Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Und da hat Vorarlberg noch ein relativ großes Potenzial“

Oktober 2023

Neue Märkte, neue Chancen
Aspekte der Vorarlberger Exportwirtschaft

Ökonom Peter Mayerhofer (66), Autor der Studie „Vorarlbergs Wirtschaft im europäischen Konkurrenzumfeld“ spricht im Interview über Stärken und Schwächen der Vorarlberger Exportwirtschaft.

Herr Mayerhofer, Sie schreiben in Ihrer 2022 publizierten Studie „Vorarlbergs Wirtschaft im europäischen Konkurrenz­umfeld“ von einer „beeindruckenden Stellung Vorarlbergs in der österreichischen Exportwirtschaft“. Warum ist Vorarlbergs Wirtschaft derart exportstark?
Mit einem 55-prozentigen Anteil der Exporte am regionalen Bruttoinlands­produkt ist Vorarlberg zweitbestes Bundesland nach Oberösterreich, auch der hoch positive Handelsbilanz-Saldo ist der zweithöchste in Österreich. Warum ist das so? Nun, zum einen ist die Indus­triequote Vorarlbergs sehr hoch. Unter den 49 hochentwickelten Industrieregionen Europas liegt Vorarlberg, was den Industrieanteil betrifft, auf Platz sieben. Und die Indus­trie ist natürlich besonders exportintensiv. Aber noch etwas ist ausschlaggebend.

Und das wäre?
Die hohe Exportintensivität der Sachgütererzeugung in Vorarlberg. Der Exportanteil am Umsatz der exportierenden Vorarlberger Unternehmen beträgt im Durchschnitt über 80 Prozent, das sind zehn Prozentpunkte mehr als im gesamtösterreichischen Schnitt. Vorarl­bergs Unternehmen haben die höchste Exportintensität aller österreichischen Industrieregionen. Die hohe Exportquote der Oberösterreicher oder Steirer kommt zustande, weil es dort viele exportierende Unternehmen gibt, während in Vorarlberg die einzelnen Betriebe mehr exportieren. Vorarlbergs Güterproduzenten sind also viel stärker im Export, das spricht für deren hohe Wettbewerbsfähigkeit. Wobei man natürlich auch nicht den Vorteil der geografischen Lage vergessen darf. Der führende Industrieraum ist der süddeutsche, schweizerische, oberitalienische; und mit diesem Raum unterhalten Vorarlbergs Unternehmen vielfältige Zuliefer-
Absatz-Beziehungen. 

Vorarlbergs Exportwirtschaft vermeldet (Ausnahme: 2020) ständig neue Rekordzahlen: 2022 wurde mit rund 14 Milliarden Euro gegenüber 2021 ein Exportplus von über zehn Prozentpunkten verzeichnet. Jetzt fragt sich der Laie: Ist da ein Plafonds erreicht? 
Bei der hohen Inflation sind nominelle Exportzuwächse in der Höhe nicht unbedingt überraschend. Aber: Plus zehn Prozent heißt auch, dass die Vorarlberger Produzenten ihre Kostensteigerungen am internationalen Markt unterbringen. Auch das spricht für deren Wettbewerbsfähigkeit, für deren Produkte. Aber dass es nominell nur zehn Prozent sind, hat damit zu tun, dass es im süddeutsch-schweizerisch-italienischen Wirtschaftsraum nicht optimal läuft. Das schlägt auf Vorarlberg auch negativ durch. Was nun den Plafonds betrifft …

Ja, bitte?
Angesichts der bereits sehr hohen Exportintensität der Vorarlberger Unternehmen von über 80 Prozent kann vom existierenden Unternehmensbestand kaum noch eine weitere reale Steigerung ausgehen. Dazu müssten sich Betriebe, die bisher nur national arbeiten, internationalisieren, vor allem Klein- und Mittelbetriebe. Exportwachstum ließe sich auch mit neuen Produkten und mit der Erschließung neuer Märkte erzielen.

Der „Economist“ hat geschrieben, Deutschland sei „wieder der kranke Mann Europas“. 
Ich halte das für eine schwache Aussage. Natürlich leidet Deutschland unter der schwachen Auslandsnachfrage, hat ein Managementproblem etwa in der Automobilindustrie oder bei der Bahn. Und vor allem hat man lange Zeit zu wenig in die Infrastruktur investiert. Aber die Aussage, das Land sei wieder der kranke Mann, ist zu relativieren: Um die Jahrtausendwende war die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch, der Arbeitsmarkt inflexibel, gab es große Arbeitskostennachteile, brauchte es eine langwierige Reform. Die Situation 2023 ist mit der damals nicht zu vergleichen, Investitionen in die Infrastruktur würden schneller positiv wirken. Der ‚kranke Mann‘, das ist nur eine Schlagzeile…

Wobei Wirtschaft Psychologie ist und solche Schlagzeilen deswegen kontra­produktiv sind.
Ja, das ist richtig. 
Welchen gegenwärtigen Herausforderungen hat sich die Exportwirtschaft zu stellen?
Da ist die Konjunktursituation. Die Schweiz wächst zwar halbwegs stabil. Aber in Italien erwarten wir heuer nur ein Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent. Und in Deutschland wird es heuer eine Rezession werden, mit minus 0,4 Prozent, das sagen die meisten Prognosen. Das trifft die exportierenden Bereiche in Vorarlberg. Was die Sache allerdings etwas abschwächt, ist die Tatsache, dass die Vorarlberger Zulieferbeziehungen nicht wirklich an den Problembereichen der deutschen Wirtschaft zentral dranhängen. Deutschland hat Probleme in der Autoindustrie, in der Chemie, da ist Vorarlberg nicht wirklich in der Zulieferung. Bei Metallwaren, im Maschinenbau laufen die Sachen wesentlich besser. Soll heißen: Die Konjunktur ist sicher eine Herausforderung, aber eine bewältigbare. Kommen wir zum Kostendruck. Der ist im Augenblick groß. Bei den Energiekosten zum Beispiel. Aber da hat Vorarlberg strukturbedingt zumindest keine Nachteile; weil sehr energieintensive Industrien wie Eisen, Stahl und Chemie in Vor­arlberg fehlen. Unter den österreichischen Bundesländern hat Vorarlberg die zweitniedrigste Energieintensität je BIP-Einheit. 

Und die Lohnkostenseite?
Die kann natürlich auch ein Problem sein. Aber da nutzt Vorarlberg das hohe Produktivitätsniveau. Das hilft, höhere Lohnkosten auszuhalten. Das war an der Studie übrigens eines der erstaunlicheren Dinge: Das Produktivitätsniveau unter den 49 hochentwickelten Industrieregionen ist nur in Braunschweig höher als in Vorarlberg. 

Ein Zitat von Ihnen: „Das Angebotsportefeuille der Vorarlberger Exportwirtschaft ist auf wenige dominierende Ausfuhrpositionen fokussiert, steht innerhalb dieses Spektrums aber auf breiter Basis.“ Dennoch: Diversifiziert genug, um bestehen zu können?
Vorarlbergs Exportwirtschaft hat zwei Standbeine: Technologieintensive und konsumorientierte Gütergruppen. Letztere sind zwar eher mittlerer Technologiestufe, haben aber Qualitätsvorteile, und sind in ihrem Angebotssegment deswegen sehr erfolgreich. Das zeigt auch, dass die Unternehmen in diesem Midtech-Bereich eine sehr hohe Innovationsorientierung haben, nur ein Qualitätsvorteil ermöglicht höhere Preise.
Aber das Angebotsportefeuille ist verbesserungsfähig, und zwar sowohl im Hinblick auf die Warengruppen als auch auf die Zielländer. Lediglich fünf Warengruppen machen mehr als die Hälfte des Exportvolumens von Vorarlberg aus. Eine weitere Diversifizierung würde die Resilienz deutlich erhöhen. Über die bereits exportierenden Betriebe, die ja jetzt schon über 80 Prozent ihrer Produktion exportieren, wird das kaum gehen. Es bräuchte also neue Export-Akteure. Besonders in einem Bereich ergäben sich da große Chancen für Vorarlberg.

In welchem Bereich?
Im Dienstleistungsbereich. Im nationalen Vergleich hat Vorarlberg zwar auch eine hohe Exportquote, die aber fast ausschließlich durch Transportleistungen zustande kommt. Bei industrienahen Unternehmensdiensten – etwa Ingenieurbüros, Unternehmensberatungen oder gewerblicher F&E – hat Vorarlberg im Export keine Stärke. Das ist ein Nachteil. Denn die Produktion in der Sachgüter-Produktion wird zunehmend hybrid: Dienstleistungen werden auf der Produktebene integriert, es geht immer stärker nicht nur um die Maschine, sondern auch um die begleitende Dienstleistung. Und da hat Vorarlberg noch ein relativ großes Potenzial.

Was sind die Schwächen des Wirtschaftsstandorts Vorarlberg, was die Stärken?
Einerseits ist Vorarlberg sehr gut aufgestellt. Die Hauptkennzahl ist das BIP pro Kopf, da ist Vorarlberg unter den 49 Regionen auf Rang drei nach Stuttgart und Braunschweig. Das resultiert aus dem hohen Produktivitätsniveau, der Kernvariable der Wettbewerbsfähigkeit. Das heißt: Vorarlbergs Betriebe sind sehr wettbewerbsfähig. Aber es gibt ein Problem.

Und das wäre?
Das heute hohe Produktivitätsniveau stammt vor allem aus dem Produktivitätszuwachs bis Mitte der 2000er Jahr. Seither schwächt sich der Zuwachs in der Produktivität ab. In der vergangenen Dekade war Vorarlberg in Bezug auf das Wachstum nur mehr im schwachen Mittelfeld der Industrieregionen. Darauf muss man ein Augenmerk legen. Denn die Produktion kann ja aus zwei Gründen steigen: Entweder der Einzelne produziert mehr. Oder es sind mehr, die arbeiten. In Vorarlberg war bisher beides der Fall, man konnte lange Jahre aus einem stetig zunehmenden Pool von Arbeitskräften schöpfen. Aber jetzt gehen wir in ein Regime von demographisch bedingten Knappheiten. Weiteres Wachstum kann also nicht mehr so stark aus dem Zuwachs der Arbeitskräfte kommen. Daher ist eine produktivitätsorientierte Wirtschaftspolitik sehr wichtig, um den Vorsprung halten oder vielleicht sogar ausbauen zu können.

Ziehen wir ein Fazit? Ist Vorarlberg gerüstet, um in Zukunft bestehen zu können?
Angesichts der bis jetzt gezeigten Wettbewerbsfähigkeit glaube ich das schon. Vorarlbergs Exportwirtschaft steht auf einer guten Basis. Exportzahlen sind ja nichts anderes als ein Markttest, ob Unternehmen wettbewerbsfähig sind. Aber es gibt Herausforderungen. 

In welchen Bereichen?
Erstens: In der Strukturpolitik. Man hat einen Fokus auf Gründungen zu legen. Vorarlberg ist, aber das gilt für ganz Österreich, in diesem internationalen Vergleich relativ schwach in der Gründungsquote, gerade im technologieintensiveren Bereich. Es gibt einen relativ geringen Umschlag bei den Unternehmen, es entstehen kaum neue. Zweitens: Innovationspolitik. Vorarlberger Unternehmen haben zwar sehr viele Patente, in einzelnen Wirtschaftsbereichen gibt es wirklich Stärken. Aber bei all dem handelt es sich in erster Linie um inkrementelle Innovationen und nicht um radikale, also wirklich neue Basisinnovationen. In der Innovationspolitik wäre aber gerade dieser Bereich zu stärken. 

Und der Wettbewerb wird schärfer, die Konkurrenz größer …
Der Wettbewerb mit aufsteigenden Ländern wird immer stärker. Man wird im deutschen Markt und auf anderen Märkten auf immer mehr Konkurrenten stoßen, die ihrerseits in hochwertige, technologiebezogene Marktsegmente vorstoßen; also genau auf die Exportspezialisierung abzielen, die Vorarlbergs Unternehmen haben. Dazu kommt, dass sich die Wertschöpfungsketten immer stärker fragmentieren werden. Immer kleinteiligere Arbeitsschritte werden es neuen Wettbewerbern ermöglichen, über Kostenvorteile in diese internationalen Ketten zu kommen. Und dann haben wir uns selbstredend auch der digitalen Herausforderung zu stellen. Gerade Vorarlberg – als Zulieferer und Nutzer des Absatzmarktes stark in grenzüberschreitende Wertschöpfungsketten eingebunden –, braucht hohe Kompetenz in der Entwicklung und Anwendung von digitalen Anwendungen in der Produktion und in der Logistik. Und dann haben wir noch die ökologische Transformation, eine massive Herausforderung, gerade für ein Industriebundesland. Wobei Vorarlberg da eine geringere Strecke zurückzulegen hat als andere Industriebundesländer. Die Vorarlberger Treibhausgasintensität je BIP-Einheit ist halb so hoch wie im österreichischen Durchschnitt. Es ist der geringste Wert nach Wien. Und das ist für ein Industrieland bemerkenswert. Im Übrigen: Bevor ich diese Studie gemacht habe, hätte ich nicht geglaubt, wie gut Vorarlberg in diesem internationalen Vergleich mit der Crème de la Crème der Industrieregionen Europa im Prinzip dasteht. Vorarlberg hat wirklich gute Voraussetzungen. Die Stimmung ist wahrscheinlich schlechter als das tatsächliche Potenzial.

Vielen Dank für das Gespräch!

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.