Franzobel

(*1. März 1967 in Vöcklabruck), eigentlich Franz Stefan Griebl, Schriftsteller

(Foto: © Hanna Silbermayr)

Frankreich, wir kommen nicht, oder: Warum Österreich den Sprung zur Euro nicht schafft

April 2015

Ich soll hier darüber schreiben, warum sich Österreich für die Euro 2016 qualifiziert – oder eben nicht. Nun mag die Qualität meiner Literatur umstritten sein, der Wert meiner Prophezeiungen ist es nicht, der ist eindeutig und verlässlich. Ich liege nämlich immer daneben. Wenn ich hier schriebe, Österreich wird sich für die Europameisterschaft in Frankreich qualifizieren, könnten Sie sicher sein, wir verlören in Russland, Schweden, Montenegro und remisierten gegen Moldawien, würden also in einer kaum noch zu versemmelnden Qualifikationgruppe Dritter werden, um dann im Playoff gegen Belgien, die Niederlande, Deutschland oder sonstwen auszuscheiden. Also schreibe ich hier lieber, wir schaffen die Qualifikation nicht. Ja, Sie haben richtig gelesen, wir scheiden aus.

Wie das gehen soll, ist momentan kaum vorstellbar. Der Kern unseres Nationalteam-Pflänzchens ist sehr gediegen. Ganz egal, welche Äste den Weltklasse-Stamm um Dragovic/Alaba/Junuzovic verstärken – Hinteregger, Fuchs und Klein, Harnik, Baumgartlinger, Ar­nautovic oder doch Prödl, Garic, Leitgeb –, dieses Gewächs steht gut im Boden und hat alles, um zu blühen. Ganz egal, ob vorne dann ein Janko, Okotie oder Weimann die Früchte in den Kasten legt. Marcel Koller, dieser geerdete Eidgenosse, hat aus einer verwachsenen, unscheinbaren Wurzel ein beachtliches Bäumchen hochgezogen, das vielleicht schon bald alle anderen überragen wird. Seit Jahrzehnten dürstet der österreichische Fußballfan nach einer erfrischenden, flüssigen Spielanlage, die nun von einem Schweizer Architekten errichtet worden ist. Jahrelang haben wir Aficionados des hiesigen Gegurkes uns an die vage Hoffnung geklammert, den ewigen Talenten Ivanschitz, Wallner, Linz könnte einmal der Knopf aufgehen und ein Lauf gelingen; jahrelang ist der Knopf nicht aufgegangen, mussten wir statt dem erhofften Lauf ein rumpelndes Gehumple sehen. Jahrelang mussten wir auf rustikale Spieler wie Scharner oder Maierhofer setzen, gab es eine stete Abfolge von lichten Momenten und schier unendlich langen dunklen Tälern, die uns lehrten, mit Niederlagen umzugehen, demütig zu sein. Jahrzehntelang hat man als österreichischer Fußballfan vor allem eines gelernt: wie es ist, Schmach und Schande zu ertragen, enttäuscht und abgewatscht zu werden.

Doch damit ist jetzt Schluss. Nun ist ein neuer Morgen angebrochen. Plötzlich ist die finstere Nacht zu Ende und kann man mit Fug und Recht behaupten: Seit 35 Jahren hatte Österreich keine so junge und zugleich routinierte Mannschaft mehr, mit rotzfrischen, technisch beschlagenen Spielern, die sich Woche für Woche in den großen Ligen behaupten, mit einem Trainer, für den ein taktisches Konzept mehr ist als der Ruf: „Auße, Burschen, hauts euch eine!“ Dazu kommt mit David Alaba ein Weltstar, eine Art österreichischer Pelé, der eine dereinstige Umbenennung Austrias in Alabanien rechtfertigen würde. Seit 35 Jahren hatte Österreich keine Mannschaft mehr wie diese – eine, die an guten Tagen wirklich jeden schlagen kann.

Also sollte eigentlich in der Qualifikation nichts mehr anbrennen, zwei Pflichtsiege noch gegen Liechtenstein und Moldawien, dazu ein, zwei Punkte aus drei Auswärtsspielen, und wir sind dabei. Vive la France! Eine, wie man hierzulande sagt, gmahte Wiesn, wenn nicht, ja, wenn nicht ich hier schreibe, wir werden uns qualifizieren. Dann nämlich verletzen sich ein paar Schlüsselspieler, kämpfen andere mit ihrer Form oder werden unglücklich gesperrt. Der Tormann, die einzige Unsicherheit im sonst so stabilen Gefüge, greift einmal daneben, und die Stürmer haben die Seuche am Fuß. Ein, zwei strittige Situationen, ein schwarzer Tag, und schon wird aus einem sogenannten Pflichtsieg ein schmerzhafter Punkteverlust, der aus dem soliden Bauwerk Qualifikation ein fragiles, einsturzgefährdetes Türmchen macht.

Das Grundproblem in Österreich ist nicht die Unfähigkeit, sondern der Größenwahn. Kaum haben wir einmal die Chance, uns für irgendetwas zu qualifizieren, reden wir auch schon vom Titel. Aber die Zeiten der bloßfüßigen Jausengegner sind vorbei. Sobald eine Mannschaft den eigenen Strafraum zustellt und sich auf Destruk­tion beschränkt, wird es schwer. Und wenn sich dann auch noch eine von Philosophen bezweifelte Größe zeigt, nämlich das Nichts, aus dem zu allem Überfluss noch Tore fallen, werden sogar Liechtenstein oder Moldawien zu einem Problem.

Und dann kommt noch etwas hinzu: unsere Mentalität. Nein, keine Angst, ich spreche hier nicht vom Verlust des Kaiserreichs und unserem oft attestierten Minderwertigkeitskomplex, weil das Dinge sind, die nicht mehr gelten. Aber wir haben uns daran gewöhnt, zu verlieren, es hinzunehmen, dass das reiche und prosperierende

Österreich im Fußball gedemütigt wird. Uns fehlt das Sieger-Gen, vielleicht sogar das Testosteron. Woran das liegt, weiß ich nicht. Vielleicht essen wir zu wenig rotes Fleisch, vielleicht hat uns der Kampf ums Binnen-I die letzten Reste Machotum ausgetrieben? Oder geht es uns zu gut? Sind wir zu bequem und träge? Vielleicht haben wir uns auch schon zu sehr an das nach jeder verpassten Chance einsetzende Hättiwaritäti-Gezeter gewöhnt?

Jedenfalls haben wir nicht gelernt zu gewinnen, das scheint hier nur mit Skiern möglich. Nicht umsonst hat sich Österreich seit bald 18 Jahren für kein Großereignis mehr qualifiziert. Und die Erfolge im Klubfußball liegen noch länger zurück.

Also bleibt mir nichts anderes übrig, als hier mit Inbrunst zu verkünden: Wir werden scheitern. Aber sogar wenn ich diesmal, was ich wirklich nicht hoffe, mit meiner Prophezeiung recht behalten sollte, hätte das ein Gutes. Was? Na, wir dürften uns dann weiterhin an unseren letzten Helden, an Krankl, Prohaska und Cordoba erfreuen. Wie? Das können Sie schon nicht mehr hören? Dann wird es Zeit, dass Alabanien anbricht, dass diese Mannschaft hält, was sie uns verspricht.

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