Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Die Beziehung des Vorarlbergers zu seinem Bundesland

Juli 2016

Im Vorfeld der Landtagswahl 1969 ließ die Vorarlberger ÖVP vom Wiener Institut für Marktforschung Dr. Walter Fessel eine groß angelegte Untersuchung im Land durchführen. Abgefragt wurden alle möglichen Problemstellungen, mit denen Land und Leute damals konfrontiert waren. Unverändert lesenswert ist dabei das einleitende Kapitel der Studie, versuchten sich die (Wiener) Studienautoren doch an einer prinzipiellen Beschreibung des Vorarlbergers – mit der Begründung, dass man zuerst den typischen Vorarlberger verstehen müsse, um daraus dann eine zielgerichtete Politik ableiten zu können. Auf geht’s.

Im Gegensatz zu den Bewohnern mancher anderer Bundesländer verbinden die Vorarlberger ihr Heimatgefühl emotional vorwiegend mit dem gesamten Bundesland. Die Vorarlberger weisen insgesamt ein unerhört stark ausgeprägtes Heimatgefühl auf, das manchmal in kritischer Weise sogar als übertrieben bezeichnet wird.

Manchmal sprechen Vorarlberger von sich selbst als „extremen Föderalisten“, die eher dazu tendieren, in der Richtung des Stolzes auf das eigene Heimatland zu übertreiben.

Diese Heimatverbindung, die das gesamte Bundesland aufweist, ist sehr stark emotional gefärbt. Der Vorarlberger ist überzeugt, dass die Bewohner seines Bundeslandes stärker und fester zusammenhalten als die Bewohner anderer Bundesländer.
Vorarlberg sieht man als kleines Land, das man äußerst leicht überschauen könne, und wo man als Bewohner überall hinkommt. Man kennt daher das ganze Land, alle seine Gegenden und hat meist auch stärkere überregionale verwandtschaftliche oder bekanntschaftliche Verflechtungen. Man fühlt sich daher in Vorarlberg überall daheim. Es wird angeführt, dass man auch in ganz Vorarlberg auf etwa den gleichen Menschenschlag nach seiner Art und seiner Mentalität treffe, wobei man besonders darauf hinweist, dass die alemannische Art des Vorarlbergers dafür verantwortlich zu machen sei, dass sein Wesen anders sei als das aller anderen Österreicher.

Ein Vorarlberger könne sich innerhalb seines Landes überall wohlfühlen – obgleich er selbstverständlich auch hier spezielle Vorlieben hat –, aber er könne sich sonst nirgends wirklich zu Hause fühlen. Auf Grund der spezifischen Eigenart, die er nur in Vorarlberg überall antrifft, sei es ihm unmöglich, außerhalb Vorarlbergs wirklich zufrieden zu leben.

Als ein weiterer Grund für die besondere Heimatbeziehung und das spezifische Zusammengehörigkeitsgefühl der Vorarlberger wird auch angeführt, dass Vorarlberg zwar persönliche spezifische Problematiken in bestimmten Gegenden interessieren und am Herzen liegen, dass aber darüber hinaus die Landesinteressen, die Probleme anderer Landesteile doch immer bewusst sind und von allen Vorarlbergern miterlebt werden. Ein Vorarlberger wisse auch, dass er sich unbedingt auf den anderen verlassen könne, die Bewohner dieses Bundeslandes werden immer zusammenstehen, wenn es wirklich darauf ankommt.

Nur eine relativ kleine Gruppe umschreibt den Begriff „Heimat“ etwas enger und versteht als Heimat nur kleinere Teile von Vorarlberg. Das Bundesland als Ganzes wird aber auch hier nicht wirklich ausgeklammert, es kommen bei dieser Gruppe nur die Intimheimatgefühle stärker zur Geltung, was besonders bei Landwirten häufig anzutreffen ist. Der eigene Besitz, das eigene Haus, der Hof, die Ahnen, die auch schon auf diesem Hof wohnten, sind die Bezugspunkte, mit denen das Heimatgefühl beschrieben wird. Aber abgesehen von diesem kleineren Bezirk sieht auch diese Gruppe immer das ganze Bundesland als ureigenstes Heimatland an, das als Ganzes interessiert.

Eine dritte Gruppe denkt im Zusammenhang mit dem Begriff Heimat an ganz Österreich, wobei diese Gruppe allerdings relativ klein ist. Es handelt sich auch eher um eine rationale Auseinandersetzung mit dem Heimatbegriff, wobei man als Bezugspunkt meist das Ausland wählt. Wenn man sich im Ausland aufhält, dann erlebe man sich doch nicht in erster Linie als Vorarlberger, sondern als Österreicher. Politische und wirtschaftliche Überlegungen meist recht rationaler Art bestimmen diese Art von Heimatbegriff.
Nur ganz selten zeigt sich eine gewisse Opposition gegen eine als übertrieben erlebte Heimatbeziehung der eigenen Landsleute. Diese ganz kleine Gruppe tendiert dazu, sich über ein als traditionalistisch und lokalpatriotisch erlebtes Denken hinaus zu erheben und möchte eher als Bürger eines Gesamtstaates angesehen werden mit einem weiteren Horizont, als er den eigenen Landsleuten zugeschrieben wird.

Abgesehen von der Tatsache, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl im eigenen Bundesland am höchsten eingeschätzt wird, zeigt sich eine deutliche West-Ost-Tendenz. Die Bewohner der westlichen Bundesländer halten nach Meinung der Vorarlberger Bevölkerung viel enger zusammen als die Bewohner der südlichen oder gar der östlichen Bundesländer.

Diese Ansicht über das Zusammengehörigkeitsgefühl in den einzelnen Bundesländern wird – wie andere Untersuchungen gezeigt haben – im Allgemeinen auch von den Bewohnern anderer Bundesländer geteilt. Auch die Bewohner östlicher Bundesländer – mit Ausnahme des Burgenlandes – beurteilen das Zusammengehörigkeitsgefühl in ihren eigenen Ländern schlechter als jenes in den westlichen Bundesländern.

Eine weitere Bestätigung für die so charakteristische Gesamtbeziehung zum Bundesland erhält man, wenn man den Versuch macht, sich von Vorarlbergern einen typischen Bewohner dieses Bundeslandes schildern zu lassen. Während es Bewohnern mancher anderer Bundesländer sehr große Schwierigkeiten bereitet, eine einheitliche Figur zu schildern, die als typisch angesehen werden könnte, ist dies den Vorarlbergern äußerst leicht möglich.

In Übereinstimmung mit der ausgeprägten Heimatbeziehung hat man keinerlei Schwierigkeiten, ein Selbstbild zu entwickeln. Im Vordergrund des Selbstbildes stehen die Eigenschaften Fleiß, Arbeitsamkeit und Sparsamkeit. Der Vorarlberger sieht sich selbst als einen Arbeitsmenschen, der ganz bestimmte Ziele intensiv verfolgt und alle Freuden hintan stellt. Der Vorarlberger will primär für seine Familie etwas schaffen, etwas, was ihm persönlich gehört, wo er von anderen unabhängig und ein freier Herr ist. Schon in dieser Haltung zeigt sich der starke Individualismus, den sich der Vorarlberger selbst in hohem Maße zuschreibt.

Es ist dem Vorarlberger äußerst wichtig, etwas zu besitzen und etwas darzustellen. Er ist auch durch ein relativ stark ausgeprägtes Statusdenken charakterisiert. So ist es ihm wichtig, jene Werte auch zu besitzen, über die vielleicht sein Nachbar verfügt, mit dem er sich gleichwertig einschätzt. Tendenzmäßig schreibt sich der Vorarlberger manchmal zu, dass er auch ganz gerne mit seinem Besitz angibt. Man solle ruhig merken, dass er Erfolg gehabt habe und es durch Fleiß und Sparsamkeit zu etwas gebracht hat.
Entsprechend dem recht ausgeprägten Individualismus sieht sich der Vorarlberger häufig als eher kontaktarm und nicht allzu gesellig. Er beschreibt sich durchaus nicht als extrovertierten Menschen. Es fehle ihm vielleicht, so meint er etwas bedauernd, die freundliche, spontane Herzenswärme. Er sei misstrauisch gegen alles Fremde, etwas kälter, rationaler, sachlicher und nüchterner. Manchmal sei er vielleicht etwas stur, eigenwillig und auch verschlossen. Begeisterungsfähigkeit charakterisiere ihn keinesfalls. Er wäge die Dinge nüchtern ab und lasse sich nicht von Emotionen leiten.

Der Vorarlberger sei Realist, der alles abwägend beurteile. Er sei dabei auch durchaus auf seinen Vorteil bedacht und könne in der Verfolgung seiner Vorteile recht hart sein.

Wenn man den Vorarlberger auch als verschlossen ansieht, so hält man ihn doch nicht für wirklich ungesellig. Bis zu einem gewissen Grade sei auch der Vorarlberger an Geselligkeit interessiert, aber doch nur im Rahmen eines eher kleinen Bekanntenkreises. Es dauere sehr lange, bis er sich an irgendjemanden anschließe, dann allerdings halte eine solche Beziehung auf sehr lange Zeit.

Während sich der Vorarlberger also im zwischenmenschlichen Kontakt eher als Individualist und Eigenbrötler sieht, betont er sehr stark das Zusammenrücken der gesamten Vorarlberger Bevölkerung gegenüber allen Außenstehenden. Dann wird das Land als Ganzes in gewissem Sinne zu einem eigenbrötlerischen Individualisten.

So sehr sich der Vorarlberger also als ichzentriert erlebt, so sehr hat er doch auch den Eindruck, dass er am politischen Geschehen des Landes äußerst stark interessiert ist. Er bezeichnet sich als aufgeschlossen, aber doch an der Tradition hängend. Er pflege übernommene Werte und altes Brauchtum und habe daher immer Schwierigkeiten, Neuerungen sofort zu übernehmen. Hier finden sich allerdings deutliche Unterschiede in den Reaktionen der Bewohner des Oberlandes und des Unterlandes.

Die Familie steht für den Vorarlberger bei der Entwicklung des Auto-Stereotyps sehr stark im Zentrum. Er beschreibt seine Familienbeziehung in einer ziemlich patriarchalischen Weise. Es handle sich um Großfamilien mit einer relativ strengen Hierarchie.
Besonders differenzierte Interessen zeichnen den Vorarlberger in seinem Selbstbild keinesfalls aus. Am ehesten ist er noch am Sport, und hier vor allem an Ski-, Bergsport und Fußball interessiert. Kulturelle Interessen zeichnen ihn kaum aus. Eher als am Theater sei er noch an Musik interessiert, wobei in erster Linie Volksmusik im Zentrum des Interesses steht.

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