Andreas Unterberger

73, ist Kolumnist und schreibt seit sieben Jahren unter www.andreas-unterberger.at Österreichs meistgelesenen Internet-Blog. Er ist Jurist und hat zehn Jahre an der Universität Wien Politikwissenschaft vorgetragen. Er war 20 Jahre Außenpolitik-Journalist und 14 Jahre Chefredakteur von „Presse“ und „Wiener Zeitung“. Sein jüngstes Buch heißt „Schafft die Politik ab“.

Die terminale Krise der Sozialdemokratie

Februar 2017

Wohl noch nie in der Geschichte ist eine mächtige Bewegung so rasch in die Bedeutungslosigkeit zurückgesunken, wie es derzeit weltweit der Sozialdemokratie passiert. Das Ergebnis der französischen Partei-Vorwahlen ist der jüngste Puzzlestein in diesem Bild, zu dem genauso die amerikanischen Wahlen wie auch die Entwicklungen in Deutschland oder Großbritannien gehören. Um nur die größten Länder zu nennen. Die Liste der Ursachen ist lang und füllt Bücher. Sie reicht von der bei den Sozialdemokraten liegenden Hauptverantwortung für die Asylkatastrophe über die Schuldenmacherei, Gratis-Wohlfahrtsstaat-für-Alle-Illusion und leistungsfeindlichen Schulpolitik bis zur Genderei. Grundeinkommen für Alle, auch wenn sie nicht arbeiten. Jeder Anspruch soll erfüllt werden. Abtreibung und Schwulenehe als zentrale gesellschaftliche Werte. Political Correctness. Datenschutz statt Schutz vor Verbrechern. Und vieles andere mehr, was schlecht und teuer ist.

Jetzt aber präsentieren die lange geduldig zuschauenden, sich aber inzwischen betrogen fühlenden Wähler den Genossen Schlag auf Schlag die Rechnung.

Seit Ausbruch der Doppelkrise Wirtschaft und Asyl wenden sich die Wähler in Massen von dem zusammenbrechenden Konstrukt namens Sozialdemokratie ab. Das heißt freilich nicht, dass die Konservativen oder die Liberalen die großen Sieger wären. Das sind viel eher jene Bewegungen, die unter der groben Sammelbezeichnung Rechtspopulisten zusammengefasst werden.

Manche werden nun meinen, dass doch die Massendemonstrationen der amerikanischen Demokraten gegen Donald Trump ein Gegenbeweis zur These von der Existenzkrise der Linken wären. Das ist aber ein geradezu lächerliches Argument, als ob in der Demokratie entscheiden würde, wie viele Menschen an einer Kundgebung teilnehmen, und nicht das Wahlergebnis. Es war zwar absurd, dass sich Trump am ersten Amtstag auf eine wilde Polemik mit den Medien eingelassen hat, wie viele Zuhörer denn bei ihm und wie viele einst bei Obama versammelt gewesen waren. Genauso absurd war aber auch die Tatsache, dass etwa der ORF die Spitzenmeldung seiner Hauptnachrichtensendung einer wilden Gegenpolemik zu diesen Aussagen Trumps gewidmet hat.

Nun könnte man einwenden, dass Donald Trump zwar die meisten Wahlmänner, aber deutlich weniger Wählerstimmen gewonnen hat. Aber auch dieses Argument geht in die Irre. Denn erstens sind in den USA die Spielregeln absolut klar gewesen. Und zweitens haben Republikaner in den klar demokratischen Bundestaaten kaum die Mühe eines Weges in die Wahlstationen auf sich genommen.

Es war und ist immer klar, dass die Linke gerne auf die Straße geht, während bürgerliche, gemäßigte Menschen in Amerika wie in Europa davon eher angewidert sind. Außerdem sind die Demonstrationen der US-Demokraten mehr ein Zeichen der Verzweiflung als der Stärke. Und ebenso ist eindeutig, dass die US-Demokraten, also die dortigen Sozialdemokraten, sowohl im Senat wie auch im Repräsentantenhaus wie bei den Gouverneuren wie bei der Zahl der regionalen Repräsentanten in den letzten Jahren klar im Hintertreffen sind. Das ist nur durch den recht charismatischen, wenn auch politisch erfolgsarmen Barack Obama übertüncht worden.

Im Grund denkt jeder, der das Match für relevant hält, wie viele Menschen wofür auf die Straße gehen, zutiefst undemokratisch. Wer einen geordneten demokratischen Rechtsstaat will, kann das niemals für wesentlich halten. Ganz abgesehen davon, dass es mehr als eigenartig ist, dass sich besonders feministische Organisationen jetzt in den USA als Kundgebungsorganisatoren betätigt haben. Denn diese Organisationen sind der Tatsache gegenüber komplett untätig geblieben, dass die Bedrohung, Demütigung und Entrechtung von Frauen durch den radikalisierten Islam immer ärger geworden ist und heute die schlimmste globale Attacke auf Frauenrechte darstellt. Aber wegen ein paar geschmackloser Sager von Trump gehen sie demonstrieren ...

Werden nicht die Demokraten irgendwann eine echte Renaissance erleben, wenn die Amerikaner der oft wenig intelligenten Trump-Sprüche überdrüssig geworden sind? Mag sein. Aber genauso möglich ist, dass die aggressiven Trump-Sprüche durchaus auch Erfolg haben: Die von ihm mehrfach attackierten Mexikaner geben sich derzeit jedenfalls erstaunlich kleinlaut; und etliche große Industriekonzerne tun jetzt zumindest so, als ob sie Trumps wegen Auslandsinvestitionen in die USA zurückholen. Vielleicht ist Politik doch so, wie es sich der kleine Mann vorstellt.

Aber noch etwas Drittes ist in den USA möglich, dass das Duell der Zukunft ähnlich wie in einigen europäischen Staaten zu einem Duell innerhalb der Rechten wird. Das würde bedeuten: Trumps Kleine-Leute-Populismus vs. den traditionellen republikanischen Liberalkonservativismus vs. der religiösen Rechten. Diese zwei letztgenannten Gruppen haben derzeit nur keinen attraktiven Spitzenmann. Im Gegensatz zu den französischen Konservativen. Freilich spricht gegen ein solches Szenario das US-Mehrheitswahlrecht, das die Rechte zur Gemeinschaftskandidatur zwingt.

Aber zurück zur Sozialdemokratie. Sie ist – derzeit? – überall auf dem absteigenden Ast. Verbraucht, erschöpft, orientierungslos. Ähnlich wie es heute auf der Rechten die einstige Christdemokratie ist. In manchen Ländern – Italien, Griechenland – sind die einstigen Sozialdemokraten überhaupt verschwunden. Und das derzeitige Aufflammen einer extremen Linken in Griechenland dürfte nicht nachhaltig sein.

Fast nirgendwo haben Sozialdemokraten heute noch Wahl- oder Umfragewerte von über 30 Prozent. In Deutschland können sie nicht von der Krise Angela Merkels profitieren. Und in Österreich sind sie überhaupt auf das Niveau eines Showmasters abgesunken, der den Menschen alles und jedes bis hin zum Gratis-Führerschein verspricht, ohne auch nur eine einzige seriöse Idee zur Finanzierung außer noch mehr Steuern vorzulegen. Und die Wiener Partei – das einstige Kraftzentrum der SPÖ – ist nicht nur bei allen Umfragen weit an die zweite Stelle hinter der FPÖ zurückgefallen; sie ist auch total zerstritten: Die beiden Parteiflügel sind heillos ineinander verkrallt wie zwei Sumoringer, die weder vor noch zurück können.

Fast schade um eine Bewegung, die einst auch durchaus einige sehr positive Persönlichkeiten hervorgebracht hat. Man denke etwa an einen Helmut Schmidt, der mit Sachverstand sowohl verantwortungsvolle Wirtschafts- wie Außenpolitik betrieben hat. Tony Blair war zumindest in etlichen Bereichen – insbesondere weil er den Thatcher-Kurs fortgesetzt hat – eine positive Erscheinung. Auch die schwedische Sozialdemokratie in jüngerer Zeit ist zu nennen, die sowohl mit einer neoliberalen Wirtschaftspolitik wie mit einer totalen Abkehr von ihrer früheren wahnwitzigen Immigrationsförderungspolitik zeigt, dass sie Mut und Vernunftpotential hat und dass sie das Land wieder aus der (freilich von den Sozialdemokraten selbst verschuldeten) Krise herausführen hat können. In Österreich fallen einem seit Adolf Schärf freilich kaum Namen ein.

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