, sagt der Landesstatthalter, „ich werde alles in meinen Möglichkeiten Stehende tun, um das zu verhindern.“

In Sachen Naturschutz und Landesgrünzone zeigen sich derzeit tiefe Gräben zwischen den Koalitionspartnern ...

Sagen wir es so: In der Diskussion mit dem Naturschutzrat beziehungsweise der neuen Vorsitzenden haben sich diese Gräben gezeigt. Wobei es ja vollkommen außer Streit steht, dass die Landesgrünzone großen Wert hat. Die Politik der vergangenen 40 Jahre belegt das Gesagte. Denn die Grünzonenfläche wurde in diesen vier Jahrzehnten lediglich um 0,65 Prozent reduziert, trotz all der dynamischen Entwicklung in unserem Land. An dieser Entwicklung ist zu sehen, dass die Landesregierung der Grünzone große Bedeutung beimisst. Dennoch gilt: Wenn heimische Betriebe einen Flächenbedarf haben, dann muss so viel Flexibilität bestehen, dass man auch in der Grünzone notwendige Flächen verwenden kann – wenn keine Alternativen gegeben sind.

Und wenn die Grünen diese notwendige Flexibilität nicht zeigen? Was dann?

Dann werden wir auf Grundlage der Zuständigkeit und der Mehrheitsverhältnisse in der Landesregierung entscheiden müssen. Wenn es ernst wird, wird es darum gehen, zu zeigen, dass wir heimischen Unternehmen eine Entwicklungsmöglichkeit bieten müssen.

Es scheint auf eine Polarisierung hinauszulaufen. Entweder Naturschutz. Oder Wirtschaft.

Diese Polarisierung ist unsinnig. Politik ist immer auch die Kunst das Mögliche, das Machbare auszuloten und ein wesentlicher Teil der Politik ist es, Kompromissbereitschaft zu zeigen. Gerade in der Frage der Nutzung von Flächen ist das ein ganz wesentlicher Punkt! Denn eines der zentralen Ziele der Raumplanung ist es, die für Wohnen und Arbeiten notwendigen Flächen bereitzustellen. Und wenn diese Flächen innerhalb der bestehenden Widmungen nicht verfügbar oder nicht vorliegend sind, dann hat die Politik darauf eine Antwort zu geben. Und im einen oder anderen Fall wird das auch in der Grünzone sein.

Apropos Grünzone ...

Die Grünzone war bei ihrer Schaffung 1977 eine visionäre Entscheidung. Damals hat das Land insbesondere unter einem sehr starken Zersiedelungsdruck gelitten und es war sehr vernünftig, dass man durch das Ziehen scharfer Siedlungsgrenzen dieser falschen Entwicklung Einhalt geboten hat. Aber die Gründerväter der Grünzone waren sich damals schon dessen bewusst, dass der Zeitpunkt kommen wird, wo ein Bedarf, der aus der Sicht der 1970er-Jahre noch nicht erkennbar war, auch in Zukunft im Sinne einer positiven Entwicklung des Landes gedeckt werden muss. Und insbesondere im Zusammenhang mit der Niederlassung großflächigerer Unternehmen, mit Industrieunternehmen, wurde schon damals darauf hingewiesen, dass es notwendig sein wird, auch dort den Unternehmen entsprechende Flächen zur Verfügung stellen.

Ist das Gesagte denn mit Dokumenten aus der damaligen Zeit belegbar?

Das Gesagte ist schriftlich durch den Motivenbericht der Beschlussfassung belegbar; Zeitzeugen, die in die Erarbeitung damals eingebunden waren, werden dies auch sicher sehr gerne bestätigen. In diesem Motivenbericht steht, – ich zitiere – ‚dass auf derzeit noch nicht erkennbare Bedürfnisse von Bauflächen nicht Bedacht genommen werden kann. Sollten sich zu einem späteren Zeitpunkt solche Bedürfnisse ergeben, wird diesen durch eine entsprechende Änderung des Landesraumplanes Rechnung getragen werden können.‘ Und, speziell in Bezug auf Unternehmen, steht geschrieben: ‚Im Besonderen gilt dies bezüglich Bauflächen für größere Industrieanlagen oder sonstige größere Anlagen, für die innerhalb der Siedlungsbereiche des Jahres 1977 keine geeigneten Flächen vorhanden sind und bei denen zudem das öffentliche Interesse an der Errichtung größer ist als an der Freihaltung der entsprechenden Teile der überörtlichen Freiflächen.‘ Ein deutlicher Hinweis, dass man sich damals bewusst war, dass aufgrund der eng begrenzten Ressourcen die Zeit kommen wird, wo man auch über Grenzen der Grünzone sprechen wird müssen.

Der Name ‚Grünzone‘ impliziert, dass es sich bei diesen Flächen um ein Naturschutz­gebiet handeln könnte. Ist das die Quelle allen Missverständnisses?

Das ist möglicherweise eine der Quellen des Missverständnisses. Denn die Grünzone ist kein Naturschutzgebiet, sondern ein besonderer raumplanerischer Schutz vor Bebauung. Und dieser besondere Schutz kommt insbesondere aus einem aufwendigen Verfahren, wenn eine bauliche Nutzung ermöglicht werden soll. Es ist diesbezüglich nämlich eine Änderung des Landesraumplanes notwendig, dazu bedarf es besonderer Verfahrensschritte, auch einer Vorlage vor den Landesraumplanungsbeirat. Und erst nach dieser Prozedur kann eine Entscheidung über die Herausnahme der Fläche getroffen werden und auf dieser Grundlage erfolgt dann in einem weiteren Schritt die Widmung. Also: Es ist kein Naturschutz, es ist ein erhöhter Verfahrensschutz durch eine intensivere Bearbeitung mit der Herausnahme der Fläche.

Zusätzlich verschärft hat diese Debatte das Memorandum des Naturschutzrates. Für dieses Memorandum fanden Sie scharfe Worte. Warum?

Es steht dem Naturschutzrat natürlich vollkommen frei, ein Memorandum über den Naturschutz und die Landesgrünzone abzugeben. Ich kann dem sogar grundsätzlich etwas abgewinnen. Allerdings erwarte ich mir schon, dass ein solches Memorandum mit einem gewissen Augenmaß und mit einem Blick über den Tellerrand hinaus im Sinne einer breiteren Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen abgegeben wird. Wenn es nämlich heißt, ich zitiere auch in diesem Fall, ‚dass die konsequente Unantastbarkeit der Grünzone das Ziel ist‘, dann würde das in seiner strikten Form ja bedeuten, dass es ein absolutes Verbot für eine Bebauung jeglicher Art geben soll. Und letztlich wüsste ich dann nicht, wo unsere Entwicklung im Bereich der Wirtschaft und im Bereich des Wohnens – wobei Wohnen bisher nie innerhalb der Grünzone erfolgt ist – tatsächlich noch erfolgen könnte.

Das hieße in Ihren Augen dann Stillstand? Wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Stillstand?

Es kann sicherlich nicht Ziel der Politik eines Landes sein, künftige Entwicklungen a priori zu verhindern. Und da werde ich alles in meinen Möglichkeiten Stehende tun, um das zu verhindern.

Naturschutz ist ein grünes Kernanliegen.

Es sollte aber auch ein grünes Kernanliegen sein, dass die Menschen in unserem Land Arbeit finden und damit auch eine Existenzmöglichkeit haben. Und da sollte man einfach auch etwas die Perspektiven öffnen und ein breiteres Spektrum an Interessen bei der Entscheidung berücksichtigen.

Man gewinnt den Eindruck, dass Ihnen in der Debatte sukzessive der Humor ausgeht.

Der Humor sollte einem nie ausgehen. Aber es ist jedenfalls eine ernste Diskussion. Weil die Gefahr der Spaltung der Gesellschaft möglich erscheint, wenn Interessen des Naturschutzes konsequent über Interessen der Menschen gestellt werden.

Die neue Vorsitzende des Naturschutzrates, Gerlind Weber, scheint eine Verschärfung der Diskussionskultur gebracht zu haben.

Das scheint so zu sein, ja. Wobei ich das nicht überbewerten will, ich will mir auch kein Vorurteil bilden. Nur ist das, was bis jetzt erkenntlich war, jedenfalls eine deutlich andere Qualität der Arbeit, als das in der Vergangenheit der Fall war. Der Naturschutzrat ist als solches, per Definition aus dem Gesetz, ein beratendes Organ der Landesregierung. Nur ein beratendes Organ! Dort soll keine politische Meinungsbildung erfolgen! Es soll in Fragen des Naturschutzes die Landesregierung beraten, und ich würde mir wünschen, dass dies mit der Qualität erfolgt, wie dies unter Universitätsprofessor Georg Grabherr gepflegt wurde. Wir waren in der Zeit von Grabherr auch nicht immer einer Meinung, aber wir haben mit dem beratenden Organ diskutiert und nicht über die Öffentlichkeit mitgeteilt, was in Zukunft offensichtlich zu tun ist.

Gibt es einen konkreten Kritikpunkt?

Es ist vor allem auch wichtig, dass man auf korrekten, belastbaren Unterlagen die Debatte führt. Und wenn wir heute Zahlen über den Bodenverbrauch im Raum stehen haben, die weit jenseits der Realität sind, dann ist das nicht nur eine Irreführung der Bevölkerung, dann halte ich das auch für nicht zulässig. Falsche Daten können keine Basis für eine sachliche Debatte sein!

Was heißt ‚jenseits der Realität‘?

In einer Untersuchung für die Landwirtschaftskammer kommt Frau Professor Weber zum Ergebnis, dass ein täglicher Bodenverbrauch von circa 2,5 Hektar erfolgt und der Landwirtschaft entzogen wird und zwar für Zwecke des Wohnens, für Betriebe und für Verkehrsinfrastruktur. Und das seit dem Beitritt zur europäischen Union. Der Hausverstand sagt schon, dass das nicht stimmen kann. Das kann man auch ganz einfach nachrechnen: 2,5 Hektar mal 365 Tage. Mal 20, für die 20 Jahre. Ergibt in Summe 18.250 Hektar. In ganz Vorarlberg sind aber überhaupt nur 11.300 Hektar gewidmete Flächen vorhanden. Das hieße ja, dass 1995 gar keine bebauten Flächen bestanden haben dürften beziehungsweise ein beträchtlicher Teil der Bebauung auf Flächen erfolgt ist, die nicht über die notwendige Widmung verfügen. Es ist einfach nur lächerlich und falsch und liegt um mehr als eine Zehnerpotenz neben der Realität.

Wie lautet Ihr Fazit?

Man darf Wirtschaft und Gesellschaft nicht auseinanderdividieren. Diese moderne Art des Klassenkampfes ist Unsinn. Man muss Wirtschaft und Gesellschaft zwingend zusammen sehen. Wohlstand und soziale Verträglichkeit sind hohe Werte einer lebendigen Gesellschaft und man sollte vermeiden, dass unter apodiktischer Verfolgung einzelner Interessen, das gilt für den Naturschutz gleichermaßen wie für andere Interessen, versucht wird, die Gesellschaft zu spalten. Davor würde ich entschieden warnen.
 
Vielen Dank für das Gespräch!

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