Monika Rauch

* 1981 in Feldkirch ist seit 2018 als Organisationsentwicklerin und eingetragene Mediatorin tätig. Sie studierte HR und Organisation, sowie IBWL an der FHV und in Irland. Nebenbei entwickelt sie Lehrgänge unter anderem zu den Themen Employee Retention und Intersektionalität.

Perspektivenwechsel für mehr Nachhaltigkeit

Dezember 2023

Wie wir dank unserer Fantasie die Zukunft sichern.

Was ist die größte Schwierigkeit von Unternehmen? Führungskräfte müssen täglich viele Entscheidungen treffen. Die Verteilung des Budgets, Personalentwicklungsprozesse oder die Auswahl von Lieferanten sind – neben weiteren Bereichen – Entscheidungsfelder, in denen bereits kleine Veränderungen weitreichende Auswirkungen im Innen und Außen haben.
Oft müssen Entscheidungen getroffen werden, bei denen einige Informationen nicht zur Verfügung stehen. Bei der Wahl eines neuen Lieferanten sind beispielsweise selbst bei sorgfältiger Prüfung nicht alle Beziehungen zu Mitbewerbern und deren Verträge mit Rohstofflieferanten bekannt. Und auch im Recruiting ist nicht vorhersehbar, ob zukünftige Mitarbeitende den Herausforderungen gewachsen sind oder ob deren Lebenssituation mit der Vision des Unternehmens übereinstimmt.
Verschärft werden die Auswirkungen dieser Unsicherheit dann, wenn auf Situationen schnell und flexibel zu reagieren ist. Was früher noch eine Ausnahme in Notsituationen war, ist heute meist Daily-Business. Viel zu oft geschieht dies noch in Form von „Feuer löschen“, in dem ohne Einbezug aller relevanten Parameter irgendwie reagiert und zu Übergangslösungen geneigt wird, die auch noch weitreichende Auswirkungen auf andere Unternehmensbereiche haben.
Kündigt ein Mitarbeiter, wird die Arbeit auf das verbliebene Personal aufgeteilt. Ein langer Recruiting-Prozess beginnt und während die Führungskraft nach außen kommuniziert, dass alles in Ordnung ist und die Arbeit weiterhin erledigt wird, stöhnen die Mitarbeitenden unter dem vermehrten Arbeitsdruck und überlegen sich Auswege aus der verzwickten Situation. Für viele der Anfang vom Ende. Übergangslösungen bleiben oft für immer und jeder von uns kennt ein Beispiel hierfür aus dem eigenen Alltag oder aus der Politik.
Das Prinzip des „Feuerlöschens“ hat jedoch klare Grenzen. Bei einem zu hohen Maß an Unsicherheit und Ungewissheit führt jede weitere unüberlegte Entscheidung zu einer Verstärkung der Instabilität des Unternehmens, mit weitreichenden Folgen. Wie also kann mit diesen geänderten Anforderungen umgegangen werden?
Seit einigen Jahren wird der „Shift“ weg vom Management hin zum Leadership propagiert und ich stimme zu, dass dies manchmal der richtige Weg wäre. Dennoch sehe ich in der Praxis, dass es kaum umsetzbar ist. Es scheitert oft nicht am fehlenden Willen, sondern am „Wie“.
Wie kommen wir weg vom Mikromanagement und schaffen es, das große Ganze im Auge zu haben? Wie schärfen wir den Blick, um das Unternehmen aus der Vogelperspektive zu betrachten und die Mitbewerber, die politische Lage, den Umweltschutz, die gesetzlichen Regulatorien und die Rohstoffsituation in den Augenwinkeln zu behalten?
Die gute Nachricht ist: Es ist möglich. Tendieren wir normalerweise dazu, auf ein Problem näher zuzugehen, um uns darin zu vertiefen, ist die Lösung, sich davon zu entfernen. Wie kann dies ermöglicht werden?
- Es geht nur gemeinsam. Gemeinsam im Team, unter Einbezug interner Perspektiven aus verschiedenen Abteilungen und den Mitarbeitenden aus der Basis. Praxistipp: Mitarbeitende im Vertrieb oder Empfang verfügen über viele relevante Informationen aus erster Hand.
- Externe Meinungen sind unumgänglich, denn diese decken blinde Flecken auf.
- Bleib informiert. Informationen aus Zeitungen von hochwertigen Quellen, aber auch Gossip – beide Perspektiven sind wertvoll, aber zu differenzieren.
- Generiere Abstand. Sich kurzzeitig mit anderen Dingen zu beschäftigen, schafft Abstand und Raum, eine übergeordnete Sichtweise einzunehmen.
- Bleib gebildet. Je größer der Methodenkoffer, desto einfacher ist es, Ziele zu erreichen. Eine Variation an Zugängen öffnet den passendsten Weg. 
- Bewahre eine offene Haltung.
Der letzte ist ein besonders wichtiger Punkt, denn er ist am schwierigsten zu fassen und zu erreichen. Um offen zu bleiben, braucht es ein großes Maß an Vorstellungskraft. Es erfordert Fantasie und Zeit. Durch das geistige Durchspielen verschiedener Szenarien kann ein Muster der Entscheidungsfindung trainiert werden, das befähigt, vernetzter zu denken und verschiedene Perspektiven einzunehmen.
Wissenschaftler der Universität Harvard haben herausgefunden, dass wir acht Stunden am Tag in der Fantasie leben. Und das ist gut so, da wir die Fantasie brauchen, um verschiedene Varianten von Entscheidungen inszenieren zu können. Dabei treffen wir jeden Tag circa 20.000 Entscheidungen.
Das Einnehmen verschiedener Perspektiven ist die Grundlage, Menschen zu verstehen, ihre Handlungen zu interpretieren und ihre Lebensumstände in Entscheidungen miteinzubeziehen. Albert Einstein brachte es auf den Punkt: „Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.“ Wenn Unbekanntes zu Bekanntem wird, werden viele neue Optionen sichtbar.
Ein prominentes Beispiel in der Produktentwicklung ist die Erfindung des Defibrillators. Wer hätte 1831 in Mary Shelleys Roman Frankenstein daran gedacht, dass die Elektrizität so eine große Rolle bei der Rettung von Leben spielt?
Auch im Bereich HR wird durch den aktuellen Hays HR Report deutlich, dass das Thema Mitarbeiterbindung mit 45 Prozent auf Platz 1 unter den HR-Handlungsfeldern liegt. Während die Motive für die Bindung an das Unternehmen evaluierbar sind, ist die Umsetzung in der Praxis eine Herausforderung. Es gelingt nur anhand eines Perspektivenwechsels.
Durch das Trainieren des genannten Denkmusters schaffen wir eine größere Vielfalt an Optionen bei unseren Entscheidungen und somit eine Balance zwischen Risiko und Stabilität in unseren Unternehmen. Dank der Fantasie und etwas Zeit können wir den Erfolg unserer Unternehmen sicherstellen, unabhängig davon, wie volatil das Unternehmensumfeld wird.

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