Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Letztlich eine sehr ungünstige Entwicklung“

April 2024

Die EU-Lieferkettenrichtlinie tritt ab 2029 in einer entschärften Variante in Kraft. Es sind nun zwar weniger Unternehmen betroffen, aber die Sache bleibt bürokratisch. Der Ökonom Klaus Friesenbichler sieht den „schalen Beigeschmack fehlender Effektivität“.

Lange wurde verhandelt, nun ist es fix: Die Europäische Lieferkettenrichtlinie kommt, sie tritt ab 2029 in Kraft. Allerdings in einer abgemilderten Variante: Die Mehrheit der EU-Staaten hat Mitte März dafür gestimmt, Österreich und Deutschland enthielten sich. 
Unverändert bleibt das Ziel: Europäische Unternehmen sollen mit dieser Richtlinie verpflichtet werden, auf die Einhaltung von Menschenrechten und von Umweltschutz entlang ihrer gesamten Lieferkette zu achten und bei Verstößen tätig zu werden. 
Gemessen an ihrer ursprünglichen Fassung beinhaltet dieser finale Kompromissvorschlag allerdings weniger strengere Regeln: Von der Richtlinie erfasst werden jetzt nur noch europäische Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von mehr als 450 Millionen Euro. Von der ursprünglichen Variante wären weitaus mehr Unternehmen getroffen gewesen. Das Nachrichtenportal „Euractiv“ schätzt die Zahl der nun betroffenen Unternehmen europaweit auf 5400, das sind laut den Daten des Portals lediglich 0,05 Prozent aller Firmen in der Union.
Auch wurden im finalen Vorschlag zuvor noch definierte Risikosektoren wie die Textil- und die Landwirtschaft gestrichen, zudem wurde das Klagerecht in Drittländern, insbesondere auch von Nichtregierungsorganisationen, eingeschränkt. 
Doch auch die abgeschwächte Fassung – in Österreich sind ab 2029 rund 200, in Vorarlberg nach Angaben der IV rund 15 große Unternehmen betroffen – sorgte für Debatten. Während die Befürworter der ursprünglich weit strengeren Fassung scharfe Kritik an einer „jetzt zahnlos gewordenen Richtlinie“ übten, fanden Vertreter der Wirtschaft auch für die abgemilderte Variante unverändert kritische Worte. So sagte etwa Karlheinz Kopf, der Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich: „Die EU lässt ein Bürokratiemonster von der Leine.“ Man bekenne sich zu verantwortungsvollem und nachhaltigem Wirtschaften, habe deswegen das grundsätzliche Vorhaben, soziale und ökologische Standards international zu verbessern, von Beginn an unterstützt: „Die Ziele der EU, eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Bürokratieabbau, werden nun jedoch meilenweit verfehlt.“ Kopfs Nachsatz: Entscheidend sei jetzt, „dass es bei der nationalen Umsetzung zu keiner übermäßigen bürokratischen Belastung der Unternehmen durch eine Übererfüllung von EU-Vorgaben kommt“.
Doch ist die neue Richtlinie nun zu bürokratisch, wie die einen kritisieren? Oder ist sie zahnlos, wie die anderen monieren? „Beide haben recht“, sagt Klaus Friesenbichler, stellvertretender Direktor des Lieferketteninstituts ASCII und Senior Economist beim Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung.

„Ein schaler Beigeschmack“ 
Ihm zufolge ist die Richtlinie zwar ein gutes Signal, dass die Union etwas unternehmen wolle gegen Menschenrechtsverstöße und Umweltschäden in Drittstaaten. Gleichzeitig aber bleibe ein „schaler Beigeschmack fehlender Effektivität“: „Ob diese abgespeckte Richtlinie in den Drittländern wirklich wirksam wird, ist fraglich. In der ursprünglichen Variante hätte sie mehr Biss gehabt. Dennoch haben die von der Richtlinie betroffenen großen Unternehmen hohe administrative Kosten zu tragen.“ Und komme es tatsächlich zu Verstößen und zu Klagen, würden in die Lieferkette involvierte kleinere und mittlere Unternehmen mit in die Verantwortung gezogen: „Das liegt schon in der Logik der Richtlinienkonstruktion.“

Ein anderes Modell 
Das Lieferketteninstitut ASCII hätte ohnehin ein anderes Modell vorgeschlagen, das Komplexität reduziert und zielgerichtet ist: „Von vornherein alle Länder ausnehmen, die ein hinreichend gutes Rechtssystem haben – das träfe etwa die gesamte EU, Nordamerika, Japan und Südkorea. Und für alle anderen Länder sollte ein Versicherungssystem und ein Zertifizierungssystem eingeführt werden: Lieferanten in den betreffenden Ländern werden geprüft, sind sie sauber, bekommen sie einen Stempel, der Versicherer übernimmt das Risiko. In Screenings vor Ort, in die Prüfung der jeweiligen Produktionsbedingungen, könnten auch die NGOs eingebunden werden.“
Aber nun kommt eben die Lieferkettenrichtlinie. Friesenbichlers Fazit: „Man hat nun eine Richtlinie, die zwar ein gutes Signal ist, aber wenig Biss hat und vor Ort wenig effektiv sein wird; die gleichzeitig einigen Firmen viel Geld kosten wird und auch involvierte KMU treffen kann. Die Sache hat letztlich eine sehr ungünstige Entwicklung genommen.“

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