Klaus Feldkircher

(geb. 1967) lehrt an der FH Vorarlberg, ist als freier Journalist tätig und betreibt das Kommunikationsbüro althaus7. Als Autor, Texter und Konzepter hat er bereits zahlreiche Sachbücher veröffentlicht. Weiters ist er in der Erwachsenenbildung tätig und lehrt Deutsch und Latein an der Schule Riedenburg/Bregenz.

Wohnbau, quo vadis?

Juli 2023

Architektin Julia Kick bewohnt in Dornbirn in der Nähe des Bahnhofs ein saniertes Wirtschaftsgebäude, einen ehemaligen Stadel, der 1997 unter Denkmalschutz gestellt wurde.

Kick erwarb mit ihrem Partner 2016 das Haus, das sie behutsam zu einer Wohnung mit Atelier adaptierten. Dabei wurde die Struktur von Stall, Tenne und Remise erhalten. Heute beträgt die Wohnfläche inklusive Home­office rund 200 Quadratmeter.
In der Branche ist Julia Kick bekannt als Architektin, die „Bauen im Bestand“ zu ihrem Thema gemacht hat. Der Großteil ihrer Projekte umfasst Sanierungen und auf die Frage, ob sie nicht auch neu baue, meint sie: „Im Moment erstaunlich viel.“ Und fügt hinzu: „Auch nicht schlecht.“ Denn im Vergleich zum „Bauen im Bestand“ sei das viel einfacher. Ihre Begründung: „Beim Neubau zeichnet man etwas und baut es dann tatsächlich.“ Im Bestand sei sie immer am Reagieren.

Architektin als Bauleiterin
Deshalb übernimmt sie bei Projekten im Bestand gerne selbst die Bauleitung: „Sonst zeichnet man ewig, und am Schluss stimmt es dann erst wieder nicht. Deshalb bin ich lieber selbst auf der Baustelle. So kann ich schneller und besser auf alle Eventualitäten reagieren.“
Ihre Devise: „Die Kunst beim Bauen im Bestand ist, so wenig wie möglich zu sanieren.“ Was sie damit meint? „Wenn man etwas angreift, kommt immer etwas Neues dazu. Die größte Herausforderung ist, möglichst wenig zu verändern.“
Und genau hier liegt – laut Kick – die Krux des Sanierens. Das „Totschlargument“, Sanieren sei teurer als Bauen, möchte sie nicht gelten lassen. Denn: Es komme immer darauf an, wie man die Sache angehe. „Wenn ich aus einem alten Haus ein neues mache, kann das ins Unermessliche gehen.“ Und schränkt gleichzeitig ein: „Wer damit leben kann, dass etwas nicht ganz perfekt ist, wird sich wohl fühlen.“ 
Sie stellt folgende Rechnung an: Wenn eine Sanierung gleich viel koste wie ein Neubau, bekomme die Bauherrschaft für das gleiche Geld eben mehr Wohnraum. Denn: „Wo sind heute noch 200 Quadratmeter Wohnfläche mit immensen Raumhöhen möglich?“ Ihr Resümee: mehr Qualität für das gleiche Geld. 
Wichtig sei eben der richtige Zugang. Von „tabula rasa“, also einem Schleifen des Objekts, hält sie nichts: „Kompromisse sind gefragt.“ Als Beispiel führt sie das Thema Trittschall an: „Wenn es das Ziel ist, im Haus nichts mehr zu hören, wird das teuer. Wenn die Bewohnenden aber damit leben können, ist alles im grünen Bereich.“ Schließlich habe das früher auch geklappt, gibt sie sich pragmatisch. Ihre Begeisterung für „Bauen im Bestand“ ist untrennbar mit dem Namen des bekannten Bregenzer Architekten Helmut Kuess verknüpft, bei dem sie während ihres Studiums gejobbt hat. 

Ambivalente Architektin
Ihren Beruf sieht sie ambivalent. „Manchmal habe ich das Gefühl, in der falschen Branche zu sein.“ Sie erklärt das so: „Klimawandel und andere ökologische Themen beschäftigen mich sehr. Wenn ich aber weiß, dass mein Beruf für negative Tendenzen mitverantwortlich ist, sehe ich es als meine Aufgabe, meine Profession bestmöglich umweltverträglich zu gestalten.“ 
Sie ist überzeugt, dass Sanieren viel ressourcenschonender ist. Dabei geht es vor allem, aber nicht nur um das Einsparen von CO2: Beim „Bauen im Bestand“ werden vorhandene Bauteile wiederverwendet, der Boden, auf dem das Haus steht, ist bereits versiegelt. Das Grundstück ist erschlossen, die Infrastruktur schon vorhanden, führt sie aus. Kurzum: Es mache rundum Sinn, zu sanieren.
Doch „Bauen im Bestand“ ist nicht die alleinige Lösung, wendet sie ein. Wichtig sei die Mischung aller uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. So hat sie in einem Artikel für „Holzbau Austria“ kürzlich geschrieben: „An oberster Stelle der umgekehrten Pyramide der Grundsätze der Abfallwirtschaft steht (1.) die Abfallvermeidung, vor (2.) der Vorbereitung zur Wiederverwendung, (3.) dem Recycling, (4.) der sonstigen Verwertung und zuletzt (5.) der Beseitigung. Oberstes Gebot müsste somit die absolute und konsequente Vermeidung des Abbruchs eines Gebäudes und dessen Wiederverwendung sein.“ 
Kollektive Erinnerung
Ein weiterer Faktor, der für „Bauen im Bestand“ spricht, ist die „kollektive Erinnerung“. Als Beispiel für dieses Phänomen führt sie ihr eigenes Haus in Dornbirn an: „Immer wieder kommen Menschen an unserem ehemaligen Stadel auf einen „Schwätz“ vorbei“. Es sei schön, dass das Haus noch stehe, Erinnerungen werden geteilt. So entsteht Kommunikation. „Manchmal werden wir mit der Gartenarbeit kaum fertig“, meint sie schmunzelnd. So wie sie sehen das viele Dornbirner, denn das Objekt, bekannt unter dem Namen „Oeconomiegebäude Josef Weiss“, ist Teil der Stadtgeschichte. Trotzdem sieht sie auch die Notwendigkeit einer vernünftigen Bauverdichtung, um qualitativ hochwertigen Wohnraum für die Allgemeinheit zu schaffen.

Wohnbau, quo vadis?
Gerade im Wohnbau sieht die Architektin Nachholbedarf: „Vorarlberger Architektur ist durchaus zu loben, aber nicht unbedingt im Wohnbau.“ Sie begründet das damit, dass dieser sehr bauträgerlastig sei. Der soziale Wohnbau sei parallel dazu zu kurz gekommen, auch der qualitativ hochwertige dichte Wohnbau. Sie verweist auf die Vergangenheit, wo Vor­arlberger Baukünstler – Wäger, Purin, Cooperative Dornbirn – beim Thema Wohnen für Furore gesorgt haben. „Das war sicher spannender als jetzt.“ 
In Vorarlberg hätten sich Punktbauten durchgesetzt, es gebe hauptsächlich „Schuhschachteln und Würfel“, bei denen man durch Tiefgarage und Lift in die geheiligten vier Wände komme. „Ohne jemandem zu begegnen.“ Gemeinsamer Lebensraum? Fehlanzeige. Jeder besitze ein kleines, privates Gärtlein, es gebe keine Zwischen- und Gemeinschaftsräume und die Problematik mit den Ferienwohnungen tue ihr übriges.
„Die Vorarlberger Schule ist gut und recht. Sie hat vieles geschaffen und große Qualität hervorgebracht, vor allem auch im Zusammenspiel mit den Handwerkern.“ Denn das sei nicht selbstverständlich. Bei uns funktioniere das Miteinander, das gerade bei Sanierungen wichtig sei. Perfektionismus und Kosten würden bei uns aber auf die Spitze getrieben. Und ein solcher Perfektionismus sei beim Sanieren eben nicht möglich. Sie schließt: „Deshalb liebe ich Sanierungen.“
www.holzbauaustria.at

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