J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Auf acht Beinen durchs Haus

Juni 2018

Eine begrünte Hauswand mit Fenster, eine offene Terrassentür oder ein Lichtschacht zum Keller – eine Spinne, die sich nach einem gemütlichen, warmen Zuhause sehnt, findet immer einen Weg, in ein Gebäude einzudringen. Bleibt sie auch im Keller lange unbemerkt, so kann sie Panikattacken auslösen, wenn sie einmal durchs Wohnzimmer krabbelt. Selbst Biologen, die sich bewusst sind, dass ihnen keine heimische Spinne ernsthaft gefährlich werden kann, sind vor einer Spinnenphobie nicht gefeit. Doch was wissen wir wirklich über unsere achtbeinigen Mitbewohner?

Reichlich wenig ist über die mit dem Menschen lebenden Achtbeiner in Vorarlberg bekannt. Sie entziehen sich der Beobachtung. Nicht, dass sie sich besser verstecken als ihre Verwandten in Wald und Feld. Doch der Lebensraum Gebäude zeichnet sich durch eine Eigenschaft aus, die seine Erforschung erfolgreich verhindert: Seine Unzugänglichkeit für Fremde. Selbst wenn ein Spinnenforscher bei Freunden und Bekannten auf die Jagd gehen möchte, bleiben seine Möglichkeiten beschränkt. Wer lässt sich schon gerne den Parkettboden aufreißen, um dort eine Bodenfalle einsetzen zu können? Nur was dem Forscher zufällig über den Weg huscht, kann registriert werden.

Zufallsbeobachtungen sind es auch, die uns am meisten über den Lebensraum Gebäude verraten. Regelmäßig ist die Fachberatungsstelle der inatura mit der Frage konfrontiert, ob diese oder jene Spinne giftig sei und einem Menschen gefährlich werden könne. Für die Beantwortung wäre es eigentlich nicht nötig, die Spinne näher zu bestimmen: Alle Spinnen besitzen Giftdrüsen, aber nur die wenigsten heimischen Arten sind in der Lage, mit ihren Beißwerkzeugen die menschliche Haut zu durchdringen. Gelingt dies einzelnen Arten doch, so ist das Ergebnis im Normalfall nicht schmerzhafter als ein Wespenstich. Komplikationen stellen sich bei einer Unverträglichkeit, Allergie oder bei einer Sekundärinfektion ein. Diese Antwort sollte genügen. Aber schlussendlich siegt doch die Neugierde der Fachberater und die Spinne wird (soweit ab Foto möglich) determiniert – nicht selten mit überraschenden Ergebnissen. Denn wärmere Klimabedingungen und eine in diesem Ausmaß nie gekannte Mobilität bringen es mit sich, dass sich in unseren Breiten Spinnenarten ansiedeln, die ursprünglich nur im Mittelmeerraum heimisch waren. Ob sie sich aktiv ausbreiten oder durch den Menschen verschleppt werden, ist in den seltensten Fällen befriedigend zu beantworten. Selbst wann eine neue Art in Vorarlberg angekommen ist, lässt sich kaum rekonstruieren. Erst durch die Anfragen aus der Bevölkerung werden solche Neuankömmlinge für die Wissenschaft fassbar.

Eine dieser neuen Arten ist die Kräuseljagdspinne Zoropsis spinimana („Nosferatu-Spinne“). Als vor vier Jahren das erste Exemplar gefangen wurde, wurde noch ein Urlaubsmitbringsel aus Italien vermutet. Weitere Funde sollten folgen. Heute können wir davon ausgehen, dass sich die Nosferatu-Spinne im Gebiet Dornbirn/Lustenau fix etabliert hat. Zwar wurde das allererste Exemplar Österreichs bereits 1997 in Innsbruck entdeckt, dennoch erscheint eine Einwanderung über den Arlberg unwahrscheinlich. Bereits 1994 wurde Zoropsis spinimana (zum ersten Mal nördlich der Alpen) in Basel gefunden. Von dort breitete sich die Art entlang der Flusstäler aus. Nach Vor­arlberg ist sie wohl entlang Hochrhein und Bodensee gelangt. Nimmt man Verschleppung als Faktor für die Arealerweiterung an, so kommt auch das Schweizer Autobahnnetz als „Wanderroute“ in Betracht.

Mit einer Größe von bis zu fünf Zentimeter (mit ausgestreckten Beinen) gehört Zoropsis spinimana zu den größeren Spinnen in oder an Gebäuden. Ihre helle Farbe unterscheidet sie deutlich von Keller- und Hauswinkelspinnen. Sie fällt auf. Unauffällig hingegen sind kleine Spinnen. Mögen ihre Netze auch lästig sein – die Verursacher bekommt man nur bei genauer Suche zu Gesicht. Die Fettspinne Steatoda triangulosa ist solch eine Art. Könnte sie Lehrbücher lesen, so wüsste sie, dass sie sich nur in südlichen Ländern, und auch dort nur an warmen Orten, aufhalten darf. Doch durch Verschleppung hat sie den Sprung über die Alpen geschafft. Noch vor zehn Jahren hieß es über Steatoda triangulosa: „In Mitteleuropa ziemlich selten und nur in warmen Gebäuden.“ Inzwischen lebt diese Art auch in Vor­arlberg. Die ersten Funde wurden der inatura 2015 gemeldet. Doch wann sie wirklich im Ländle angekommen ist, wird sich kaum mehr ermitteln lassen.
Selbiges gilt für die Springspinne Pseudeuophrys lanigera. Auch bei dieser Art dürfen wir annehmen, dass sie schon länger unerkannt in Vorarlberg vorkommt. Dies ist kaum verwunderlich, sehen sich doch die kleinen Springspinnen für den Laien zum Verwechseln ähnlich. Erst in den letzten Jahren wurde der Neuzuwanderer im Ländle entdeckt – reichlich spät, denn in Deutschland ist er bereits seit Ende der 1950er-Jahre nachgewiesen. Inzwischen hat sich Pseudeuophrys lanigera stark ausgebreitet und gehört nun in Deutschland sogar zu den häufigsten Hausspinnen.

Gebäudebewohnende Spinnenarten werden wohl weiterhin die Stiefkinder der Arachnologie bleiben. Fundierte Studien scheitern an der Unzugänglichkeit des Lebensraums. Aber zufällige Einzelbeobachtungen gewähren wenigstens einen kleinen Einblick und offenbaren, welchen Arten sich in den letzten Jahren in Vorarlberg etabliert haben.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.