Thomas Feurstein

* 1964 in Bregenz, Studium der Germanistik und Geografie, Biblio­thekar und Leiter der Abteilung Vorarlbergensien an der Vorarlberger Landes­bibliothek seit 1998.

 

Ich lass mich „steinachen“

März 2017

Wer sich „steinachen“ ließ, unterzog sich in den 1920er-Jahren bei Dr. Eugen Steinach einer Operation, die als Ziel die Verjüngung des Körpers hatte. Unter seinen Patienten waren Sigmund Freud oder etwa der Schriftsteller William Butler Yeats zu finden, die sich durch die Behandlung die Verlangsamung der Alterung und neue sexuelle Kraft erhofften.

Eugen Steinach entstammte einer jüdischen Familie aus Hohenems, deren Wurzeln sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. Er vertrat damit die letzte Generation einer Dynastie von hoch angesehenen Ärzten – begründet von Wilhelm Steinach (1796-1867) und fortgeführt von seinem Sohn Simon (1834-1904) –, die beide größtenteils in Hohenems als Ärzte tätig waren. In dritter Generation wurde Eugen Steinach am 27. Jänner 1861 in Hohenems geboren, wo er auch die Volksschule besuchte, um dann im Feldkircher Gymnasium seine schulische Ausbildung fortzusetzen. Dann studierte er zunächst in Genf und Wien, wo er sich schon in den ersten Studienjahren besonders für Physiologie interessierte. Er promovierte 1886 zum Doktor der Medizin, begann dann seine akademische Laufbahn als Assistent in Innsbruck und erwarb rasch die Lehrbefugnis. Er arbeitete zunächst als Assistent an der deutschen Universität in Prag, wo er 1895 zum Professor ernannt wurde. 1910 kehrte er an die Universität nach Wien zurück, wo er außerdem Leiter der biologischen Versuchsanstalt wurde, die im Vivarium, einem Prachtbau in der Nähe des Praters, untergebracht war. Während seiner Zeit in Wien, wo er 28 Jahre verbrachte, verfasste er eine große Zahl wissenschaftlicher Publikationen, die 1920 in seinem Hauptwerk „Verjüngung durch experimentelle Neubelebung der alternden Pubertätsdrüse“ gipfelte. Mit seinen Forschungen zur Verjüngung des Menschen reihte er sich in eine lange Reihe von Wissenschaftlern ein, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts versuchten, den Alterungsprozess des Menschen zu verlangsamen. Als nach dem Anschluss die Nationalsozialisten 1938 sein Büro in Wien stürmten und sein wissenschaftliches Werk auf brutale Weise ausradiert wurde, befand sich Steinach gerade auf einer Vortragsreise in der Schweiz, von der er aufgrund der politischen Umstände nicht mehr nach Wien zurückkehren konnte. Nachdem seine Frau Antonie 1938 in Zürich Selbstmord gegangen hatte, lebte Steinach noch bis 1944 zurückgezogen in Territet (Montreux) am Genfersee.

Wenn der Name eines Wissenschaftlers sogar als Verb in der Weltliteratur Verwendung findet, ist das ein untrüglicher Beweis für seinen Bekanntheitsgrad. So verwendet etwa Alfred Döblin 1929 in seinem Roman „Berlin Alexanderplatz“ das Wort „steinachen“ in Zusammenhang mit einem plötzlich sehr jugendlich auftretenden Menschen. Michaela Lindinger, Autorin des Buches „Sonderlinge, Außenseiter, Femme fatales: das andere Wien um 1900“, versucht zu begründen, wie Steinach und einige andere Zeitgenossen, die sich der Verjüngung des Menschen verschrieben hatten, in wissenschaftlichen Kreisen, aber auch in der breiten Öffentlichkeit so große Bedeutung erlangen konnten. Sie sieht die industrielle Revolution als Ursache, brachte sie doch ein Menschenbild hervor, in dem Jugendlichkeit und Vitalität mehr und mehr zum Ideal wurden. Steinachs Rezept gegen die Alterung beruhte auf der Erkenntnis, dass die „Pubertätsdrüse“ angekurbelt werden müsse, um bis zu einer gewissen Grenze die Jugendlichkeit wieder zu aktivieren. Der Patient würde „reaktiviert“, indem durch das Abbinden der Samenleiter vermehrt Testosteron produziert werde, was einen verjüngenden Effekt auslöse.

Um Steinach und seine oft prominenten Patienten rankten sich wilde Anekdoten, die mal ein positives, mal ein negatives Licht auf seine Forschungen warfen, aber jedenfalls immer seinen Bekanntheitsgrad steigerten. So sorgten mehrere Berichte über Eugen Steinach in der „New York Times“ für Aufsehen. Die Zeitung berichtete am 26. Juni 1921 über Alfred Wilson, einen vermögenden Australier, der sich bei Steinach als einer der ersten einer Verjüngungsoperation unterzogen hatte. Nach der Rückkehr nach London, von den Ergebnissen der Prozedur begeistert, mietete er die Albert Hall, um in einem Vortrag („How I was 20 years younger by the method of Professor Steinach“) über die Ergebnisse zu referieren. Am Tag des geplanten Vortrags verstarb Wilson allerdings plötzlich, was für große Aufregung sorgte, da sein Tod in der Öffentlichkeit als Folge seiner Operation in Wien wahrgenommen wurde. Obwohl der Gerichtsmediziner nicht den geringsten Zusammenhang feststellen konnte, wurden durch den unglücklichen Zufall die Methoden Steinachs ins Zwielicht gerückt. In einem Interview mit der „New York Times“ sprang Frida Strindberg, Schriftstellerin, Literaturkritikerin und Exfrau von August Strindberg, für Steinach in die Bresche, indem sie ihn öffentlich verteidigte. Aus den Erfahrungen ihrer persönlichen Bekanntschaft beschrieb sie Steinach als beeindruckenden, wahrheitsliebenden Menschen, der eine seltene Kombination aus menschlichen und intellektuellen Eigenschaften in sich vereine.

Zur Popularität des Wiener Wissenschaftlers hatte auch maßgeblich der Steinach-Film von 1922 beigetragen. Zunächst hatte die finanzierende UFA einen Dokumentarfilm produziert, an dem auch Eugen Steinach wohlwollend als Darsteller mitwirkte. Die später von der Universum Film AG (UFA) hergestellte populäre Fassung für die breite Öffentlichkeit wurde von Steinach allerdings vehement abgelehnt und sein abschließendes Urteil lautete: „Mit der UFA stehe ich in keinem Kontakt mehr. Ich bin so hereingelegt, belogen und betrogen, daß [sic!] für mich so alles verloren ist“. Auch sämtliche Honorare für den Film waren der galoppierenden Inflation der 1920er-Jahre zum Opfer gefallen.

Im Rückblick werden die Forschungen von Eugen Steinach sehr widersprüchlich bewertet: So wird die verjüngende Wirkung seiner Eingriffe heute eher bezweifelt, auf der anderen Seite sehen ihn viele als einen der Begründer der modernen Hormonforschung. Steinach begann in Zusammenarbeit mit der Firma Schering in Berlin bereits 1923 solche Forschungen und lieferte damit wesentliche Grundlagen für die Entwicklung der Antibabypille, die dann 1960 als Produkt eben dieser Firma Schering erstmals die Zulassung in den USA erhielt. Für seine bahnbrechenden Forschungen wurde Steinach zwischen 1921 und 1938 insgesamt elf Mal für den Nobelpreis für Physiologie und Medizin nominiert, ohne den Preis jedoch jemals zu erhalten. Heute erinnern in Hohenems der Dr.-Steinach-Weg und in Wien-Donaustadt die Steinachgasse an den sonst weitgehend vergessenen Wissenschaftler.

 

Verwendete Literatur (in der Vorarlberger Landesbibliothek vorhanden)

  • Lindinger, Michaela: Sonderlinge, Außenseiter, Femmes Fatales: das „andere Wien“ um 1900. Wien 2015
  • Stoff, Heiko: Ewige Jugend: Konzepte der Verjüngung vom späten 19. Jahrhundert bis ins Dritte Reich. Wien 2004.
  • Walch, Sonja: Triebe, Reize und Signale: Eugen Steinachs Physiologie der Sexualhormone. Vom biologischen Konzept zum Pharmapräparat 1894 – 1938. Wien 2016

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