Cornelia Mayrbäurl
Hanno Lorenz

Ökonom

(Foto: © Katharina Rossboth)

TTIP: Wenn Vorurteile Hochkonjunktur haben

Mai 2015

Das Freihandelsabkommen mit den USA findet vor allem in Österreich jede Menge Gegner. Experten der Denkfabrik Agenda Austria gehen den Gründen nach und ziehen eine Zwischenbilanz – in einer Debatte, die bislang von Vor-Urteilen, im wahrsten Sinne des Wortes, geprägt ist.

Ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA würde die Preise vieler Güter kräftig drücken, wie die Befürworter des „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) meinen. Dem stehen Ängste vieler Bürger vor einer Verwässerung der hohen europäischen Standards gegenüber.

Derzeit begrüßt eine breite Mehrheit der Europäer das Freihandelsabkommen, ein einziges Land lehnt es mehrheitlich ab: Österreich. Warum, das erklärt stellvertretend ein Poster, das ein Geflügelhändler am Wiener Naschmarkt plakatiert hat: „Ich bin ein Handelshemmnis für industrielle Hühnerverwertung, weil ich selbst Freilandhühner züchte.“ Deshalb müsse TTIP gestoppt werden. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie in der Debatte um TTIP mit unrichtigen Behauptungen Ängste geweckt werden. Denn ein Abkommen würde die Zucht und den Verkauf von Bio-Hühnern nicht betreffen.

Unbestritten ist, dass Freihandel nicht nur erfreuliche Folgen hat. Er bringt Wohlstand für die breite Mehrheit der Beteiligten, aber nicht für alle. Mit ihm kommen nicht nur günstigere Produkte ins Land, sondern auch ein verschärfter Wettbewerb, der zuweilen ziemlich ungemütlich werden kann. Das gilt nicht nur für Europa, sondern auch für die USA, wo immer öfter für „buy american“ geworben wird.

Unbestritten ist aber auch, dass freier Handel für die ärmeren Regionen der Welt der verlässlichste Fluchthelfer aus der Armut ist. Allein in China wurden in den vergangenen 25 Jahren fast 900 Millionen Menschen aus der bittersten Armut geführt – eine Entwicklung, die ohne Öffnung der Handelsgrenzen undenkbar gewesen wäre. Die kategorische Forderung, TTIP zu stoppen, ist daher höchst seltsam. Auch in der EU käme ein – gut verhandeltes – TTIP-Abkommen vor allem den Beziehern niedriger Einkommen zugute, die beim Einkaufen genau auf die Preise schauen müssen. Denn Zölle und vor allem die sogenannten nicht-tarifären Handelshemmnisse schlagen sich in den Produktpreisen natürlich spürbar nieder.

Es sind vor allem diese nicht-tarifären Handelshemmnisse wie unterschiedliche Vorschriften oder doppelte Prüfverfahren, die Produkte aus den USA bei uns um etwa ein Fünftel teurer machen. Darunter fallen Autoblinker, die bei Exportautos ausgetauscht werden müssen, weil sie bei uns orange sind, jenseits des Atlantiks aber rot. Oder aufwendige Prüfverfahren für Medikamente aus den USA, die dort vor der Zulassung genauestens getestet wurden, nach den anderen Regeln in der EU aber nochmals geprüft werden müssen.

Gerade was unterschiedliche Produktstandards betrifft, ist aber längst nicht immer klar, welcher Standard nun niedriger ist oder höher – oder einfach nur anders. Jedenfalls vertrauen laut einer Umfrage des Pew Research Centers und der Bertelsmann-Stiftung sowohl die EU- als auch die US-Bürger ihren eigenen Standards mehr: Jeder glaubt, die höheren zu haben. So finden 67 Prozent der Amerikaner ihre Lebensmittelvorschriften besser – sie wollen wohl keinen Rohmilch-Käse essen, mit dem wiederum die heimischen Gegner des US-Chlorhuhns kein Problem haben.

Und weil wir gerade bei Umfragen sind: Österreich ist das einzige EU-Land, in dem eine Mehrheit, nämlich 53 Prozent, gegen den Handelsvertrag ist. Damit sind wir eines von nur vier Ländern, in denen es keine Mehrheit für TTIP gibt. 39 Prozent sind für TTIP, acht Prozent der Österreicher sind nicht zuordenbar.

Wir von Agenda Austria meinen, dass ein starres Nein zu TTIP eine nicht haltbare Position ist – genauso wie ein Ja um jeden Preis. Es ist nicht besonders vernünftig, sich eine Meinung zu einem Vertrag zu bilden, von dem noch nicht klar ist, wie er genau aussehen wird. Denn das wäre im wahrsten Sinn des Wortes ein Vor-Urteil.

1. Gehen unsere Lebensmittelstandards verloren?

Ziel der Freihandelsverhandlungen ist es, Nahrungsmittelproduzenten den Marktzugang in der jeweils anderen Region zu erleichtern. Das ist angesichts unterschiedlicher Standards betreffend Hygiene und Nahrungsmittelproduktion alles andere als einfach – wie auch das Beispiel des „Chlorhuhns“ zeigt: Welche antibakterielle Behandlung von Hühnerfleisch ist unbedenklicher – ein Chlorbad wie in den USA oder Antibiotika im Futter wie in Europa? Der deutsche Ex-Umweltminister Jürgen Trittin von den Grünen meint: „Ich mag nicht entscheiden, was besser ist … es ist arrogant zu behaupten, dass europäische Standards in jedem Fall besser sind als amerikanische.“ Tatsächlich besteht also die Gefahr, dass sich in den Regalen österreichischer Märkte Produkte finden, die nicht unseren Standards entsprechen. Gleichzeitig bieten sich österreichischen Bio-Produzenten aber auch neue Absatzmärkte in den USA, in denen die Nachfrage nach gesunder Nahrung rasant wächst. Die Lösung könnte sein, dass die Verbraucher auf einen Blick erkennen, woher das Produkt stammt. Sie selbst sollten dann die Entscheidung treffen, was sie kaufen.

Sicher ist aber schon jetzt, dass gentechnisch veränderte Produkte nicht über TTIP nach Europa kommen. Vor Kurzem hat nämlich die EU die Rechte der Mitgliedstaaten gestärkt, über den Anbau genveränderter Produkte selbst zu entscheiden. Auch das jüngst mit Kanada verhandelte Freihandelsabkommen CETA hält fest, dass nur „hormonfreies“ Fleisch exportiert werden darf. Zudem kann TTIP nur mit Zustimmung des EU-Parlaments in Kraft treten. Dort werden der Schutz und die Rechte der Konsumenten vergleichsweise ernst genommen. So ließ das EU-Parlament 2012 das multi­laterale Anti-Produktpiraterie-Abkommen ACTA zum Schutz des Urheberrechts aus Sorge um den Datenschutz platzen.

Fazit: Entscheidend ist eine klare Kennzeichnung der Produkte. Die Verbraucher sollen dann selbst entscheiden, ob sie europäische oder amerikanische Nahrungsmittel kaufen wollen.

2. Können ausländische Firmen über Schiedsgerichte heimische Gesetze aushebeln?

Das Freihandelsabkommen mit den USA soll Staaten angeblich in deren demokratischen Rechten beschneiden. Investoren können demnach Staaten vor internationalen Schiedsgerichten für erlassene Gesetze belangen.

Dieser „Vorwurf“ ist berechtigt. Der staatliche schwedische Energieversorger Vattenfall – und damit das Volk von Schweden – klagt gerade gegen Deutschlands Atomausstieg und verlangt Milliarden an Entschädigung, weil Atomkraftwerke stillgelegt werden mussten, in die kurz vorher nach gültiger Rechtslage noch viel investiert worden war. Generell sind Schiedsgerichte in Handelsabkommen seit Langem üblich: Österreich hat mit 62 Ländern Investitionsschutzabkommen geschlossen, die auch die Streitbeilegung vor Schiedsgerichten vorsehen. Warum sind aber nationale Gerichte nicht genug? Weil sie innerstaatliches Recht umsetzen, und weil sie unter dem Einfluss der Regierung stehen könnten, die geklagt wird. Fühlt sich ein österreichisches Unternehmen in den USA durch eine neue Regelung in seinen Rechten verletzt, muss es so nicht vor einem US-Gericht klagen. In den TTIP-Verhandlungen wird versucht, unerwünschte Effekte dieses an sich bewährten Instruments zu beseitigen. EU-Kommissarin Cecilia Malmström hat angekündigt, bei den Schiedsgerichten Berufungsmöglichkeiten einführen zu wollen und prinzipiell das staatliche Recht auf Regulierung festzuschreiben. Auch in den USA wird über die Streitbeilegung diskutiert. Ein hochrangiger Beamter im Weißen Haus meinte, es seien „höhere Standards, verstärkte Schutzvorrichtungen und verbesserte Transparenzvorschriften“ nötig, um den Missbrauch von Schiedsgerichten zu vermeiden.

Fazit: Schiedsgerichte werden nicht dazu führen, dass europäische Staaten in ihrer Gesetzgebung eingeschränkt werden. Ungeachtet dessen werden Bürger und Unternehmer auch weiterhin Gerichte anrufen können, so sie staatliche Willkür vermuten. Das ist eine Visitenkarte von erwachsenen Rechtsstaaten.

3. Gefährdet TTIP Gesetze gegen umstrittene Techniken wie Fracking?

In den USA boomt die Erdgasförderung mittels Fracking: Um Gas aus unterirdischen Schieferschichten zu pressen, pumpen Energielieferanten ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in den Boden. Dabei kann das Trinkwasser verschmutzt werden, wenn in nur wenigen hundert Metern Tiefe schlampig gebohrt wird. Die Technik ist an sich nicht neu und wurde auch in Österreich bei konventionellen Lagerstätten schon angewendet, wenn dort der Druck nachgelassen hatte. Fracking ist in Österreich nicht verboten. De facto ist nach dem gescheiterten Versuch der OMV, im Weinviertel Probebohrungen durchzuführen, aber kein Antrag eines Energieversorgers auf Fracking beim zuständigen Wirtschaftsministerium zu erwarten. TTIP-Gegner befürchten, dass sich US-Firmen über den Investitionsschutz das Recht auf Fracking erstreiten könnten – etwa wenn ein Gasförderer, der bereits in Österreich investiert hat, sich durch weitere Gesetze gegen Fracking hinters Licht geführt sieht. Investitionsschutzklagen im Bereich Energie sind zulässig. Gleichzeitig wollen aber sowohl die EU als auch die USA die Rechtsgrundlagen für Schiedsgerichte präzisieren. Dabei soll – siehe „Können ausländische Firmen über Schiedsgerichte heimische Gesetze aushebeln?“ – das Recht auf Regulierung eindeutig festgeschrieben werden.

Fazit: Ein noch offener Punkt. Die geplanten genauen Regeln für Schiedsgerichte könnten Klagen gegen die Regulierung von Techniken wie Fracking aber verhindern.

4. Wird TTIP den Datenschutz aushöhlen?

Beim Datenschutz setzen die USA und die EU unterschiedliche Schwerpunkte – beide aus guten Gründen. Die NSA-Affäre hat gezeigt, dass niemand vor der Sammelwut der US-Geheimdienste sicher ist. Daher werden in Brüssel Vorschläge diskutiert, Internetkonzernen vorzuschreiben, europäische Daten auf europäischen Servern zu speichern. Die USA wiederum argumentieren, gesammelte Daten hätten es etwa möglich gemacht, die Verbreitung von Ebola zu verlangsamen. Das Internet solle daher nicht regionalisiert werden. Klar ist, dass all das bereits jetzt, ohne TTIP, passiert. Google & Co. brauchen kein Freihandelsabkommen, um Daten abzusaugen und zu speichern. Befürworter von TTIP argumentieren, dass das Abkommen die einzige Chance ist, den Datenschutz zu stärken. Das Europäische Parlament drängt auf ein Rahmen­abkommen zum Datenschutz, das TTIP vorangehen soll. Sein Innenausschuss verlangt überhaupt, dass TTIP keine Regelungen zum Datenschutz enthalten darf. Gespräche zu einem Rahmenabkommen verlaufen aber zäh. Das Thema ist allerdings von entscheidender Relevanz. Denn Freihandel wird immer öfter so aussehen, dass beispielsweise ein Datenpaket für ein Produkt verschickt wird, das dann vom 3D-Drucker hergestellt wird.

Fazit: Das vermutliche heikelste und sensibelste Kapitel des gesamten Abkommens. In diesem Bereich dürften die Verhandlungspartner auch am weitesten auseinanderliegen.

5. Wird wegen TTIP die Wasserversorgung oder Ähnliches privatisiert?

Nein. Die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström und der US-Handelsbeauftragte Michael Froman haben in einer gemeinsamen Erklärung festgehalten, es schreibe „kein Handelsabkommen der EU oder den Vereinigten Staaten die Privatisierung von Dienstleistungen vor oder hindert den öffentlichen Sektor daran, sein bestehendes Angebot an öffentlichen Dienstleistungen auszubauen.“ Handelsabkommen werden, so Malmström und Froman, „Verwaltungen auf allen Ebenen keineswegs daran hindern, Dienstleistungen zur Versorgung mit Wasser, Bildung, Gesundheit und sozialer Sicherheit sicherzustellen oder zu unterstützen“.

Fazit: Mit TTIP wird es weder ein Gebot für Privatisierungen geben noch ein Verbot. Schon jetzt steht es österreichischen Gemeinden frei, den Betrieb ihrer Wasserleitungen auszulagern oder gar zu verkaufen. Niemand kann sie dazu zwingen, niemand daran hindern. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.

6. Gefährdet TTIP die Rechte der Arbeitnehmer? Wird es zu Sozialdumping kommen?

Die USA und die Länder der EU gehören zu den Wirtschaftsräumen mit den höchsten Sozialstandards weltweit. Doch es gibt Unterschiede: Während in den USA ein gesetzlicher Mindestlohn gilt, gibt es in Österreich für sehr weite Bereiche Kollektivverträge. Während es Unternehmern in den USA leicht gemacht wird, sich von Mitarbeitern zu trennen, gilt hierzulande ein strenger Kündigungsschutz. Auch die Mitbestimmung über Betriebsräte oder Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten gibt es in den USA so nicht. TTIP-Gegner behaupten, dass sich Investoren aufgrund hoher Sozialstandards in Europa benachteiligt sehen und diese Bestimmungen durch Klagen aufgrund des Investitionsschutzes zu Fall bringen können. Andererseits könnten sich europäische Produzenten im Nachteil sehen, weil US-Konkurrenten aufgrund des schwächeren sozialen Schutzes günstiger produzieren könnten.

Derartige Unterschiede sind geradezu Voraussetzung für grenzüberschreitenden Handel, diese Differenzen gibt es auch in der Freihandelszone namens Europäische Union. Sie zu beseitigen würde den Handel zwischen den zwei Wirtschaftsräumen obsolet machen. Zudem führt die EU die Verhandlungen mit dem Vorbehalt, dass Arbeits- und Sozialstandards diesseits des Atlantiks TTIP nicht zum Opfer fallen dürfen. Das haben die Mitgliedsländer den Verhandlern auf­erlegt. Auch verlangt der Sozialausschuss des EU-Parlaments, das TTIP ja zustimmen muss, ein Überwachungsinstrument zur Wahrung der Arbeitnehmerrechte.

Fazit: Jedes Land wird auch künftig den Arbeitnehmerschutz bekommen, den es für richtig hält.

Kommentare

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also, gehen wirs mal an... "Der Hendlzüchter vom Wiener Naschmarkt" Jeden seine Meinung in Ehren, aber das soll "repräsentativ" für Ö. sein? Dabei wissen die meisten schon daß das vielzitierte "Chlorhühnchen" eher ein Ablenkungsmanöver ist und daß der Hund im Detail steckt... "Er bringt Wohlstand für die breite Mehrheit" - reine Spekulation! Selbst die "rosigsten" Prognosen sagen gerade mal 5% Wachstum in 10 Jahren voraus! Das macht dann 0,5% im Jahr, wie gesagt bestenfalls! Fakt ist jedenfalls daß das NAFTA (Also der MEX-US-CAN Pendant) genau daß Gegenteil bewirkt hat. Man vermutet daß allein im Süden der USA 700000 Arbeitsplätze vernichtet wurde! In Mexico ist die Armut seither stark gestiegen (Was freilich auch andere Gründe hat) und die Wirtschaft schrumpfte! Gabriel Felbermayer vom IFO Institut selbst (Ger) meint daß unterm Strich das TTIP Abkommen wenig bringt und seine Prognosen (von 0,4% Wachstum) nur im "optimalsten" Falle zustandekommen!!! Ein lächerlicher Wert der dann noch auf 0,5% Prozent von der BRD-Regierung aufgerundet wurde! Und China hier als Vergleich anzuführen ist wohl komplett daneben - gibts in der EU noch "Enwicklungsländer"? Absolut lächerlicher Vergleich! Die Mähr daß österreich daß einzige Land sei daß gegen TTIP ist, wird auch hier wieder zitiert, in Deutschland wird übrigens genau daß gleiche behauptet. Fakt ist jedenfalls daß bei einer Umfrage von 150.000 EU Bürgern 97 gegen die Investorenklausel sind. Ob es in Österreich bereits Investorenschutzabkommen gibt oder nicht ist zudem auch der Sache nicht förderlich, im Gegenteil, jene gehören eher genau geprüft! So und jetzt bin ich grad noch über den Brötchengeber des Autors gestoßen die "Agenda Austria", alles klar soweit...eine Lobby Agentur der Reichen in Österreich! Damit erübrigt sichs wohl den Artikel fertigzulesen. Einfach mal nach "Agenda Austria" auf dem Kurier suchen! Liebe "Thema-Vorarlberg" Redaktion - wärt Ihr so lieb und würdet derlei Artikel als "Werbeanzeige" kennzeichnen?