„Nicht die geringste Spur früherer Besteigung“ – 150 Jahre Piz Buin
Der 14. Juli 1865 ging in die Geschichte des Alpinismus ein. An diesem Tag wurden sowohl das Matterhorn in den Westalpen als auch der Piz Buin in den Ostalpen erstmals bestiegen. Beide Gipfel wurden zum Mythos, beide Gipfel blicken 2015 auf ein besonderes Ereignis zurück.
1865: Die Erstbesteigung
Der Moment war zweifellos ein außergewöhnlicher, der Herzschlag dürfte nicht nur wegen der körperlichen Strapazen ein deutlich höherer gewesen sein – und doch dürfen wir annehmen, dass die ersten Augenblicke auf dem Piz Buin eher von Panik denn von Freude begleitet waren. Johann Jakob Weilenmanns Aufmerksamkeit galt nämlich zunächst der Beantwortung der Frage, ob denn nicht schon jemand vor ihnen auf dem Gipfel war – aber „nicht die geringste Spur früherer Besteigung“, wie Weilenmann in seiner Beschreibung festhielt.
Was hätte das für eine Spur sein können? Ein Gipfelkreuz jedenfalls noch nicht, das wurde erst 1936 – und damals erstmals in Vorarlberg – am Gipfel des Piz Buin angebracht. Eher war an ein sogenanntes Steinmännlein zu denken, ein Gebilde aus aufeinander geschichteten Steinplatten, einer kleinen Figur ähnlich sehend. Ein solches Werk als Beweis für menschliche Präsenz war Weilenmann und seinen Gefährten vorbehalten und sorgte im Unterengadin für Aufsehen, denn erst durch die Aufrichtung dieses Steinmännleins wurde den Menschen in Ardez augenscheinlich, dass sie eigentlich schon immer den Gipfel des Piz Buin erblicken konnten. Eine Flaschenpost hätte es auch sein können, wie sie dem Montafoner Pfarrer und Alpinpionier Franz Joseph Battlogg begegnete, als er schon auf eine Erstbesteigung des Seehorns gehofft hatte – zwei Graubündner Hirten waren schneller gewesen. Oder eine Signatur, wie sie Christian Zudrell auf der Drusenfluh hinterließ – sein „CZ70“ (= Christian Zudrell 1870) wurde erst 18 Jahre später von Karl Blodig bezeugt.
Mit dem St. Galler Handelsreisenden Weilenmann hatten der Wiener Kaufmann Joseph Anton Specht, der Paznauner Gamsjäger und Schafhirte Franz Pöll sowie der aus dem Passeiertal stammende Viehhändler Jakob Pfitscher die Erstbesteigung geschafft. Die 1860er-Jahre waren jene Zeit, in der die Alpen eigentlich entdeckt wurden, zumindest gibt es kein vergleichbares Jahrzehnt, in dem es so reichlich Erstbesteigungen zu verzeichnen gab. Das Interesse der Pioniere galt diesen Erstbesteigungen, die Neugier wurde durchaus auch von wissenschaftlichen Ambitionen gestärkt, und erst 1874 haben wir Kunde davon, dass Joseph Anton Specht den Patteriol im Verwall einfach aus „Spaß an der Freud“ bestiegen habe, gleichsam als „Hochtourist“, wie er selber ins Treffen führte.
1936: Das Gipfelkreuz
Im Mai 1936 wurde erstmals die Idee vorgetragen, auf dem höchsten Punkt Vorarlbergs ein Gipfelkreuz zu errichten. Landesführer Eugen Leißing machte diesen allgemein begeistert aufgenommenen Vorschlag anlässlich des Gautages der Reichsbundjugend in Schruns. Umgesetzt werden sollte die Idee durch die Gruppe St. Gallenkirch, „Schreinermeister Neyer in Schruns fertigte […] das Kreuz aus bestem Lärchenholze an“. Das Vorarlberger Volksblatt berichtet am 15. September 1936 des Weiteren: „Längs- und Querbalken haben im Schnitt einen Durchmesser von 20 x 26 Zentimeter; der Längsbalken mißt 5 Meter, der Querbalken 2,20 Meter. Mit den Beschlägen – ein Blitzableiter ist nicht vergessen – wiegt das Kreuz fast 300 Kilo.“ In den Zeitungsmeldungen ist von einem „Kreuzzug“ die Rede, welcher gegen die „Überwinder des Christentums“ – gemeint waren wohl die Kommunisten und mehr noch die Nationalsozialisten – geführt worden sei. Tatsächlich ist die innenpolitische Symbolik dieser Aktion des katholischen Reichsbundes nicht zu unterschätzen, wie der Historiker Michael Kasper festhält. Der Verweis auf die Stellungnahme des Deutschen Alpenvereins, Sektion Vorarlberg, im Mai 1938 zeigt dies deutlich: „Die Sektion Vorarlberg ist der Ansicht, daß die Errichtung von Kreuzen auf dem Piz Buin und dem Roggelskopf eine vollkommen unnütze Angelegenheit ist, und nachdem dieselben noch aus der letzten Systemzeit stammen, ist es am besten, wenn dieselben möglichst bald verschwinden, damit auch diese Erinnerung ausgetilgt wird.“ Im Unterschied zu anderen Landesteilen überlebten beide Gipfelkreuze in Vorarlberg die nationalsozialistische Zeit, jenes am Piz Buin war wohl auch durch die Lage in der Sperrzone an der Grenze kaum erreichbar.
Am 26. Juli 2012 hatte das alte Kreuz schließlich ausgedient, und im Beisein von Landeshauptmann Markus Wallner wurde ein neues Kreuz auf dem Piz Buin angebracht. Anstelle eines Kreuzzugs gab es diesmal einen „Kreuzflug“, verantwortlich zeichneten nun der Alpenverein und die Bergrettung. Das Ansinnen des vorarlberg museum, das alte Gipfelkreuz deponieren zu wollen, sorgte bei der Bergrettung für einige Verwunderung. Die Gemeinde Gaschurn bleibt Eigentümer des ersten Gipfelkreuzes, zwecks besserer Aufbewahrung wurde das Kreuz in das Depot des vorarlberg museum verbracht.
2015: Der Künstler
Das Gipfelkreuz des Piz Buin war, als ein Symbol des christlichen Glaubens in nicht nur für die katholische Kirche schwierigen Zeiten, unter schwierigen Umständen errichtet worden. Der Dornbirner Künstler Stoph Sauter beschäftigt sich diesen Sommer im Rahmen einer vor dem vorarlberg museum montierten Installation mit dem Objekt. Dem Künstler reicht das Objekt nicht, er stellt die Frage nach der Suche des Göttlichen, nach der Suche des Sinns. Eine umfangreiche Recherche in den Weiten des Internets führt den Künstler immer wieder zu den Fragen des Daseins und der Solidarität zwischen den Religionen, zwischen den Menschen. Am liebsten würde Sauter alle religiösen Symbole zu einem Herzen verschmelzen.
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