Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Aber die Konsequenzen sind ausgeblieben“

Juli 2023

Alexandra Föderl-Schmid (52), stellvertretende Chefredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, spricht im Interview über die problematischen Verflechtungen, die in Österreich zwischen den Medien und der Politik existieren. Die gebürtige Oberösterreicherin sagt unter anderem: „In Deutschland kennt man das Wort ‚Inseratenkorruption‘ nicht einmal.“

Frau Föderl-Schmid, Sie waren „Standard“--Chefredakteurin, sind heute stellvertretende Chefredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, haben also den Vergleich: Was ist der maßgeblichste Unterschied zwischen der österreichischen und der deutschen Politik? 
Die deutsche Politik ist nüchterner, sachorientierter, die Angriffe sind weniger persönlich. Natürlich gibt es in der Ampelkoalition auch Auseinandersetzungen, aktuell etwa um das sogenannte Heizungsgesetz. Aber das Diskussionsniveau ist ein anderes. In Österreichs Politik scheint es nur noch um Personaldebatten zu gehen, mit den wirklich aktuellen Problemen beschäftigt man sich viel zu wenig. Deutschland hat etwa die Abhängigkeit von russischem Gas massiv reduziert. In Österreich stellt man dagegen mit Erstaunen fest, dass man immer noch sehr abhängig ist. Und der nächste Winter kommt bestimmt. 

Sie haben im Österreich-Newsletter der SZ geschrieben: „Regierung und Opposition sollen sich endlich gemeinsam um jene Themen kümmern, die die Menschen nicht nur betreffen, sondern wirklich auch treffen: die Teuerung, die hohen Energiekosten.“ Das wäre in der Tat angebracht. Aber wir reden da von der österreichischen Politik …
Tatsächlich ist in Deutschland einiges anders gelaufen. So hat die deutsche Regierung nicht nur eine Strom-, sondern auch eine Gaspreisbremse umgesetzt. Regierung und Tarifpartner haben in Deutschland auf die aktuellen Situationen rascher und effizienter reagiert. Es rächt sich, dass Österreichs Regierung vor allem auf Einmalzahlungen gesetzt hat und nicht auf längerfristig wirkende preissenkende Maßnahmen, die einer breiteren Masse helfen würde. 

Da schließt sich die Frage an, wie Österreichs Politik in Deutschland wahrgenommen wird. 
Durchwachsen. Es gibt schon auch Entscheidungen, die in Deutschland positiv wahrgenommen worden sind, wie beispielsweise das Corona-Krisenmanagement, das in Österreich definitiv besser gelöst worden ist. Auch das Klimaticket galt als Vorbild für das Deutschland-Ticket. Aber prinzipiell wird die österreichische Politik wenig wahrgenommen. Österreich ist halt doch nicht der Nabel der Welt, für den es sich gelegentlich hält. Wobei wir in einem Punkt lange eine Vorbildfunktion hatten …

In welchem Punkt?
In diesem konsensualen Streben, das lange Zeit in der Großen Koalition seinen Ausdruck gefunden hatte. Dieser Pragmatismus, mit dem sich Sozialpartner und Regierung in Österreich um Lösungen bemüht haben, der wurde auch in Deutschland als vorbildhaft angesehen. Aber das gibt es in dieser Form ja nicht mehr. Ich wünsche mir manchmal diesen früheren Geist zurück, anstelle dieses ständigen Hickhacks auf politischer Ebene. Österreichs Politiker arbeiten sich heute viel zu sehr aneinander ab, statt um Lösungen für die wirklich dringenden Probleme zu ringen.

Wenn wir die jüngere Vergangenheit in Österreich betrachten: Beginnend mit dem Ibiza-Skandal über die Chataffäre reiht sich Eklat an Eklat, Skandal an Skandal. Und das ist eine Entwicklung mit bedenklichen demokratiepolitischen Folgen.
Ja, absolut. Aber die Konsequenzen sind ausgeblieben. Vor allem die Konsequenzen aus der Chataffäre. Da ist in der Öffentlichkeit zwar vieles von dem publik geworden, was zuvor nur in gewissen Kreisen bekannt war, beispielsweise die sehr engen Beziehungen zwischen den Medien und der Politik. Sebastian Kurz hat es sehr gut verstanden, dieses System für sich zu nutzen. In Deutschland wäre das in der Form nicht möglich.

Warum nicht?
Unter anderem, weil es in Österreich lediglich ein Dutzend Tageszeitungen gibt, in Deutschland aber über 300. Deutschland hat sehr viel mehr Medien. Das sorgt für Meinungspluralismus. In Österreich fehlt dieser Meinungspluralismus. Und diese enge Verbindung zwischen Medien und Politik in Österreich zeigt sich ja auch in dem hochproblematischen Bereich der Inseratenvergabe. Allein, dass man über Inseratenkorruption spricht, zeigt das Ausmaß des Problems. Aber wo sind die Konsequenzen? In Deutschland kennt man das Wort ‚Inseratenkorruption‘ nicht einmal.

Auch die Medienförderung ist eine andere.
Ja. Nur zum Vergleich: In Österreich bekommen private Medien insgesamt 273 Millionen Euro pro Jahr, davon sind 200 Millionen Inserate, die nach Gutdünken vergeben werden, von denen vor allem Boulevard-Medien überproportional profitieren, der Rest sind öffentliche Förderungen nach Kriterien. In Deutschland gibt es dagegen null öffentliche Förderungen, und die öffentliche Hand gibt auch nur 58 Millionen Euro für Inserate aus. Wir reden hier von einem Land, das zehnmal so groß ist wie Österreich! Das zeigt die Dimension des Problems doch sehr deutlich.

Politologe Fritz Plasser nennt Österreich eine Boulevard-Demokratie. Die ,Bild-Zeitung‘ hat enorme Macht, aber eine Boulevard-Demokratie ist Deutschland trotzdem nicht.
Nein. Die ,Bild-Zeitung‘ hat bei weitem nicht die Macht, die Boulevard-Medien in Österreich haben. Und angesichts der Medienvielfalt kann sich die deutsche Politik auch gar nicht so stark auf den Boulevard konzentrieren. 

Apropos Medienvielfalt. In Deutschland gibt es großartige Zeitungen, großartigen Journalismus, die „Süddeutsche“, die „Zeit“, der Spiegel, die „FAZ“ und andere sind da zu nennen; warum hat sich diese Form des kritischen, unabhängigen Journalismus in Österreich nie entwickeln können?
Da sind wir wieder bei dem entscheidenden Punkt: Weil die Politik zu viel Einfluss genommen hat und weiterhin nimmt. In Deutschland gibt es diese notwendige Äquidistanz zwischen Medien und Politik. Da wird auch nicht in den Redaktionen interveniert. Ein Bundeskanzler in Österreich ruft einen direkt am Handy an, wenn er sich über irgendetwas aufregt, ein Landeshauptmann meldet sich. Das gibt es in Deutschland nicht. Ich bin seit knapp drei Jahren in der Chefredaktion der ,Süddeutschen Zeitung‘, es hat mich noch nie ein Politiker angerufen. In Österreich gibt es auch die Unkultur, dass diejenigen Journalisten Informationen bekommen, die brav oder positiv berichten. 

Und inhaltlich? Wie unterscheiden sich da österreichische und deutsche Medien?
In österreichischen Medien wird zu sehr das abgebildet, was gerade diskutiert wird. Man geht in Österreich zu wenig in die Tiefe. Das hat natürlich mit der Größe der Redaktionen zu tun, aber es ist auch der Ansatz ein anderer. Viele deutsche Zeitungen bilden nicht nur den Streit ab, sondern beschäftigen sich intensiver mit den Auswirkungen von Entwicklungen. Sie setzen Denkanstöße, sie formulieren Lösungsansätze. Österreichs Medien begnügen sich damit, den täglichen Streit in der Politik wiederzugeben, weil sie der Ansicht sind: Das reicht dann schon. Aber nein, das reicht eben nicht! Und noch ein wichtiger Punkt: In Deutschland gibt es Qualitätsmedien, weil Bürgerinnen und Bürger auch bereit sind, für Qualitätsjournalismus zu zahlen. Qualität im Journalismus kostet. 

Sie haben in einem – 2013 – erschienenen Buch die Frage gestellt, warum Österreichs Journalisten und Politiker so ‚verhabert‘ sind. Ja, warum eigentlich?
Weil in dem kleinen Land jeder jeden kennt. In Österreich ist man zudem sehr schnell per Du. Ich weiß, dass das in Vor-arlberg noch üblicher ist als in Wien, aber ich halte das tatsächlich für problematisch. Es macht diese Äquidistanz noch viel schwieriger. Medien und Politik müssten sich viel stärker auf ihre jeweiligen Aufgaben konzentrieren.

Alt-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sprach vor kurzem in Vorarlberg über Macht und Einfluss des Boulevards. Wieso aber findet kein Politiker in Österreich zu Amtszeiten den Mut, eine klare Linie zu ziehen und diese Verflechtungen zu beenden?
Es gab einen, der tatsächlich nicht mit der ,Kronen Zeitung‘ kooperiert hat, um das so zu formulieren: Wolfgang Schüssel. Aber dieses System, das ja teilweise auch einhergeht mit der Androhung negativer Berichterstattung, ließe sich beenden, wenn einfach nicht darauf reagiert würde. Das trifft aber nicht nur die Politik, das trifft genauso die Wirtschaft. Ich kenne österreichische Unternehmer, die mir erzählen, wie Inserate bei ihnen zum Teil gekeilt werden: Mit dem Satz, dass es negative Berichterstattung gibt, wenn kein Geld fließt. Das wäre in Deutschland unvorstellbar! Solche Dinge können nur beendet werden, wenn niemand mehr mitmacht. Jemand müsste halt einmal den Anfang machen und sagen: So nicht! Und vielleicht auch Dinge öffentlich machen.

Es wäre also jemand mit Mut gefragt …
Genau. Einer müsste den Anfang machen und sich weigern. Zuerst einer, dann mehrere, schlussendlich alle. Dann wäre dieses System am Ende. Allerdings sind in Österreich die Chefredakteure manchmal auch die Geschäftsführer ihres Unternehmens. Und das ist ein Problem. Weil nicht klar ist, in welcher Funktion und in welcher Rolle die Betreffenden auftreten. Auch das ist in Deutschland undenkbar. Chefredakteure deutscher Medien sind nicht gleichzeitig auch deren Geschäftsführer. Das muss auch so sein! Es muss eine klare Trennung geben, wer für die publizistischen Inhalte verantwortlich und wer für die geschäftlichen Belange zuständig ist.

Sie haben sich vehement gegen die Einstellung der „Wiener Zeitung“ – der ältesten Tageszeitung der Welt – gewehrt, sprachen von einer „fatalen Entscheidung“, warum? 
Es ist fatal, in einem Land mit einer ohnehin schon sehr geringen Medienvielfalt dieses hervorragend gemachte journalistische Produkt mutwillig abzudrehen. Das ist im Sinne der Demokratie sogar grob fahrlässig. Zumal sich die Politik ja selbst immer wieder darüber beklagt, dass sich immer mehr Menschen nur noch in sozialen und nicht mehr aus traditionellen Medien informieren – und auch deswegen immer mehr Fake News kursieren. Ich weiß, dass es mehrere Interessenten gegeben hat, die bereit gewesen wären, die „Wiener Zeitung“ fortzuführen. Aber die hat man nicht einmal an einen Tisch geholt. Man hat sich noch nicht einmal deren Konzepte angesehen, bevor man diesem Qualitätsmedium den Stecker gezogen hat. 

Von der historischen und zeithistorischen Bedeutung dieser Zeitung ganz abgesehen …
Absolut. Die ,Wiener Zeitung‘ war bis zu ihrem letztmaligen Erscheinen am 30. Juni die älteste Tageszeitung der Welt. Andere Länder wären stolz, wenn sie darauf verweisen könnten: ‚Hey, in unserem Land hat die älteste Zeitung der Welt ihren Sitz!‘ Das ist für mich wirklich nur empörend. Die ,Wiener Zeitung‘ hat publizistisch gezeigt, dass sie unabhängige Berichterstattung hochgehalten hat. Daraus jetzt eine Ausbildungsstätte zu machen, die noch dazu unter der Kontrolle des Kanzleramtes agiert, das ist – ich kann es nur nochmals wiederholen – demokratiepolitisch höchst problematisch. Stellen Sie sich nur einmal vor, Viktor Orban würde das in Ungarn machen: Die ganze EU würde sich massiv aufregen. Und das vollkommen zu Recht!

Apropos. FPÖ-Chef Herbert Kickl träumt von einer Orbanisierung Österreichs, er will ,Volkskanzler‘ werden. Es scheint ihm in der ÖVP aber niemand begegnen zu wollen …
Es gibt kein entschiedenes Entgegentreten, vor allem nicht auf Seiten der ÖVP. Im Gegenteil, sie macht Themen und Thesen der FPÖ hoffähig, lässt sich immer von der FPÖ treiben. Immer! Ich verstehe das nicht. Mit der AfD, die zumindest programmatisch in Teilen noch radikaler ist als die FPÖ, gibt es diese verbalen Brandstifter zwar auch in Deutschland. Aber: Sie dominieren nicht den politischen Diskurs. Und: Man geht keine Koalition mit der AfD ein. Diese Übereinkunft hält. Als es zuletzt in Thüringen Annäherungen zwischen der dortigen CDU und der AfD gegeben hat, ist der CDU-Bundesvorsitzender Friedrich Merz sofort dazwischengegangen. 

Vom einen politischen Eck ins andere: Wie hat man in Deutschland das Chaos rund um die SPÖ-Abstimmung wahrgenommen?
Das hat für Verwunderung und teilweise auch Erheiterung gesorgt.

Österreichs Medien diskutieren seither intensiv die Frage, wie weit nach links die Sozialdemokratie unter ihrem neuen Chef Andreas Babler rücken wird. Könnte die SPÖ unter ihm gar zur Linkspartei nach deutschem Vorbild werden?
Nein, das glaube ich nicht. Der Herr Babler wird auch bald in der Realität ankommen. Aber da sind wir wieder am Anfang unseres Gespräches. Ist die Frage, wie marxistisch die SPÖ wird, wirklich das derzeit drängendste Problem in Österreich? Bisweilen kann ich mich nur noch wundern…

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Alexandra Föderl-Schmid
* 1971 in Haslach, Ober-österreich, ist seit Juli 2020 stellvertretende Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung. Davor war sie Korrespondentin für Israel und die palästinensischen Gebiete. Föderl-Schmid war 2017 zur Süddeutschen Zeitung gewechselt, davor war sie zehn Jahre lang Chefredakteurin und später auch Co-Herausgeberin der Tageszeitung Der Standard und des Nachrichtenportals derStandard.at. Sie hat Publizistik, Politik-wissenschaft und Geschichte studiert.

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