Peter Freiberger

„Rucksack“, zurück am Adlerweg

Februar 2018

Ein Berg ist nichts anderes als ein großer Stein, meint Hubert von Goisern. Oder eben ein großer Haufen großer Steine. Hüben wie drüben. In Vorarlberg und in Tirol. Aber kann die Schesaplana in Brand der Hohen Munde über Telfs das Wasser reichen? Nach fünf Jahren kehre ich beruflich zurück nach Tirol. Idealer Zeitpunkt für einen Vergleich der alpinen Gepflogenheiten und Welten beiderseits des Arlbergs.

Grimmiger Ausdruck, verbissen dreinblickend, kaum ein Lächeln auf den Lippen, keuchend: So lässt sich ein Tiroler während einer Bergtour beschreiben. Kurz ausgedrückt: „Nordwandgesichter“ unterwegs. In der steilen, eisigen Nordwand lacht man ja bekanntlich nicht. Hier im Ländle sehen die Bergler meinen Erfahrungen nach ihr Hobby lockerer. Das verwundert angesichts des Ehrgeizes, der den Vorarlbergern allgemein zugeschrieben wird.

Die Gipfel ragen grundsätzlich etwas höher empor im – angeblich – „Heiligen Land“ als westlich des Arlbergs. Diese Tatsache mag ein Grund beziehungsweise eine Entschuldigung sein, warum viele Tiroler eher humorlos und mit ernster Miene nach oben steigen. Lustig wird es in der Regel erst anschließend in der Hütte oder auf der Alm. Bergsteigen hat in Tirol fast den Status einer Religion. Und in der Kirche soll bekanntlich Lachverbot herrschen.

„Rucksack“ haben sie mich in Vorarlberg hin und wieder genannt, wenn ich von meinen Wanderungen und Touren erzählte. Halte ich übrigens für eine charmante Bezeichnung für einen Tiroler. Außerdem genießt man als „Rucksack“ im Ländle über der 2000-Meter-Grenze etwas, das sich mit zurückhaltender, aber dennoch spürbarer Anerkennung beschreiben lässt. Würde natürlich kein Vorarlberger je zugeben …

Ich habe jedenfalls in den vergangenen fünf Jahren in Vorarlberg versucht, mich ein wenig zu assimilieren. Da und dort einen Schritt langsamer gehen, lächelnd den Berg hinauf, das Bergsteigen weniger buchhalterisch betrachten. Das – wenig überraschende – Resultat: Meine Blicke Richtung Osten wurden mehr. Gegen seine Gene lässt es sich zwar ankämpfen, das Resultat steht allerdings bereits vor Beginn des Kampfes fest.

„Ich weiß nicht, was du hast. Wenn du morgens aus dem Fenster blickst, schauen die Berge hier doch nicht anders aus als in Tirol.“ Mit dieser kühnen Behauptung hat mich mein hiesiger Freund Franz immer wieder konfrontiert, wenn ich von der Hohen Munde vor meiner Tiroler Haustür, der Watze im Pitztal oder dem Wildgrat bei der Erlanger Hütte in den Ötztaler Alpen schwärmte, die Schesaplana hingegen bloß nebenbei erwähnte. Ein Tiroler mag so etwas einfach nicht hören. Ich versuche im Gegenzug ja auch nicht, den Achensee mit dem Bodensee zu vergleichen.

Konnte ich mich schon nicht wirklich anpassen, habe ich probiert, Tiroler Gepflogenheiten in Brand heimisch zu machen. Freilich – der Versuch, möglichst viele Kollegen und Bekannte vom großartigen Erlebnis der Abendskitouren auf die Palüdhütte zu überzeugen, glückte nicht wirklich. Meist saß lediglich eine Handvoll Verwegener dienstagabends in der guten Hüttenstube, während sich die Tourengeher draußen in Bürserberg oder in Laterns gegenseitig auf die Füße stiegen. Verstehe ein Tiroler die Vorarlberger. Immerhin: Hüttenromantik und Bergeinsamkeit waren damit für mich garantiert.

Als ich vor beinahe 15 Jahren am Arlberg vom Tiroler Adlerweg, den ich drei Sommer lang für die „Tirol Werbung“ recherchieren durfte, wissentlich zum ersten Mal die Schesaplana erblickte, hätte ich nie gedacht, dass die formschöne Pyramide einmal mein temporärer Hausberg werden wird. Ich muss – ungern – gestehen, dass der Fast-Dreitausender die Telfer Hohe Munde an Metern überragt. Deutlich noch dazu. Aber man sollte das Bergsteigen bekanntlich nicht zu buchhalterisch betrachten … Deshalb gilt es bei der Beantwortung der eingangs gestellten Frage, ob die Schesaplana der Munde das Wasser reichen kann, auch den prachtvollen Doppelgipfel der Munde zu berücksichtigen.

Bergsteigen und Wandern hat viel mit Emotionen zu tun. Aus emotionaler Sicht steht meine Antwort jedenfalls fest. Daheim ist eben daheim. Banale Erkenntnis. Deshalb zieht es mich jetzt – 34 Wandertipps in „Thema Vorarlberg“ später – entlang des Adlerwegs retour nach Tirol. Mit einem guten Fernglas gibt es auf der Munde ohnehin Blickkontakt zu Schesaplana und Co. Das macht den Abschied leichter.

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