Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Trump wird Obamas Vermächtnis zerstören“

März 2017

Heinz Gärtner (65), Professor für Politikwissenschaft und vormals Direktor des Österreichischen Instituts für Internationale Politik, sieht im Interview mit „Thema Vorarlberg“ Parallelen zwischen Donald Trump und Joseph McCarthy, der mit seiner Kommunistenhatz in den 1950er-Jahren in den USA ein Klima wachsender Verunsicherung geschaffen hatte. „Trump“, sagt Gärtner, „hat durchaus autoritäre Züge“. Und außenpolitisch? Ist Trump der erste US-Präsident seit 1945, der die von den Amerikanern geschaffene Weltordnung infrage stellt.

Ist mit Trump eine Zeitenwende angebrochen, an deren Ende eine neue Weltordnung stehen wird?

Ja. Trump wird ein neues Bild Amerikas prägen, das sich gravierend von dem unterscheidet, das wir bis dato kannten. Mit Trump wird sich auch die Vorstellung ändern, dass die USA Träger einer liberalen Weltordnung sind. Obama orientierte sich an der Macht des Vorbildes, Trump orientiert sich dagegen an dem Vorbild der Macht – und erinnert in seinem Populismus stark an den früheren Präsidenten Andrew Jackson*, der das Bild der USA im 19. Jahrhundert verändert hatte.

Und was wird das neue Bild der USA sein?

Trump wird ein radikaler Rückzugspräsident sein, der seine Prämisse ‚America first‘ durchsetzen will, mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen. Innenpolitisch wird er das mit sehr autoritären Zügen erreichen wollen, außenpolitisch ist die Situation vielschichtiger: Einerseits sagt Trump, er wolle keine Risiken mehr eingehen und sich nicht in Konflikte einmischen, die Amerika nichts angingen, er wolle kein ‚nation-building‘ mehr betreiben; andererseits will er den IS zerschlagen und das Öl im Irak sichern. Wobei Letzteres, nebenbei bemerkt, ein katastrophales Bild der USA entwerfen würde, wenn US-Soldaten im Irak dezidiert nur mehr das Öl sichern wollten und ausdrücklich an nichts anderem mehr interessiert wären. Fest steht aber, dass der Multilateralismus der Obama-Zeit definitiv vorbei sein wird. Trump wird Obamas Vermächtnis zerstören.

Inwiefern?

Obama hatte globale Prioritäten. Er hat multilateral gehandelt, wann immer es möglich war und unilateral nur, wenn nötig. Bei Trump ist das genau umgekehrt. Unter ihm werden die internationalen Organisationen immer weniger zählen, das betrifft die Vereinten Nationen, die Europäische Union, die multilateralen Freihandelsabkommen genauso wie das Pariser Klimaabkommen. Und was ich für sehr gefährlich hielte – es ist ja noch in der Schwebe: Wenn Trump tatsächlich das Nuklearabkommen mit dem Iran kündigen würde, indem er so lange mit verschärften Sanktionen provoziert, bis der Iran selbst aus dem Abkommen aussteigt. Wäre dies der Fall, würde die Kriegsgefahr im Nahen Osten rapide steigen. Eine solche Eskalation würde die USA in den Konflikt involvieren; doch das ist eine Konsequenz, die Trump gar nicht voraussieht.

Ergo wird Trump die Welt destabilisieren.

Unbeabsichtigt könnte das passieren. Es war zwar schon unter Obama zu sehen, dass die USA nicht überall Ordnung schaffen können, selbst wenn sie das wollen; der mittlere Osten richtet sich nicht mehr nach dem Willen der USA, Ostasien auch nicht. Aber die USA waren doch für bestimmte Staaten Garant einer gewissen Stabilität. Man hat sich auf den Nuklearschirm der USA verlassen, auf die stationierten Truppen in Europa und in Ostasien. Und wenn sich die USA jetzt radikal zurückziehen, könnten bestimmte Staaten das auch ausnützen, könnten versuchen, anstelle der USA neue Ordnungsmacht in gewissen Regionen der Welt zu werden.

Trump ist an einem schwachen Europa interessiert. Warum?

Weil es ganz seinem Denken entspricht. Weil er glaubt, dass die USA immer und prinzipiell am stärkeren Ast sitzen, wenn sie mit einzelnen Staaten verhandeln, mit London, Berlin, Paris, Moskau, Peking. Und dafür ist eben die Europäische Union nicht geeignet. Denn Verhandlungen mit den einzelnen EU-Mitgliedstaaten sind nur politisch, nicht aber wirtschaftlich möglich – die einzelnen Staaten, mit Ausnahme von Großbritannien, können keine bilateralen Verträge mit den USA abschließen. Trump weiß das, und hat den Deutschen trotzdem schon Strafzölle angekündigt, wegen des deutschen Exportüberschusses. Die Welthandelsorganisation könnte das regeln. Aber Trump sagt, daran werde er sich nicht halten, weil die Welthandelsorganisation ja eben auch eine multilaterale Organisation ist. Seine Verhandlungen richtet Trump nach dem Prinzip der „relative games“: Von einem Abkommen sollen zwar alle etwas haben, man selbst aber am meisten. So denkt Trump: Die USA müssten stets am meisten bekommen, mehr als alle anderen. Nur werden sich das weder Putin noch Xi Jinping auf Dauer gefallen lassen; deswegen wird es da möglicherweise auch zu neuen Konfliktebenen führen, mit Russland und mit China.

Apropos. Stephen Bannon, Trumps Wahlkampfmanager und jetziger politischer Chefstratege im Weißen Haus, hat schon vor Monaten prophezeit: „Wir werden in fünf bis zehn Jahren einen Krieg im südchinesischen Meer führen.“

Dass Handelsdifferenzen unbedingt zu militärischen Konflikten führen müssen, ist eine alte marxistische Vorstellung, die immer wieder auftaucht. Bereits in den 1980er-Jahren, als Japan einen rasanten Aufstieg erlebte, war das so. Damals schon sprach man vom kommenden Krieg mit Japan, und jetzt ist es wieder so, diesmal mit China. Peter Navarro, Trumps neu installierter Handelsberater, hat mit „Death by China“ ein entsprechendes Buch geschrieben. Natürlich zeugt das von einer gewissen konfrontativen Haltung. Sollten die Spannungen zwischen den USA und China weiter eskalieren, könnte man nicht ausschließen, dass es im Pazifik zu einer gefährlichen Situation kommt. Ich persönlich glaube das aber nicht. Die beiden Staaten sind intensiv miteinander verflochten, beide Seiten müssten ein hohes Interesse daran haben, zumindest eine gewisse Stabilität aufrechtzuerhalten.

Ist Trump die Personifizierung der US-amerikanischen Überheblichkeit?

Da würde ich aufpassen bei der Antwort, weil Amerika natürlich vieles ist. Trump repräsentiert nicht die Überheblichkeit, Trump repräsentiert einen Teil der US-amerikanischen Schwäche – die Wählerschaft, die sich schwach und ausgegrenzt fühlt, ist seine Klientel. Die Arbeiter in Michigan, in Wisconsin, in Ohio, die in schwachen Industrien arbeiten. Während die großen international operierenden Industrien, vor allem der High-Tech-Bereich im Silicon Valley, Trump ja gar nicht wollen. Es sind nicht die Starken, die Trump wollten; es waren die Schwachen. Und dem Vorwurf einer umfassenden US-amerikanischen Überheblichkeit muss auch entgegengehalten werden, dass sich die Zivilgesellschaft in den USA jetzt sehr, sehr rührt. Das ist die andere Seite Amerikas.

Die inneramerikanischen Proteste gegen Trump nehmen jedenfalls weiter zu ...

Ja. Die Zivilgesellschaft lebt. Auch wenn Republikaner versuchen, diese Demonstrationen ins linksextreme Eck zu rücken, wie das einst ja auch bei der Anti-Vietnamkriegs-Bewegung der Fall war. Das war damals Unsinn und ist heute Unsinn, dieses Mantra der Republikaner. Aber klar, sie versuchen Trump ins Zentrum zu rücken, indem sie sagen, die Demokraten seien klar nach links gerückt. Nur ist Trump nicht Zentrum, will es auch gar nicht sein. Im Übrigen ist das Zentrum in den USA im Laufe der Jahre sukzessive kleiner geworden, die Lager aber sind gewachsen: Vor 15 Jahren waren es 30 Prozent der Wähler, sowohl bei den Demokraten als auch den Republikanern, die erklärt hatten, sie seien unbedingt konservativ oder unbedingt liberal. Jetzt nennen sich rund 60 Prozent der US-amerikanischen Wähler selbst entweder extrem liberal, sprich demokratisch oder extrem konservativ, sprich republikanisch. Daran ist übrigens Hillary Clinton gescheitert: Sie hat versucht, im Zentrum zu punkten, während Trump einen klaren Lagerwahlkampf geführt hat. Ihm war das Zentrum egal, und die Liberalen wollte er sowieso nie bedienen. Ganz im Gegenteil, sie lieferten und liefern ihm Futter für seine Argumente: Schaut’s, das ist Hollywood, das sind Links-Radikale, das ist nicht das Amerika, das wir haben wollen, das ist nicht das weiße, gute Amerika.

Was ist Trump?

Eine überhebliche Person – mit einem autoritären Charakter. In seiner Antrittsrede hat er faktisch gesagt, dass Parteien, Administrationen, Regierungen nichts zählen würden, nur das Volk zähle – nur sein Volk, nicht das andere. Das hatten in der Vergangenheit nur Diktatoren gesagt, auch in den 1930er-Jahren. Er weitet aus, geht bis an die Grenzen des Möglichen, beschimpft Richter, entlässt die stellvertretende Justizministerin, stellt die dritte Säule der Gewaltentrennung, die Justiz, infrage. Trump attackiert kritische Medien. Noch hält die Verfassung, noch gilt das Prinzip der „Checks and Balances“ – aber die US-amerikanische Demokratie ist unter Trump sehr unter Druck geraten.

Wer steuert Trump?

Er sich selbst. Er hat ja schon im Wahlkampf gesagt, er selbst sei sein bester Berater. Und er hat sich Leute geholt, die ihm gegenüber loyal sind, ob das nun Generäle, Millionäre oder Familienmitglieder sind. Wer etwas sagt, was Trump nicht hören will, wird ausgewechselt oder eingeschüchtert. Er ist dabei, eine Art Loyal-Demokratie zu errichten. Trump sagt, was zu tun ist, seine Leute setzen das um, ohne eigene Meinung, ohne Nachfrage. Und ich befürchte, dass durch all diese Maßnahmen, die Trump setzt, ein neuer Anti-Amerikanismus in der Welt entsteht ...

Zwangsläufig.

Antiamerikanische Gruppierungen werden das ausnützen, das ist gefährlich. Aber dieser neue Anti-Amerikanismus ist eigentlich ein Anti-Trumpismus. Man muss zwingend einen Unterschied machen zwischen Trump und den USA. Denn Amerika ist nicht identisch mit Trump. Es gibt viele unterschiedliche Strömungen in den USA. Man hat auch gesehen, dass das liberale Amerika nicht tot ist. Das liberale Amerika lebt schon noch. Die US-amerikanische Zivilgesellschaft ist relativ stark.

Sie schreiben in einem aktuellen Fach-Artikel, dass sie Trump an die Ära von Senator McCarthy erinnert, an dessen Hatz gegen unamerikanische Umtriebe in den 1950er-Jahren. Inwiefern?

McCarthy hatte unter dem Vorwand angeblicher kommunistischer Unterwanderung dieses ‚Komitee gegen unamerikanische Umtriebe‘ eingesetzt. McCarthy stellte alles, was er als unamerikanisch erachtete, als kommunistisch dar. Es kam zu Anhörungen, zehntausende Staatsangestellte wurden entlassen oder sind von selbst gegangen, es kam zur öffentlichen Bloßstellung vieler US-Amerikaner, auch vieler Prominenter, in einem Klima allgemeiner, wachsender Verunsicherung. Was Trump macht, erinnert sehr stark an diese Zeit. Er ordnet alles seiner Prämisse „America first‘ unter; alles, was fremd ist, ist schlecht – das trifft Moslems und Mexikaner –, extreme Überwachung, zunehmende Polizeidurchsuchungen, beschleunigte Abschiebungen sind die Folge. Es gibt allerdings zwei gravierende Unterschiede: McCarthy war nur ein Senator. Trump ist Präsident. Und war McCarthys Vorgehen vor allem politisch bestimmt, hat es bei Trump diesen ethnisch-religiösen Hintergrund, den angeblichen Kampf des weißen Amerikas gegen Moslems. Ich halte das für sehr gefährlich.

Inwieweit können Senat und Kongress Trump Grenzen setzen?

Beide Häuser sind republikanisch dominiert. Und ich glaube nicht, dass sich die Republikaner dort sehr stark gegen Trump wenden werden. Es wird weiterhin einzelne kritische Stimmen geben, von etablierten Senatoren wie beispielsweise von John McCain, aber das ist keine wirklich organisierte Opposition. Denn zum einen wollen republikanische Politiker ihre Macht erhalten, zum anderen ist ja vieles, von dem, was Trump will – die Abschaffung von Obama-Care, Steuersenkungen, eine Aufkündigung des Iranabkommens und eine radikale Änderung der Klimapolitik – auch Position der meisten Republikaner. Zudem wird Trump alle, die ihn kritisieren, öffentlich bloßstellen. Ich glaube also nicht, dass der Kongress Trump Grenzen setzen wird. Der Präsident nutzt die ihm offenstehende Möglichkeit, mit Dekreten und Erlässen zu regieren, innenpolitisch kann er dabei sehr viel bewegen, muss mit den meisten Dekreten auch gar nicht vor den Kongress. Nur die Bundesrichter sind im Moment noch wirklich unabhängig. Noch! Denn Trump könnte mit der Entsendung ihm höriger Leute auch den Obersten Gerichtshof entsprechend steuern; könnte von „seinen“ Richtern erwarten, dass sie in gesellschaftlichen Fragen auf seiner Seite sind. Es gibt also noch Grenzen. Aber die Grenzen werden ausgeweitet.

Sie haben diverse Präsidenten wissenschaftlich begleitet, auch historisch gesehen. Was unterscheidet Trump von all seinen Vorgängern?

Trump nimmt eine isolationistische Position ein, die die meisten Präsidenten nach 1945 nicht eingenommen haben. Es hat Rückzugspräsidenten gegeben, die aus Kriegen raus wollten, von Eisenhower bis Obama. Das waren allerdings allesamt keine Isolationisten, wie Trump einer ist. Und Trump hat sehr autoritäre Züge. Auch das unterscheidet ihn von allen anderen Präsidenten nach 1945. Denn die sahen sich allesamt der liberalen Weltordnung und der US-amerikanischen Verfassung einhundertprozentig verpflichtet. Trump stellt die Verfassung zwar nicht infrage, legt sie aber zumindest sehr weit aus. Und von einer liberalen Weltordnung will er schon gar nichts wissen. Das liberale Amerika war ein Image, das ab 1945, von Roosevelt an, jeder US-Präsident vertreten hat; die Amerikaner haben die Weltordnung aufgebaut, auch mit all ihren Organisationen. Trump ist der erste Präsident nach 1945, der all das infrage stellt.

Vielen Dank für das Gespräch!

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