Jürgen Metzler

„Meor ehrod das Ault und grüozod das Nü, und blibod üs sealb und dor Hoammad trü“

Mai 2017

Im Jahre 1902 gingen im Bregenzerwald mit der Eröffnung der Wälderbahn die Tore zur Welt weit auf.Wie den damit verbundenen Herausforderungen einer neuen Zeit begegnet werden könnte, fasste der Bizauer Poet Gebhard Wölfle (1848-1904) in seinem Gedicht „Zum Volksfest in Egg 1902“ mit obigem bekanntem Schlussvers zusammen. In der Lebensgeschichte Wölfles spiegelt sich diese Grundhaltung in vielerlei Weise wider – für uns heute ein Vermächtnis wie auch ein Leitsatz für tägliches und zukunftsorientiertes Handeln.

Im Revolutionsjahr 1848 in eine kleinbäuerliche Familie hineingeboren, zeigte sich Gebhard Wölfle schon im Kindesalter als wissbegierig und lesehungrig. Doch Lesestoff war damals rar. Auf Jahrmärkten besorgte er sich Kalender. Schon etwas später fand er in der Bibliothek des Dr. Gallus Greber in Bezau ausreichend Lesestoff.

Zum Broterwerb erlernte er bei seinem Onkel das Schreinerhandwerk, nebenbei führte er die elterliche Kleinlandwirtschaft. Sein weltoffenes, aber kritisches Wesen offenbarte sich schon bald im Umgang mit dem großen gesellschaftlichen Wandel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – in Schule, Religion, Arbeitswelt, Kultur und Freizeit.

Mit 18 Jahren wurde Wölfle zum Mitbegründer und ersten „Theatormoschtor“ des Theatervereines Bizau, der sich bis heute erhalten hat und im vergangenen Jahr sein 150-Jahr-Jubiläum feiern konnte. Gegründet in einer Zeit, in der der Besitz eines eigenen Buches noch eine Kostbarkeit bedeutete und das Lesen überhaupt noch etwas „Anrüchiges“ an sich hatte. In einer Zeit, in der für die Zerstreuung neben der harten Arbeit nur der Wirtshausjass und die „Nahtstubat“ möglich war.

Wölfles und seiner jungen Mitstreiter Passion war aber nicht nur die reine Unterhaltung, sondern auch das Bildungstheater. So wurde es unter Wölfles Leitung zu einem Medium für eine aufgeklärte Kultur im Bregenzerwald. Er brachte damit frischen Wind in das bäuerliche Dorfleben und entfachte mit der Aufführung von Friedrich Schillers „Die Räuber“ sogar einen vorarlbergweiten Zeitungssturm und eine Auseinandersetzung mit den politischen und religiösen Behörden.

Wölfle war auch literarisch tätig. Seine Gedichte zählen zu den wichtigsten und humorvollsten Sprachschöpfungen des alemannischen Sprachraumes und sind wertvolle Dokumente einer längst vergangenen Zeit. In seinen gereimten Bildern nimmt er Bezug auf die dörfliche Geschichte, die Menschen, das Handwerk, das Alltagsleben, die Dorfkultur. Bekannt wurde er auch mit seinen Schwänken wie „Dor Eggar und dor Doarobearar“, „Dächlar Hannes“ oder „s’Woozomändle“, die schon bald in vielen Gaststuben des Bregenzerwaldes aufgeführt wurden. Viele seiner Gedichte wurden vertont und gehören heute zum oft gesungenen Volksliedgut.

Wölfle war ein Mann, der viele Interessen hatte und offen war für Neues. Dabei ging es ihm immer wieder um das Gemeinsame, die Stärkung der Dorfgemeinschaft. So wurde er zum Mitbegründer des Musikvereines und der Feuerwehr und war auch in anderen Dorfvereinen aktiv tätig.

Aber Wölfle erkannte auch die Zeichen seiner Zeit. Und er war aufgeschlossen gegenüber technischen Neuerungen. So war er einer der ersten, der sich im Bregenzerwald mit der Fotografie befasste. Seine Fotos ab den Jahren um 1890 zeigen arrangierte Bilder zu besonderen Anlässen, verschiedene Personengruppen sowie Landschaftsobjekte.

Aus den naturwissenschaftlichen Büchern des Bezauer Lesevereines, gegründet von F.M. Felder aus Schoppernau und dem Bezauer Lithographen Feuerstein, holte er sich Kenntnisse über Physik und Mechanik. Nach der Einführung der Kettenstickmaschinen im Bregenzerwald in den 1870er-Jahren machte sich Wölfle bei der Reparatur dieser Maschinen einen Namen und war bald in der ganzen Region als „der Mechaniker“ bekannt.

Und d’Zuokumpft rumplot
mit G’wault daher
mit Für und Daumpf und Draud
as öb bisher all’s nix gsin wär,
ma wooßt om fast kann’ Raud!

Gebhard Wölfle steht für Veränderungen, die man akzeptieren und mitgestalten kann, ohne die eigenen Anschauungen über Bord zu werfen. Offenheit und Vielseitigkeit prägten seinen Charakter, nicht Egoismus, Engstirnigkeit und Verbohrtheit.

Drum stand dorzwüschod a bitzle still,
und luog’s bedächli a,
neamm mit vum Aulto was füogo will,
Und was nu füogo ka;
Doch was mit dam Nüo si nüd vorteeyt,
weod bessor wiedor udff d’ Sito g’ leyt.

Wie zu Wölfles Zeiten vor mehr als hundert Jahren werden wir auch heute wieder vor Entwicklungen gestellt, die unser Leben in den kommenden Jahren grundlegend verändern werden.
War es seinerzeit der Anbruch des Maschinenzeitalters mit gravierenden Veränderungen in allen Bereichen oder der Verkehrsanschluss des Bregenzerwaldes ins Rheintal, so ist es heute das digitale Zeitalter in einem Tempo, das unsere menschlichen Fähigkeiten fast überfordert.

Nicht alles, was modern und neu ist, hat in dieser schnelllebigen Zeit auch Bestand. Und manche Tradition ist schon zur Selbstverständlichkeit oder gar zur Nichtbeachtung verkommen. Mit dem behutsamen Umgang alter Werte und Prinzipien und der Bereitschaft, sich offen und mutig mit der Zukunft auseinanderzusetzen und Veränderungen anzugehen, kann uns Wölfles Leitspruch gerade in der heutigen Zeit als Richtschnur dienen.

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