Michael Diettrich

Sprecher der Vorarlberger Armutskonferenz

Mindestsicherung: Thema verfehlt

März 2016

In der Tat sind mittlerweile viele Einkommen im Niedriglohnbereich auf dem Niveau von Mindestsicherungsleistungen oder wenig darüber angelangt. Das ist nicht verwunderlich: Die durchschnittlichen Reallöhne liegen heute unter denen des Jahres 2000. Nennenswerte Zuwächse gab es nur bei den oberen 20 Prozent der Einkommen, während in den unteren Rängen sogar beträchtliche Einbußen zu verzeichnen sind. Dies passt ins das Bild, das eine aktuelle Studie der OECD zeichnet: Sie konstatiert für die meisten OECD-Länder die höchste Einkommensspreizung seit 30 Jahren und macht dafür vor allem das Zurückbleiben der unteren Einkommen verantwortlich.

Wenn die ÖVP nun vorschlägt, Mindestsicherungsleistungen zu kürzen, um einen „gerechten“ Abstand zwischen arbeitenden Menschen und BezieherInnen der Mindestsicherung herzustellen, ist das der völlig falsche Ansatz. Er hat zudem Auswirkungen weit über die Mindestsicherung hinaus. Die OECD weist nämlich auch darauf hin, dass die Einkommensungleichheit einen erheblichen, statistisch nachweisbaren negativen Einfluss auf das wirtschaftliche Wachstum hat und es insbesondere die ungleiche Verteilung an die unteren Einkommensgruppen ist, die das Wachstum hemmt. Sie rät deshalb, zur Belebung des Wirtschaftswachstums den politischen Fokus mehr auf die Einkommenssituation am unteren Ende der Einkommenspyramide zu legen. Allerdings wären Programme zur Armutsvermeidung, die sich nur an die unteren zehn Prozent der Bevölkerung richten, nicht ausreichend. Vielmehr sollte sich die Politik viel allgemeiner auf die unteren 40 Prozent konzentrieren.

Stattdessen diskutiert Österreich da­rüber, ob der Abstand zwischen dem zehten und elften Prozent hoch genug ist …