Oskar Müller

Rektor FH Vorarlberg

Die große Transformation

Februar 2016

Neben der Halbwertszeit des Wissens ist mittlerweile auch jene der Kultur in die Diskussion geraten. Urbanisierung, Digitalisierung, Individualisierung und Globalisierung scheinen Kultur und Gesellschaft in ähnlicher Weise zu transformieren, wie neue Erfahrungen die Struktur des Gehirns verändern. Sie verändern die Art, wie wir leben, Geschäfte machen, in new work enterprises arbeiten und produzieren. Aber auch wie wir Wirklichkeiten erzeugen und unser Weltbild formen, Ängste und Vertrauen neu verteilen, Hoffnungen und Begehrlichkeiten wecken. Der Gedanke, dass im Wechsel der Generationen kein Stein unserer Ordnung auf dem anderen bleiben könnte, schafft Unsicherheit. In der Tat hinterlassen die technokratischen Versuche, die in knappen Abständen über uns hereinbrechenden Krisen zu meistern, einen etwas ratlosen Eindruck. 

Kultur ist das, was bleibt, wenn man alles vergessen hat, sagt ein altes Sprichwort. „Ich brauche die Gewissheit, ich selber zu sein und für andere verantwortlich zu sein“, bringt Handke den Punkt in seiner langsamen Heimkehr in die Literatur. Verbundenheit und Akzeptanz sind wesentliche Urerfahrungen. Im Leben wo dazuzugehören und zeigen zu dürfen, was man kann. Wo dies scheitert, suchen Menschen Surrogate: Befriedigte Bedürfnisse sind jedoch nicht das gleiche wie eine gestillte Sehnsucht. Oder sie brechen aus. Ganz einfach. Wohin auch immer. 

Technokratisch formuliert bedeutet dies: In einer neuen Gesellschaftsordnung wird es entscheidend sein, die Anzahl der „Systemverlierer“ zu minimieren. In Wirtschaft und Gesellschaft, vor Ort und auf globaler Ebene. Für die Bildung bedeutet dies einen sensiblen Blick auf die Menschen und einen kritischen Blick auf die zeitgeistige Unterscheidung zwischen „brauchbarem“ und „nutzlosem“ Wissen.