Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Eine teuflische Frage“

November 2023
Die Zukunftsforscherin Oona Horx Strathern sprach dieser Tage bei der Ökoprofit-Netzwerkveranstaltung im Lichtforum der Zumtobel Group in Dornbirn über neue Ökologie, die verändernde Macht von Geschichten und Perspektiven für die Zukunft.

Es gibt ein Dutzend Megatrends, ein Dutzend dieser „großen Treiber des Wandels“, von denen das Zukunftsinstitut spricht – etwa: Globalisierung, Urbanisierung, Individualisierung, Neo-Ökologie. Diese Trends sind stark und mächtig, sie bestimmen und steuern unser Leben. Sie dauern lange an. Und sie sind komplex, in dem Sinne, dass sie sich mit anderen Trends verbinden.
„Das zu erkennen, das zu verstehen, ist sehr wichtig“, sagte Zukunftsforscherin Oona Horx Strathern in Dornbirn, „denn zu oft konzentriert sich eine Person oder ein Unternehmen zu sehr auf einen einzigen Trend. Doch das ist der klassische Zukunftsfehler. Es ist zu linear gedacht.“ Und warum? Weil dieses Denken der Forscherin zufolge außer Acht lässt, dass – erstens – der eine Trend den anderen beeinflusst und es – zweitens – für jeden Trend auch einen Gegentrend gibt. 
Trend und Gegentrend sorgen für Dynamik, sie verbinden sich, „in einer evolutionären Adaption“ und schaffen damit Neues. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte Glokalisierung, gebildet aus dem Trend der Globalisierung und aus dem Gegentrend der Lokalisierung. Und so ist laut der Zukunftsforscherin auch der Megatrend der Neo-Ökologie zu sehen. Dort verbindet sich der ältere Trend, durch Verzicht ökologisch sein zu wollen, mit dem neueren Gegentrend, auch im Genuss ökologisch sein zu können. Horx Strathern spricht da von einem Wandel der Denkart: „Statt zu sagen, der Mensch ist der Feind der Natur, sagt man: Der Mensch ist ein Teil der Natur.“ 
Werde sie gefragt, ob sie Pessimist oder Optimist sei, antworte sie stets: „Weder noch. Ich bin Possibilist.“ Gemäß einer Definition ist ein Possibilist ein Mensch, der seine Augen vor den Fortschritten in der Welt nicht verschließt und daraus die Zuversicht für weitere Fortschritte gewinnt. Faktenbasiert Kraft schöpfen für die Zukunft, so ließe sich das auch beschreiben. Und genau darum geht es laut es Horx Strathern bei dieser neuen Richtung, dieser Neo-Ökologie: „Es geht um Kraft, um Fülle, um Mut, um possibilistisches Denken.“ 
Wo also früher, angelehnt an die Warnungen des Club of Rome, Verzicht und Knappheit gepredigt wurde, will man heute konsumieren, bauen, besitzen, im Wettbewerb wirtschaften, aber dabei ebenfalls ökologisch sein. Die gebürtige Irin nennt das „responsible desire“, das Zeitalter des verantwortlichen Konsums, in dem anders gedacht werden darf und Neues ausdrücklich ausprobiert werden soll. Moderne Umwelttechnologien und neue Geschäftsmodelle werden zum Schlüssel einer ökologischen Transformation, einer Transformation, die vom Denken in Kreisläufen geprägt ist.
An dieser Stelle verwies die Zukunftsforscherin beispielsweise auf Michael Braungart, also auf jenen deutschen Umweltpionier, der sagt: Würden Produkte von Anfang an intelligenter gestaltet, gäbe es weder Verschmutzung noch Abfall noch Verzicht. 1200 Produkte sind bereits nach Braungarts strengen Cradle-to-Cradle-Maßstäben zertifiziert. Häuser, Sofas, Jeans und viele andere Produkte sind nach diesen Vorgaben entstanden. In dieser Gedankenwelt ist jedes Produkt eine wiederverwertbare Ressource. Doch wird Horx Strathern zufolge auch in der Bauwirtschaft zunehmend zirkulär gedacht, indem – beispielsweise – der Nutzung des Bestandes der Vorzug vor Neubauten gegeben wird, indem Bauschutt und Beton aufbereitet und wieder genutzt werden, indem Materialbörsen entstehen oder in immer stärkerem Maße mit Holz gebaut wird.
In Tokio, berichtete die Forscherin, soll das höchste Holzgebäude der Welt entstehen, 350 Meter hoch, ein imposantes Symbol neuen Denkens. Und noch etwas prognostiziert die Mitbegründerin des Zukunftsinstituts: Eine Besinnung auf das Lokale, auch bei der Wahl der Materialien, die Abhängigkeiten und Transportwege reduziert und vor Ort auch mehr Wertschöpfung generiert. „Der Trend geht in Richtung lokaler Rohstoffe und lokaler Produktion“, sagte Horx Strathern. Und sie formulierte noch ein Beispiel für dieses neu-ökologische Denken – eine Transformation der bisher gepriesenen Passivhäuser in Aktivhäuser, also Häuser, in denen nicht Energie gespart, sondern mehr Energie produziert als gebraucht wird.
Timo Leukefeld, ein Energieexperte, habe in Cottbus mit neuesten Technologien ein solches energieautarkes Gebäude geschaffen, in dem Mieter für ihre Wohnungen lediglich 10,50 Euro pro Quadratmeter zahlen, inklusive Wärme, Strom, Elektromobilität: „Man kann so viel Energie nutzen, wie man will, weil man das selbst zu niedrigen Kosten produziert.“ Horx Strathern lebt am Stadtrand von Wien selbst in einem Haus, dass sich adaptieren und an die jeweils neuesten Produkte am Markt anpassen lässt: „Wenn man von Trends spricht, muss man auch mit Trends leben.“ 
Die 60-Jährige ortet insgesamt wachsenden Zuspruch für diese Modelle und Überlegungen, sie sagt: „Das zirkuläre Denken und die Neo-Ökologie verändern das entsprechende Narrativ. Und Narrative verändern die Märkte. Denn die mächtigsten Kräfte in unserer Ökonomie sind die Geschichten, die Einzug in unsere Kultur finden.“
Die Zukunftsforscherin sieht letztlich aber drei Perspektiven: „Die des Niedergangs, wenn wir sagen, wir machen so weiter wie bisher. Die des Übergangs, wenn wir sagen, wir stellen uns dem Wandel mit Elementen der Innovation. Und die des Visionären, wenn wir sagen, wir erfinden die Welt neu, indem wir unser Handeln an der Zukunft ausrichten.“
Tja. Und wann beginnt die Zukunft? Sie, die Zukunftsforscherin, werde das oft gefragt: „Doch das ist eine teuflische Frage.“ Denn je nachdem, in welchen Umständen der Mensch jeweils lebt, hat die Zukunft für ihn möglicherweise bereits begonnen. Wer gerade Mutter oder Vater geworden ist, versteht vermutlich recht gut, was damit gemeint ist.

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