Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Vom Aufpasser zum Anpasser

Februar 2017

Uwe Krüger (38), Medienwissenschaftler an der Universität Leipzig, übt in seinem aktuellen Buch „Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen“ harsche Kritik an den Leitmedien und ihren Protagonisten. Der mediale Mainstream in der Flüchtlingsfrage etwa habe die Spaltung der Gesellschaft verstärkt: „Die Berichterstattung hat die eine Hälfte der Bevölkerung abgeholt, die andere aber abgestoßen. Denn deren Ängste wurden im medialen Mainstream zeitweise völlig ignoriert.“ Krüger im Interview mit „Thema Vorarlberg“ über Journalisten, die sich in Volkspädagogik üben, über die „Lückenpresse“ – und einen möglichen Weg, wie etablierte Medien Vertrauen zurückgewinnen könnten.

Sie schreiben in Ihrem aktuellen Buch „Mainstream“, dass sich die Sichtweise der Bürger und der Medien immer mehr entkoppelt. An welchen Themen ist das zu sehen?

Da wären vor allem die Flüchtlingsfrage und zuvor der Ukraine-Russland-Konflikt zu nennen, bei denen sich große Teile der Bevölkerung in der Berichterstattung nicht wiedergefunden haben. Umfragen während der Krim-Annexion haben gezeigt, dass die Hälfte der Bevölkerung eine mittlere Position zwischen den beiden Konfliktparteien hatte, während die Berichterstattung der deutschen Leitmedien sehr russlandkritisch und stark westzentrisch war. Und in der Flüchtlingsfrage, als im Herbst 2015 die deutschen – und österreichischen – Grenzen geöffnet wurden, kontrastierte die von den Medien beschriebene Willkommenskultur ebenfalls stark mit dem tatsächlichen Empfinden der Hälfte der Bevölkerung. Auch das haben Umfragen gezeigt. Diese Berichterstattung in der Flüchtlingsfrage hat die eine Hälfte der Bevölkerung abgeholt, die andere aber abgestoßen. Denn deren Ängste wurden im medialen Mainstream zeitweise völlig ignoriert.

Dort wurde pauschal die Willkommens­kultur gepriesen?

Ja. Und das teilweise in einer Art, die viele Menschen misstrauisch gemacht hat. Es gab ein paar extreme Beispiele, etwa in den ARD-Tagesthemen gar so etwas wie eine Art Werbeclip. Offiziell als normaler Nachrichtenbeitrag anmoderiert, hielten prominente deutsche Künstler und Schauspieler Moralpredigten, dass wir unsere Herzen gegenüber den Flüchtlingen zu öffnen hätten. Übergangen wurde in den großen Leitmedien dabei die Tatsache, dass sich eben viele Menschen wegen der Politik der offenen Grenzen nicht freuten – sondern um die innere Sicherheit, diese elementare staatliche Aufgabe, immens sorgten, auch um die Verteilung von Ressourcen und um ihre eigene kulturelle Identität. Erst die Silvesternacht von Köln wurde zum Schlüsselereignis, der den Mainstream wieder in eine andere Richtung gelenkt hat, dann kamen auch Nachteile und Gefahren von Immigration mit aufs Tableau der Leitmedien. Doch zuvor hatten Deutschlands führende Medien – offenbar auch österreichische – ausschließlich danach getrachtet, Einvernehmen zwischen Merkels Politik der offenen Grenzen und der Bevölkerung herzustellen.

Je stärker die Bedürfnisse weiter Bevölkerungsteile medial aber nicht berücksichtigt werden, umso stärker werden dort Medien kollektiv als „Lügenpresse“ verunglimpft.

Ja. Wobei es die Lügenpresse nicht gibt. Hinter dem Wort steckt der Vorwurf, es gebe eine gleichgeschaltete Berichterstattung und die sei auf eine Verschwörung zwischen Medien und Politik-Eliten zurückzuführen. Als gäbe es eine Absprache, eine allumfassende Absprache. Die gibt es natürlich nicht. Das ist hanebüchen.

Ist der Ausdruck „Lückenpresse“ der Bessere?

Die Lückenpresse? Die gibt es in der Tat. Ich habe dieses Wort neulich auf Twitter verwendet und mir damit Kritik einer NDR-Redakteurin eingehandelt. Sie hat mir vorgeworfen, ich würde damit rechte Propaganda wiedergeben, dabei habe ich den Ausdruck benutzt, weil ich das von einem linken Verlag herausgegebene Buch „Lückenpresse“ gelesen und gut gefunden habe. Ich finde den Begriff ganz gut, auch wenn AfD-Vorsitzende Frauke Petry ihn verwendet und ich wirklich kein Fan von Frauke Petry und der AfD bin. Aber der entscheidende Punkt ist, dass Leute Lücken in der Berichterstattung wahrnehmen, ihre Themen, ihre Perspektive und ihre Argumente nicht wiederfinden. Wobei das systemimmanent ist: Medien sind immer Lückenmedien, weil nie alles berichtet werden kann. Entscheidend ist nur die Frage, welche Teile in der Berichterstattung weggelassen werden und woher die dominanten Themen und Narrative kommen. Und darüber hat man einen ernsthaften Diskurs zu führen. Ich glaube, in den letzten Jahren sind sich viele Menschen bewusst geworden, dass die mediale Wirklichkeit kein simpler Spiegel der Welt ist, sondern konstruierte Realität. Und das geht ja auch gar nicht anders. Aber das zu erkennen ist ein Bewusstwerdungsprozess, der viele Menschen auch verunsichert.

Inwiefern?

Früher kam die Wahrheit sozusagen in den Briefkasten, was in der Zeitung stand, war die Welt. Es galt, was in der lokalen Presse oder der überregionalen Zeitung stand oder im Fernsehen gesendet wurde. Man hatte kaum andere Informationsquellen. Heute dagegen sind alternative Informationen jederzeit im Internet abrufbar, der früher mythologisch überhöhte Beruf des Journalisten ist entzaubert worden. Heute ist es transparent geworden, dass über den Nachrichten journalistische und auch weltanschauliche Filter liegen und dass Medien die Welt eben nicht getreu abbilden, sondern lediglich einen Ausschnitt davon. Ich werde oft gefragt, welche objektiven, neutralen Medien ich empfehlen könnte. Und ich muss da immer antworten: Es gibt sie nicht. Alles ist gefiltert.

Um nochmals auf die Flüchtlingsfrage zurückzukommen …

Die Art der Berichterstattung hat die Spaltung der Gesellschaft verstärkt. Dabei wäre es Aufgabe der Medien, für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sorgen.

Und wie könnte das funktionieren?

Indem die etablierten Medien auch die zweite Hälfte der Bevölkerung miteinbeziehen und nicht abqualifizieren und ignorieren, was viele denken und fühlen. Vielmehr müssten auch deren Wahrnehmungen, Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche auf eine ideologiefreie Art und Weise in den öffentlichen Diskurs übernommen und verhandelt werden. Allein das neutrale Abbilden dieser anderen Wahrnehmungen könnte Wut aus den betroffenen Bevölkerungsteilen nehmen und gesamtgesellschaftlichen Sprengstoff reduzieren.

Wer in der Flüchtlingsfrage allerdings eine abweichende Position vertritt, wird pauschal nach rechts gerückt. Das gilt auch für deklariert Konservative. Österreichs Minister Kurz hat vor Kurzem gesagt, er sei in der Sache anfänglich behandelt worden, als sei er ein Faschist.

Kurz kann ich nicht beurteilen. Aber ich nenne ein Beispiel aus Deutschland: Wenn man das Anfang 2015 verfasste Grundsatzpapier von Pegida durchliest, findet man keine offen rassistischen, sondern nur beinhart konservative Positionen. Harald Martenstein hat im „Tagesspiegel“ richtigerweise geschrieben, die Pegida-Positionen ähnelten dem CDU-Programm von 1980. Ein entscheidender Punkt: Was in den 1980er-Jahren noch guter, konservativer „Common Sense“ war, ist heute verpönt, rassistisch, fast schon rechtsextrem. Und die Folge ist, dass Diskurs damit erschwert wird. Aus Angst davor, man könnte Leuten mit der falschen Gesinnung im Diskurs Platz geben, wird nicht wahrgenommen, dass es viele Menschen gibt, die nicht menschenfeindlich sind, Zuwanderung aber mit Sorge sehen – und deren Interessen, Wahrnehmungen und Bedürfnisse sich vom liberalen intellektuellen Milieu deswegen eben deutlich unterscheiden.

Und warum greifen Journalisten diese Argumente der Gegenöffentlichkeit nicht auf – sondern üben sich, wie Sie im Buch feststellen, verstärkt als liberale Volkspädagogen?

Weil sie bei bestimmten krisenhaften Themen oft eine gewisse staatsbürgerliche Verantwortung verspüren. Weil sie sich als Informationselite, als kulturelle Werte-Avantgarde sehen und verstehen. Weil sie dazu neigen, in der Vermittlung ihres Wissens lehrerhaft zu sein. Und weil sie zum großen Teil einem liberal-intellektuellen Milieu angehören, häufig mit Nähe zu grünen Positionen. Und weil sie in aller Regel aus gut abgesicherten Mittelschicht-Familien stammen und Hochschulbildung genossen haben. All dies führt dazu, dass die Deutungshoheit etablierter Medien oftmals vollkommen konträr zu dem steht, was in kleinbürgerlichen und in prekären Milieus vertreten wird. Journalisten haben zu wenig Empathie für einen Teil der Bevölkerung mit anderen Lebenslagen und anderem Wertehintergrund. Einem Journalisten wird, banal gesagt, kein Flüchtling aus Syrien den Job wegnehmen, während in unteren Gesellschaftsschichten die Befürchtung durchaus begründet ist, dass Flüchtlinge ihnen den Job im Niedriglohnsektor oder die staatlich geförderte Wohnung wegnehmen könnten.

In einem Gastbeitrag für „Thema Vorarlberg“ hat der Schweizer Journalist Kurt W. Zimmermann im Zusammenhang mit der US-Wahl kritisiert, dass Journalisten oft zu ängstlich seien, um sich öffentlich zu unterscheiden. Zimmermann schrieb: „Journalisten haben große Mühe, das Gegenteil zu denken – sie trauen sich nur in der kollektiven Geborgenheit der Branche, den Mund weit aufzumachen.“

Das klingt plausibel. Das würden natürlich ganz viele Journalisten abstreiten, weil sie sich anders wahrnehmen und meinen, sie würden sich von der Konkurrenz durchaus unterscheiden. Dabei ist es schon so, dass Differenzen von Journalisten selbst zwar als groß, von Außenstehenden oftmals aber nur als klein empfunden werden. Pierre Bourdieu, ein Soziologe, hat einmal geschrieben: ‚Journalisten verwenden einen Gutteil ihrer Mühe darauf, winzige Unterschiede zu produzieren.‘ Bildlich gesprochen: Wer im Wald steht, sieht einen größeren Abstand zwischen den Bäumen als der, der den Wald von außen betrachtet. Es ist eine Frage der Perspektive.

Und die scheint immer enger zu werden …

Ich habe in meinem Buch auch ein Zitat von Frank-Walter Steinmeier* verwendet. Der sagt: ‚Wenn ich morgens durch den Pressespiegel blättere, habe ich das Gefühl, der Meinungskorridor war schon mal breiter‘. Es ist empirisch belegbar, dass die Meinungsspanne in den großen Medien ungefähr der Meinungsspanne in der politischen Elite entspricht. Wissenschaftler sprechen hier von „Indexing“ – die großen Medien tendieren dazu, den Meinungskorridor in Parlament und Regierung zu „indexieren“, anzuzeigen. Das mediale Meinungsspektrum ist enger geworden, weil sich sowohl die Unterschiede zwischen den Parteien als auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Medien immer stärker verwischen. Zudem haben der ökonomische und der zeitliche Druck auf Journalisten deutlich zugenommen. Noch nie konnten Journalisten ihr Publikum so schnell informieren wie heute, aber noch nie hatten sie so wenig Zeit, Journalismus zu machen.

Hat sich das Selbstverständnis der Journalisten geändert?

Ja. Der Journalist ist heute stärker als je zuvor zu einem Content-Manager geworden. Und dieser Content, dieser Inhalt, speist sich stark aus Public Relations, aus Informations-Ressourcen, die Organisationen, Behörden, Unternehmen und Parteien zur Verfügung stellen. Es gibt natürlich nach wie einzelne große, investigative Rechercheprojekte wie die Panama-Papers. Aber in der Breite ist es stromlinienförmiger geworden, Eliten aus Politik und Wirtschaft werden von Journalisten immer weniger herausgefordert. Journalisten sind vom Aufpasser zum Anpasser geworden. Sie stecken auch in einer berufsbedingten Zwickmühle. Sie sollten die Interessen der Regierten vertreten und gleichzeitig, weil sie Informationen benötigen und auf gute Quellen angewiesen sind, auch nahe an die Regierenden herankommen. Journalisten müssen recherchieren und sich dabei an Informationseliten halten, können es sich mit ihrer Berichterstattung bei den Informationseliten aber nicht verscherzen. Sonst ist man raus aus dem Spiel. Journalismus will und soll unabhängig sein, aber er ist ja mindestens immer abhängig von Informationsquellen. Und deswegen gibt es eine ständige Verbindung ins Eliten-Milieu.

Ihr Buch trägt den Untertitel „Warum wir den Medien nicht mehr trauen“. Wie sähe denn ein Ausweg aus? Was müssten Medien anders machen?

Der einzig mögliche Ausweg besteht aus meiner Sicht darin, dass die großen Medien viel inklusiver werden. Sie müssten weitaus mehr Themen, die in der Gegenöffentlichkeit oder in Alternativ-Medien behandelt werden, in ihre Berichterstattung aufnehmen und ernsthaft verhandeln. Es gibt immer mehr Menschen, die nicht noch mehr Liberalismus und Globalisierung haben wollen. Das ist ernst zu nehmen. Das ist abzubilden, neutral und unideologisch. Ob sie das tun, steht den Medien natürlich frei. Es ist deren eigene Entscheidung. Aber ich bin mir sicher, dass es die einzige Chance der Medien ist, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen – und gleichzeitig ihrem Auftrag gerechter zu werden: gesellschaftlichen Zusammenhalt herzustellen, alle Schichten anzusprechen, möglichst vielen Bürgern Teilhabe am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess zu ermöglichen und Auseinanderstrebendes im Diskurs zusammenzuführen.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Zur Person Uwe Krüger
(Jg. 1978) ist seit 2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft (Abt. Journalistik) der Universität Leipzig. Zuvor studierte er Diplom-Journalistik und Politikwissenschaft, volontierte bei der „Leipziger Volkszeitung“ und war Redakteur des Medien-Fachmagazins „Message“. Für seine Bücher „Meinungsmacht“ (Halem-Verlag 2013) und „Mainstream – Warum wir den Medien nicht mehr trauen“ (Verlag C.H.Beck 2016) bekam er 2016 den Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik der Initiative Nachrichtenaufklärung.

Kommentare

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Perfekt auf den Punkt gebracht, warum Medien (zu Recht) immer mehr Vertrauen verlieren. Gerade im ORF-Fernsehen tritt eine neutrale Betrachtung der Dinge immer mehr in den Hintergrund, an dessen Stelle tritt die persönliche Meinung des Moderators. Und diese ist - leider bei sehr vielen Moderatoren - sehr oft auch sehr einseitig. Im schlimmsten Falle (und es ist für mich kein Wunder, dass das Thema 'Staatsverweigerer' jetzt hochkocht) führt das auch zur Ablehnung des Staates, der für die (politische) Ordnung zuständig sein sollte. Wie lange noch? Der Autor führt auch Wege aus der Misere an und liegt damit mE genau richtig.Allein, mir fehlt der Glaube, dass sich was bessert. Für mich persönlich ist das egal, mein Misstrauen bleibt. Es steht zu befürchten, dass dies junge Menschen leider ähnlich sehen.